Der Oberstaatsanwalt überfällt den Besucher gleich mit einem Überraschungsangriff. "Haben Sie noch nie jemanden bestochen?", fragt Wolfgang Schaupensteiner. Deutschlands gefürchtetster Korruptionsjäger kennt die Versuchungen. Aus dem Fenster seines Büros in einer Nebenstraße der geschäftigen Frankfurter "Zeil" guckt der 57-jährige Oberstaatsanwalt beinahe täglich in die Kochtöpfe der Luxusköche eines noblen Vier-Sterne-Hotels."Sie laden mich zum Essen ein und ich erzähle ihnen ein bisschen mehr, als ich dies sonst täte", lockt Schaupensteiner den Journalisten. Eine pure Provokation. 

Der drahtige Fahnder mit der schlohweißen Föhnfrisur ist ganz und gar unbestechlich. Er jagt Beamte und Banker, Professoren und Prominente, bei denen eine Hand die andere wäscht. Vor wenigen Wochen verhaftete Schaupensteiner den ARD-Sportjournalisten Jürgen Emig. Unter dem Tisch soll Emig dafür kassiert haben, dass er Sportveranstaltungen und deren Sponsoren ins Fernsehen brachte. Ein typischer Fall von Korruption. Seit 1987 ist Schaupensteiner mit einem vierköpfigen Spezialtrupp Korruptionsfällen auf der Spur, sein Menschenbild hat durch die Fahndungsarbeit gelitten. "Der Mensch ist geldgierig und rachsüchtig."
 

"Jeder hat seinen Preis"


Als Beleg zitiert er eine Forsa-Umfrage:65 Prozent der Bundesdeutschen würden bestechen, wenn es ihrem eigenen Vorteil diente. "Jeder hat seinen Preis", sagt Schaupensteiner. "Wo investiert wird, wird geschmiert, wo viel investiert wird, wird viel geschmiert." Im Laufe der Jahre hat Schaupensteiner vieles erlebt. Da war der als tüchtig geschätzte Leiter des städtischen Frankfurter Gartenamtes, den sie wegen seiner herrischen Art "Don Alfonso" nannten. Systematisch hatte der Beamte über 22 Jahre seine Stellung als Amtsträger missbraucht und bei Handwerksfirmen, die mit der Stadt ins Geschäft kommen wollten, kräftig abkassiert. "Don Alfonso" nahm nicht nur Bares. Von den um städtische Aufträge buhlenden Handwerkern ließ er sich den Zaun seiner privaten Ranch errichten und regelmäßig die Heuernte einfahren. 

Auch reinrassige schottische Hochlandrinder wurden ihm spendiert. Sogar ein 2796 Mark teures Blumenarrangement zur Beerdigung seiner Mutter lief bei "Don Alfonso" über das Bakschischkonto. "Korruption hat was mit Macht und Machtmissbrauch zu tun", lautet Schaupensteiners Diagnose des "Homo corruptus". Bei seinen Ermittlungen sei er immer wieder auf Unternehmer gestoßen, die sich für irgendwelche Amtsträger "zum Lakaien gemacht haben.- Ein Firmenboss habe sich sogar auf den Partys eines Stadtbeamten als Kellner angedient. "Die Realität übertrifft alles", zischt der Oberstaatsanwalt mit leisem Ekel in der Stimme. 

Über die skurrilsten Anekdoten seiner Ermittlungsarbeit hat Schaupensteiner jüngst ein Buch geschrieben. Vieles darin klingt nach Abu Dhabi oder Sizilien. Aber auf den 227 Seiten geht es um weit verzweigte Beziehungsgeflechte in deutschen Amtsstuben, die über Jahrzehnte gewachsen sind - unbemerkt von Justiz und Öffentlichkeit. "Korruption ist effektiv, attraktiv und lukrativ", provoziert Schaupensteiner. Die Geschäfte in dieser "Wachstumsbranche" liefen heimlich, still und leise. In mindestens 95 von 100 Fällen, schätzt er, bleiben Bestechender und Bestochener unentdeckt.

