Boris Greber zu überzeugen ist nicht einfach. "Das kann mir keiner erzählen", ist einer seiner Lieblingssätze. "Bisher hat niemand geschafft, mir das zu erklären", ein anderer. Argumente ohne Beweise lässt der 29-Jährige nicht gelten. Boris arbeitet am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Der britische Molekularbiologe James Adjaye ist sein Chef und leitet das Team Molekulare Embryologie, eine von nur 13 Gruppen in Deutschland, die mit embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) von Menschen arbeiten dürfen. Die geringe Anzahl hängt mit der Gesetzeslage in Deutschland zusammen.
Zur Herstellung von ES-Zellen müssen Embryonen im Frühstadium getötet werden. Nach Ansicht des Gesetzgebers verletzt das die Würde des Menschen, ist somit verfassungswidrig und verboten. ES-Zellen enthalten voll entwicklungsfähiges Erbgut, das macht sie für medizinische Erkenntnisse auf dem Gebiet von Erb- und Gewebekrankheiten wichtig. Um derartige Forschung in Deutschand nicht ganz unmöglich zu machen, st der ES-Zellen-Import unter strengen Auflagen erlaubt. Die Zellen, die Boris seit ein paar Wochen sorgsam kultiviert, kommen aus den USA. "Ich versuche herauszufinden, unter welchen Bedingungen es ihnen am besten geht", erklärt er und sein sonst eher lakonischer Tonfall wird fast zärtlich.
Vorwurfsvolle Briefe
Was für den ungeübten Betrachter selbst unter dem Mikroskop nach hellbraunen Flecken in Flüssigkeit aussieht, dazu hat Boris einen persönlichen Bezug. "Da steckt schon viel Gefühl mit drin", meint er. Über dieses Gefühl ist er zu seinem Job gekommen, als er an seiner Doktorarbeit mit ES-Zellen von Mäusen arbeitete. "Wenn du viele Stunden damit verbringst, solche Embryonen unter dem Mikroskop zu beobachte, packt es dich irgendwann einfach." Allerdings bleibe eine Zelle eine Zelle. "Ob die von einer Pflanze, einer Maus oder einem Menschen kommt, ist mir völlig egal. Ich bin da eher leidenschaftslos", sagt Boris.
Ganz im Gegensatz zu den Menschen, die das ablehnen, was er macht. In seinem persönlichen Umfeld habe ihn zwar noch niemand kritisiert. "Meine Mutter war anfangs nicht gerade erfreut darüber, dass ich Mäuse getötet habe. Ansonsten reagieren die Leute grundsätzlich positiv auf das, was ich mache." Andererseits bekommt sein Team immer wieder vorwurfsvolle Post von Gegnern der embryonalen Stammzellenforschung. Boris kann deren Haltung nicht nachvollziehen. "Viele dieser Urteile basieren auf Unwissenheit. Wenn ich den Leuten mal so eine Blastozyste zeigen könnte, also einen etwa fünf Tage alten Embryo, kann mir keiner erzählen, er glaube immer noch, das sei schon ein Mensch mit einer Seele."
Diese Frage steht im Zentrum der Debatte, die seit Jahren den Bundestag, den Nationalen Ethikrat, Forscher und Feuilletonisten beschäftigt. Für die katholische Kirche lautet die Antwort: Das Leben und damit der Mensch beginnt mit der Befruchtung. Boris sagt: "Das hat sich doch jemand einfach ausgedacht." Für ihn und den Großteil seiner Kollegen ist die Antwort: Ein Embryo gilt für sie als Mensch ab dem Zeitpunkt, an dem sich die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einnistet, ab dann entwickelt der Fötus Nervenzellen. "Das sind menschliche Merkmale, darüber muss man nicht diskutieren. Keiner kann mir erklären, dass eine befruchtete Eizelle ein vollwertiger Mensch sei."
