Es ist wieder eine New-York-Geschichte, die Regisseur Ira Sachs in „Junge Männer“ erzählt. Wie schon in „Liebe geht seltsame Wege“ (2012), in dem ein alterndes schwules Pärchen nach 40 Jahren Manhattan verlassen muss, da es sich die Miete nicht mehr leisten kann. Oder wie in dem Drama „Keep the Lights On“, das 2013 den Goldenen Teddy gewann. Hier geht es um einen jungen Anwalt, der im Drogensumpf des Nachtlebens verschwindet.
Mit diesen Filmen reihte sich Sachs in die lange Liste filmischer Chronisten New Yorks ein. Und auch in „Junge Männer“ ist die Stadt mehr als nur die Bühne, auf der sich die Handlung entspinnt. Sie spielt eine Hauptrolle, die sie sich mit Jake (Theo Taplitz) und Tony (Michael Barbieri) teilt. Die beiden 13-Jährigen könnten unterschiedlicher nicht sein: Jake malt viel und redet wenig, Tony redet viel und will unbedingt Schauspieler werden. Sozial trennen sie Welten. Jake kommt aus dem weißen Akademikermilieu, Tony ist Sohn der chilenischen Einwanderin Leonor (Paulina García), die einen kleinen Laden betreibt, in dem viel zu selten jemand Kleider einkauft, als dass er sich rentieren könnte. So flickt sie die Kleidung der Nachbarschaft.
Doch diese verändert sich immer mehr. Und so lernen sich Jake und Tony überhaupt erst kennen. Als Jakes Opa stirbt, zieht seine Familie von Manhattan nach Brooklyn in das Haus mit Lenors Laden, das nun ihnen gehört. Für den introvertierten Jake, der sich in der neuen Umgebung nur schwer einfindet, wird Tony zum Mittelpunkt seines Lebens. Tony wiederum findet in Jake einen Seelenverwandten, mit dem er über seine künstlerischen Pläne sprechen kann. Schließlich ist Jakes Vater Brian Schauspieler. Und beide wollen auf die renommierte LaGuardia High School, die auf Kunst spezialisiert ist.
Sachs erzählt die Geschichte der ungleichen Familien so unaufgeregt wie unvoreingenommen. Er lässt Tony und Jake viel Platz für ihre Träume. Sie nehmen Schauspielstunden, Tony versucht Mädchen kennenzulernen, Jake lernt für seine Aufnahmeprüfung und begleitet Tony in eine Disco. Wie sich die beiden die Stadt erschließen und Pläne für ihr Leben schmieden, ist ein großes Kinovergnügen.
Doch es währt nicht lange. Bald stellt Jakes Familie fest, dass Leonor so gut wie keine Miete zahlt. Dem Opa war das egal. Jakes Familie, eingeklemmt in alle möglichen finanziellen Zwänge, ist auf die Einnahmen angewiesen. Der Vater kommt nicht an die gut bezahlten Rollen, die Mutter muss die Familie alleine versorgen, und dann ist da noch die Schwester, die einen Anteil an den Mieteinnahmen haben will. Auch sie hat Familie. Und das heutige New York schenkt keinem was.
Keine Schuldzuweisungen, nur Verlierer
Es wäre es nur allzu leicht gewesen, die Protagonisten von „Junge Männer“ in gute und böse zu unterteilen. Hier die geldgierigen Vermieter, da die prekäre Migrantin, die verdrängt wird. Aber das vermeidet Sachs elegant, was seinem ruhigen Film eine emotionale Tiefe verleiht. Leonor fügt sich nicht in die Opferrolle ein. Sie ist null kooperativ, als sie eine Mieterhöhung erhält. Statt zu verhandeln, stellt sie auf stur und versetzt Jakes Vater Brian zielsicher einen emotionalen Tiefschlag nach dem anderen.
Und Jake und Tony? Sie wehren sich, so gut sie können. Sie beschließen, aus Protest nicht mehr mit den Eltern zu reden. Und sie halten das auch lange durch. Einzig – es hilft nichts. Am Ende gibt es nur Verlierer.
„Junge Männer“, USA 2016; Regie: Ira Sachs, mit Theo Taplitz, Michael Barbieri, Greg Kinnear, Jennifer Ehle, Paulina García, 85 Minuten