Der volkswirtschaftliche Schaden der Korruption beläuft sich bundesweit auf etwa sechs Milliarden Euro. Dennoch ist der Frankfurter Oberstaatsanwalt von der Wirkung seiner Sisyphusarbeit überzeugt. "Wir haben ein tolles Gesellschaftssystem, es gibt nur zu viele, die es gefährden." Mit Verve kämpft Schaupensteiner gegen die "ethisch-moralische Verschlampung" unserer Gesellschaft. In Rathäusern und Banktürmen, in feinen Villen und vornehmen VIP-Etagen. Weniger luxuriös residiert Schaupensteiner in seinem Büro, das zwischen einem Möbelhaus und einem Musikverlag in der Frankfurter Innenstadt liegt. Die hellbraun furnierten Aktenschränke stammen aus der Gefängnisschreinerei. Die Bilder und Grafiken, die an den Wänden hängen, sind eigene Handarbeit. Schaupensteiner ist kein Asket. Er geht gern gut essen und fährt einen flotten Alfa Spider. Aber er hat Prinzipien. "Zuverlässigkeit, Loyalität, Ehrlichkeit", das habe ihm sein preußisches Elternhaus anerzogen. Wenn der begeisterte Hobbymaler ein Sittengemälde dieser Republik entwirft, greift er zu düsteren Farben. 

Er klagt über "den Rückzug ins Private, verbunden mit der Verweigerung, Verantwortung zu übernehmen." Er konstatiert "eine zunehmende soziale Skrupellosigkeit". Er bedauert "die Flucht, insbesondere der Jugend, in eine oberflächliche Zerstreuungskultur und Spaßgesellschaft". Dieser moralische Werteverfall begünstige einen "egoistischen Materialismus" - den Resonanzboden für die Korruption. Bisweilen mutiert der Fahnder zum Moralapostel. "Zehn Gebote der Korruptionsbekämpfung" hat Schaupensteiner aufgestellt, um "gesellschaftliche Fehlentwicklungen" zu korrigieren. Korrupte Firmen sollen künftig auf schwarze Listen ("Korruptionsregister") kommen und mindestens fünf Jahre von allen öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. "Ich will, dass es fair zugeht", sagt Schaupensteiner. "Mit jedem Korruptionsfall werden doch ehrliche Anbieter verdrängt." Langsam zeigt die Arbeit der Korruptionsaufklärer Wirkung. 
 

Vom kleinen Buchhalter bis zum Vorstandsvorsitzenden


Fast jede größere deutsche Staatsanwaltschaft beschäftigt inzwischen Spezialfahnder wie Schaupensteiner. Im internationalen Antikorruptionsindex ist Deutschland zuletzt um zwei Plätze auf Rang 15 nach oben gerutscht, liegt aber immer noch deutlich hinter Ländern wie Neuseeland und Singapur. Die Ausbreitung der Korruption könne nur eingedämmt werden, wenn „wieder ethisch-moralische Maßstäbe unser Verhalten bestimmen und nicht die berechnende Abwägung eines Vorteils durch eine Normverletzung“, doziert Schaupensteiner an dem quaderförmigen Glastisch in seinem Fahndungsbüro. Im Gegensatz zur Straßenkriminalität trete Korruption nicht offen zu Tage. Diese Form der Kriminalität verberge sich hinter den Masken undemokratischer Amigoverhältnisse, hinter Seilschaften, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage. "Das sind die Türsteher der Korruption", sagt Schaupensteiner. Korruption ist ein modernes Gesellschaftsspiel. "Vom kleinen Buchhalter bis zum Vorstandsvorsitzenden" reicht Schaupensteiners Täterklientel. 

