Sein Arbeitsgerät ist ein Besen, seine Arbeitskleidung ein schwarzes Werbe-Shirt des italienischen Telekommunikationsunternehmens Wind und eine Hose des Müllentsorgungsunternehmens Asia. Aber Salvatore Frezza, 44, arbeitet nicht für den offiziellen Dienst, die Hose hat er aus zweiter Hand bekommen. Er ist der private Müllmann von 76 Markthändlern, die sich selbst um die Müllbeseitigung kümmern müssen, weil es ihre Stadt nicht mehr tut. „Die Müllkrise ist in Neapel kein Notstand mehr, sie ist ein Normalzustand“, schreibt der italienische Schriftsteller Roberto Saviano, der mit Büchern über die Mafia bekannt geworden ist.
Gemeinsam mit korrupten Politikern verhindere die eine funktionierende Entsorgung, um sie selbst zu überhöhten Preisen zu übernehmen. Überall in der Metropolregion mit über vier Millionen Einwohnern wird Müll verscharrt, oft vermischt mit giftigen Industrieabfällen. Im Norden Neapels lodern unablässig die Feuer, hier ist die Krebsrate alarmierend hoch.
Kann der Müll mal wieder nicht abgeladen werden, weil die Müllkippen der Umgebung gerichtlich gesperrt wurden – aus Platzmangel und wegen Umweltproblemen –, bleibt er auf der Straße liegen, manchmal wochenlang. Und dann, von einem Tag auf den anderen, ist er plötzlich doch weg.
13.15 Uhr nahe des Bahnhofs: Der Markt von Porta Nolana schließt. Die Gegend wird geprägt von armen Menschen, es gibt hier viele Obdachlose und Menschen, die illegal eingewandert sind. Zwischen Ständen mit Schuhen, Lederwaren und Sommerkleidern fegt Salvatore Frezza – breite Schultern, sonnenverbrannte Haut, Schweiß in den Nackenfalten – in einen Karton, was vom Tag übrig blieb. Die Bierflaschen und Plastiktüten wirft er in die nächstgelegene Mülltonne. „Grazie“ steht darauf, „Danke“.
Eigentlich ist er lediglich für die Sauberkeit des Platzes zuständig, aber manchmal kehrt er auch durch die Gassen rundherum. Er kann den Dreck einfach nur schwer ertragen, deswegen hat er ihm den Kampf angesagt. Frezza arbeitet sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr – egal ob es hagelt oder regnet; egal ob es 38 Grad sind oder eiskalt ist. Selbst wenn er Fieber hat, schwingt er den Besen. Seinen Lohn zahlen ihm die Marktbetreiber schwarz aus, sie stecken ihm wöchentlich ein paar Münzen und Scheine zu, auf 1.200 bis 1.300 Euro kommt er so im Monat. Macht er eine Pause, schreit schon eine Marktverkäuferin, nicht ohne ihm nachher zuzuzwinkern: „Salvatore, wir bezahlen dich nicht fürs Nichtstun!“
Salvatore Frezza ist in Neapel aufgewachsen, immer hat er hier gelebt. Es tut ihm weh, dass seine Heimatstadt, die früher mitten in einem blühenden Anbaugebiet von Orangen und Zitronen lag, nun als Müllhauptstadt Europas bekannt ist. Selbstironisch verkaufen die Neapolitaner Postkarten mit Müllbergen drauf – und gleichzeitig fühlen sie sich als Bürger zweiter Klasse, vom Staat allein gelassen mit ihren Problemen.
Die illegalen Geschäfte, die in seinem Neapel mit dem Müll gemacht werden, sind für Frezza kaum nachvollziehbar, so dicht ist das Geflecht aus Geben und Nehmen. Dem stolzen Müllmann kommt es heute darauf an, dass zumindest er hart arbeitet, denn das war nicht immer so. Früher betrog auch er die Menschen, verkaufte ihnen Fotokameras, die nicht funktionierten. Dann fand er, wie er bekennt, zu Gott und zu seiner Ehefrau Antonietta, mit der er zwei Kinder hat. Eine Zeit lang war er arbeitslos. Nun ist er seit vier Jahren von Beruf Müllmann. Er sagt, die Verantwortung sei enorm – und dass ihn der Gestank des Mülls schon lange nicht mehr störe.