Das eine ist für Boris eben ein Beweis, das andere eine Interpretation. Die Diskussion werde in Deutschland einerseits von religiösen Dogmen und andererseits zu stark von den Alten dominiert, darin sieht er ein Problem für seine Wissenschaft und den Fortschritt im Allgemeinen. "Der Nationale Ethikrat ist fast ausschließlich mit Menschen über fünfzig Jahren besetzt und hat eine Theologenquote - warum gibt es keine Quote junger Menschen? Das sind doch diejenigen, deren Zukunft dort entschieden wird." Für ihn sind es die Möglichkeiten, die seiner Generation als Wissenschaftler und als Menschen versagt werden, die ihn ärgern. So schwankt er zwischen Frustration und Begeisterung, wenn er von einem Forschungsaufenthalt am Roslin Institut bei Edinburgh erzählt, Heimat des berühmten Klonschafs Dolly. "Da sind es Dutzende, die mit ES-Zellen forschen", erzählt er. "Mehrere Gruppen an einem Institut, mit denen man permanent zusammenarbeiten und sich austauschen kann. Hier sind wir am gesamten Institut zu dritt." Mit humanen ES-Zellen arbeiten in Deutschland etwa hundert Wissenschaftler. Die können mit der Regelung meist besser leben als Boris.
Stammzellen-Koryphäe Hans Schöler von der Uni Münster betont immer wieder, dass sich mit dem rechtlichen Rahmen gut arbeiten lasse. Einzig die so genannte Stichtagsregelung, nach der importierte Stammzellen von Embryonen abstammen müssen, die vor dem 1.Januar 2002 gezeugt wurden, steht ernsthaft in der Kritik. Boris reicht das nicht. "Diese ganzen Beschränkungen sind doch Wahnsinn. Die müssen weg." Wenn die Gesetze nicht gehen, wird er es tun. "Ich hätte kein Problem damit, in ein hippes Labor in Großbritannien, Skandinavien oder den USA zu gehen." So wie es immer mehr seiner Kollegen machen. In anderen Ländern werde weniger herumgeredet. "Ich finde es in Ordnung, dass über diese Dinge diskutiert wird. So ein Gespräch ist ja immer interessant. Aber sobald so eine Debatte den Fortschritt und die Forschung behindert, ist sie meiner Meinung nach überflüssig." Wer Boris vom Gegenteil überzeugen will, wird es ihm beweisen müssen.
Stammzellen - Stand der Dinge
Stammzellen sind die Vorläufer aller Körperzellen. Zwei Fähigkeiten machen sie für die Forschung wichtig: Sie bilden durch Teilung spezialisierte Zellen, das heißt, aus ihnen lässt sich organisches Gewebe züchten. Sie erneuern sich - im Gegensatz zu normalen Körperzellen - immer wieder selbst. Forscher hoffen, aus ihnen Ersatzzellen für Menschen mit Krankheiten wie Parkinson, Diabetes oder Herzschwäche gewinnen zu können. Jeder Körper enthält Stammzellen, für die Forschung besonders attraktiv sind allerdings die embryonalen Stammzellen (ES-Zellen). Sie lassen sich auch in vitro, also in der Kulturschale, vielfältiger und unbegrenzt weiter vermehren. 1981 wurden erstmals ES-Zellen schottischer Mäuse isoliert. Die ersten menschlichen ES-Zellen gewann James Thomson 1998 an der Universität Wisconsin. Das Verfahren dafür ist höchst umstritten, da der Embryo nach fünf bis sechs Tagen zerstört und anschließend entkernt wird, um an die ES-Zellen zu gelangen.