Wirkliches Unrechtsbewusstsein habe von den Ertappten kaum einer.„Sie praktizieren nur, was üblich ist.“ Dabei kann Korruption im Einzelfall nach dem Strafgesetzbuch genauso hart sanktioniert werden wie der Totschlag: mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Doch in elitären Wirtschaftskreisen sei die Korruption durchaus gesellschaftsfähig, sagt Schaupensteiner. Er zieht einen Zeitungsartikel hervor. Darin bricht der Leitartikler eine Lanze für Bakschischzahlungen: "Korruption ermöglicht Investitionen und Innovationen." Außerdem, so heißt es in dem Artikel weiter, bringe „speed money“, wie Bestechungsgeld im yuppiehaften Branchenjargon verharmlost wird, "die Bürokraten auf Trab und wirkt oft wie eine leistungsgerechte Entlohnung". Für den Oberstaatsanwalt ist das einfach „moralischer Werteverfall“. Schaupensteiners Fahndungspraktiken sind nicht unumstritten. Meist rücke der Frankfurter bei seinen Hausdurchsuchungen gleich mit einem Haftbefehl an, um von den Beschuldigten mit der Drohung der Gefängniszelle ein Geständnis „abzupressen“, kritisieren Strafverteidiger. Einflussreiche Wirtschaftsfunktionäre beklagen, Korruptionsfahnder durchsuchten mit Vorliebe die Schlafzimmer von Bankenvorständen, statt sich um die Fahrraddiebe und Dealer im Bahnhofsviertel der Mainmetropole zu kümmern. 
 

Kräftig zupacken


Ob Schaupensteiner nicht zu viel wolle,„wenn er das Strafrecht als Therapie zur moralischen Gesundung von Gesellschaft und Bürgern anwendet“, sorgte sich kürzlich die Zeit. Der couragierte Korruptionsfahnder ist kein Utopist. „Die moralische Ausstattung der Gesellschaft zu fördern kann nicht einfach par ordre de mufti angeordnet werden.“ Aber Schaupensteiner ist ein Verfechter der Volkspädagogik. Er ist Jäger und Heger zugleich. An den Frankfurter Korruptionsaffären will er die sozial schädlichen Praktiken der Schattenwirtschaft exemplarisch ans Licht der Öffentlichkeit zerren, um ein Bewusstein für dieses „flächendeckende Kriminalitätsphänomen“ zu schaffen,„das die Grundfesten staatlicher Autorität und das Prinzip des freien Wettbewerbs erschüttert“. 

Im Sommer 2001 hatte Schaupensteiner über 200 Beschuldigte im Frankfurter Hochbauamt in seinem Visier. Er stellte ihnen öffentlich ein Ultimatum. Wer sich selbst offenbare, dürfe mit Strafrabatt rechnen, kündigte er über die Medien an. Lediglich 18 bestochene Amtsträger meldeten sich. Von den 65 verdächtigten Firmen ging kein einziger Mitarbeiter freiwillig zur Staatsanwaltschaft. Nach Ablauf der Frist trat Schaupensteiner vor die Presse und verkündete den ersten Haftbefehl gegen einen prominenten Unternehmer. „Wer zu spät kommt, den bestraft die Justiz.“ Frankfurter Rechtsanwälte empörten sich über „diese Wildwestmethoden“. Schaupensteiner lässt solche Kritik kalt. Gern würde er noch energischer ermitteln, um den Korruptionssumpf in und um Frankfurt trockenzulegen. 

Doch es fehlt an Fahndern und es mangelt den Ermittlungsbehörden an moderner Bürotechnik, um zumindest Waffengleichheit mit den Kriminellen im weißen Kragen herzustellen. Schaupensteiner hebt seine rechte Hand.„Fünf Finger können kräftig zupacken“, sagt er. Aber in ihrer Personalnot müsse die Staatsanwaltschaft bei Wirtschaftskriminellen häufig „mit zwei Fingern“ zulangen. Für Schaupensteiner steckt dahinter System.„Alle haben Angst,in die Blase zu stechen, weil sie nicht wissen, wie groß der Eiter ist, der herauskommen wird.“