Seit in Kalifornien Mitte der 50er-Jahre ein paar Surfer auf die Idee kamen, Rollen unter ein Brett zu schrauben und damit über den Asphalt zu flitzen, wurde manches Hindernis überwunden: Bordsteine, Treppen, Geländer, Parkbänke. Generationen von Skatern widmeten innerstädtische Betonwüsten zum Hindernispark um und überwanden alles, was ihnen im Weg stand, ganz nonchalant mit immer neuen und immer waghalsigeren Tricks.

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cms-image-000047659.jpg (Foto: Jessica Fulford-Dobson)
(Foto: Jessica Fulford-Dobson)

Dass man mit einem Skateboard noch ganz andere, viel größere Hürden überwinden kann, las die englische Fotografin Jessica Fulford-Dobson in einem kleinen Artikel in der Zeitung. Es ging darin um eine Skatehalle in Kabul, was ja an sich schon ziemlich ungewöhnlich ist, diese aber hatte auch noch ein ganz besonderes Konzept. Sie fördert Kinder und vor allem Mädchen aus armen Familien. Viele von ihnen gehen nicht in die Schule. Sie lernen weder Lesen noch Schreiben, sondern müssen arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Mit dem 2009 initiierten Back-to-School-Programm bemüht sich die Nichtregierungsorganisation „Skateistan“ darum, dass diese Kinder den Anschluss an die Schule schaffen.

Dort lernen arbeitende Straßenkinder und Flüchtlinge während eines 12-monatigen Programms lesen und schreiben. Analphabetismus ist in Afghanistan weit verbreitet. Nur 49 Prozent der jungen Männer und 18 Prozent der jungen Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren können lesen und schreiben. Das Programm ist in drei Semester gegliedert. Am Ende sollen die Kinder in der Lage sein, sich an einer öffentlichen Schule einschreiben zu können.

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cms-image-000047660.jpg (Foto: Jessica Fulford-Dobson)
(Foto: Jessica Fulford-Dobson)

Fulford-Dobson fuhr zweimal nach Kabul und blieb dort jeweils einige Wochen, um die Mädchen zu fotografieren, die mehr als 40 Prozent der Nutzer der Halle ausmachen. Die müssen erst mal die Schulbank drücken, dann dürfen sie die Rampen hoch- und runtersausen. Gerade für Mädchen ist das etwas Besonderes. Denn in Afghanistan wird ihnen häufig von ihren Familien nicht mal erlaubt, Fahrrad zu fahren. Manche Jungs mussten erst mal lernen, sie nicht vom Skateboard zu schubsen. So werden in der Halfpipe von Kabul auch die Geschlechterrollen einer neuen Generation angeschoben.

Die Fotos – vielfach ausgestellt und zum Teil preisgekrönt –, die Fulford-Dobson in der Skatehalle gemacht hat, sind bewegend. Die Mädchen, manche sind gerade mal sieben Jahre alt, glühen vor Glück, wenn sie in die Kamera schauen. Andere stehen ganz gerade und aufrecht, ihr Skateboard umfassen sie so stolz, als sei es eine Trophäe.

Viel Raum zum Spielen lässt ihnen ihr Leben in dem vom Krieg gebeutelten Land am Hindukusch sonst nicht. Das Board wirkt nicht wie ein Eindringling in ihre Kultur. Eher wie ein Vehikel der Selbstermächtigung. Die Mädchen sind traditionell gekleidet, die meisten tragen ein Hidschab, ein Kopftuch. Sie strahlen auf den  Fotos ein starkes Selbstbewusstsein aus, das sie entwickeln, wenn sie sich die steilen Halfpipes hinabstürzen.

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cms-image-000047661.jpg (Foto: Jessica Fulford-Dobson)
(Foto: Jessica Fulford-Dobson)

Dass heute in Afghanistan Skateboard gefahren wird, ist dem Australier Oliver Percovich zu verdanken. Er zog 2007 nach Kabul, weil seine damalige Freundin dort einen Job bekam. Während sie arbeitete, ging er skaten. Dabei blieben jedes Mal die Blicke der Kinder und Jugendlichen an ihm kleben. Eine Menschentraube bildete sich, wenn er in leeren Brunnen, alten Schwimmbädern oder einfach nur auf den staubigen Straßen seine Tricks machte. Percovich beschloss, die drei Bretter, die er dabeihatte, zu verschenken.

Doch das war erst der Anfang. Die Idee zu „Skateistan“ war geboren. Mittlerweile arbeiten rund 70 Leute für die vielfach ausgezeichnete NGO. Die meisten sind Skatelehrer. Darunter viele, die in der Halle in Kabul angefangen haben. Es gibt eine weitere Halle in Mazar-e-Sharif, eine in Phnom Penh in Kambodscha, und in Johannesburg in Südafrika rollen gerade die Bagger – und ab 2016 dann die Skateboards.


Als Felix Denk, Redakteur bei fluter.de, noch Skateboard fuhr, waren Rampen und Pipes eine Seltenheit. Entsprechend mussten die 70er-Jahre Neubausiedlungen herhalten. Dort war das schwierigste Hindernis der Hausmeister, der die Skater immer vertreiben wollte.  Die Fotos von Jessica Fulford-Dobson sind noch bis zum 19.12. in der Berliner Galerie Pavlovs Dog zu sehen.