Rechtslage in Deutschland
Seit 1991 gilt das Embryonenschutzgesetz (EschG).Ein Embryo darf in Deutschland ausschließlich zum Zweck einer Schwangerschaft gezeugt und eingesetzt werden.Auch die Manipulation des menschlichen menschlichen Erbguts ist verboten, genau wie das Klonen von Menschen zu reproduktiven oder therapeutischen Zwecken. Das Stammzellgesetz (StZG) von 2002 versucht den Schutz des Embryos mit der Forschungsfreiheit zu vereinen. Es erlaubt den Import menschlicher ESZellen, sofern diese vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Verwendet werden dürfen sie nur für "hochrangige Forschungsziele" in der Grundlagenforschung und der Medizin, die Herkunft der Zellen unterliegt strengen Auflagen. Deutsche Forscher benötigen eine Genehmigung vom Robert-Koch-Institut, um mit ES-Zellen arbeiten zu dürfen. Die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung überprüft alle Anträge und spricht daraufhin eine Empfehlung aus. Derzeit dürfen 13 Gruppen in Deutschland mit embryonalen Stammzellen arbeiten. Sowohl Befürworter als auch Gegner der Forschung mit ES-Zellen halten das StZG für einen ungenügenden Kompromiss.Im Zentrum ihrer Debatte steht die Frage nach der Schutzwürdigkeit des Embryos. Setzt man den Zeitpunkt der Menschwerdung mit der Befruchtung gleich, ist die Erzeugung und vorsätzliche Tötung eines Embryos zu Forschungszwecken moralisch unzulässig, da man ihn seines Rechts auf freie Entwicklung beraubt. Für Befürworter der Stammzellenforschung setzt die Schutzwürdigkeit des Embryos als Mensch frühestens ab dem 12.Tag nach der Befruchtung ein. Sie halten Stammzellenforschung für geboten - um Menschen zu heilen oder am Leben zu erhalten. Sollte die Gesetzeslage dies nicht ermöglichen, geht die Zentrale Ethik-Kommission in ihrem letzten Bericht davon aus, dass "erneuter wissenschaftlicher und ethisch-rechtlicher Diskussionsbedarf" entstehen und eine Gesetzesänderung unter Umständen notwendig werden könnte.
Rechtslage international
Es gibt kein international verbindliches Regelwerk zur Forschung an embryonalen Stammzellen. Die Generalkonferenz der UNESCO veröffentlichte 1997 die "Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschenrechte". Diese befasst sich mit Eigenschaften und Schutz des menschlichen Genmaterials. Ausdrücklich verboten wird nur das reproduktive Klonen von Menschen. Jeder Staat hat die Aufgabe, "Rahmenbedingungen für die freie Ausübung der Forschung am menschlichen Genom" zu schaffen und zu kontrollieren, dass dabei ethische und rechtliche Grundsätze eingehalten werden.Auch im ersten "Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin" des Europarats von 1997 werden keine Regeln für die Stammzellforschung festgeschrieben. Nur die Erzeugung menschlicher Embryonen zu reinen Forschungszwecken ist verboten. In der Europäischen Union wird derzeit vor allem diskutiert, ob verbrauchende verbrauchende Embryonenforschung mit öffentlichen Mitteln gefördert werden soll. Einige Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, lehnen dies ab, da die Forschung nicht im gesamten EU-Gebiet erlaubt ist.
Was woanders passiert
Tiermediziner Woo Suk Hwang aus Südkorea klonte 2004 als Erster einen menschlichen Embryo, um daraus Stammzellen zu gewinnen. Vor kurzem gelang es ihm, ES-Zellen zu produzieren, denen das Erbgut von schwerkranken Patienten eingesetzt worden war. Im Oktober 2005 eröffnete er die erste Stammzellenbank der Welt,die "World Stem Cell Foundation". Deutsche Forscher dürfen deren Angebote nicht nutzen. Ende November musste er von allen öffentlichen Ämtern zurücktreten,weil er zugeben musste, Eizellenspenden von Mitarbeiterinnen angenommen zu haben. In England haben es Wissenschaftler 2005 geschafft,unreife Spermien aus ES-Zellen zu züchten. Sie hoffen, bald auch künstliche Eizellen herstellen zu können. So könnte es in zehn Jahren möglich werden, dass beispielsweise zwei Männer ein gemeinsames Kind bekommen,ohne dass die Eizelle einer Spenderin benötigt wird. Im belgischen Reproduktionszentrum Brüssel sind 2005 durch künstliche Befruchtung erstmals Babys mit ausgewähltem Genmaterial zur Welt gekommen.