Herr Professor Schmitt, es scheint so,als hätten die großen Energiekonzerne den deutschen Strommarkt unter sich aufgeteilt, zu Lasten der Verbraucher. Muss der Staat da nicht etwas unternehmen?
Wo zu viel Konzentration entsteht, steht der Staat in der Verantwortung und muss den Missbrauch von Marktmacht verhindern. Nur dann funktioniert das System der Marktwirtschaft, das Angebot und Nachfrage regelt. Diese Aufgabe wurde bereits vor Jahrzehnten den Kartellbehörden übertragen.
Können die Kartellbehörden Preismissbräuche in der Energiebranche verhindern?
Ganz generell sind die Kartellbehörden für die Kontrolle von Unternehmensfusionen zuständig, aber auch für die kritische Überprüfung der Preisfestsetzung bei Strom und Gas. Erst vor kurzem sind sie bei Gasversorgern tätig geworden. In allen Fällen, in denen ein Versorgungsunternehmen mehr als 50 Prozent der benötigten Gasmenge an einen Abnehmer liefert, sind dessen Lieferverträge zeitlich begrenzt worden.
Rohstoffe wie Öl und Kohle werden irgendwann erschöpft sein, gleichzeitig ist die Energiefrage untrennbar mit Umweltschutz verbunden. Müssen staatliche Eingriffe im Energiebereich da nicht über die Kontrolle von Preisen und Versorgungsnetzen hinausgehen?
Wenn die Nutzung von Energieträgern wie Öl, Gas oder Kohle zu Lasten künftiger Generationen geht, ist der Staat gefordert, diese Nutzung zu begrenzen. Auch die Umweltbelastung – beispielsweise durch Kraftwerke auf Kohle-, aber auch auf Gasbasis – kann nur durch staatliche Eingriffe reduziert werden. Über den Marktmechanismus allein haben zudem neue Technologien wie regenerative Energieträger kaum eine Chance, sich gegen die bereits eingeführten durchzusetzen. Sie brauchen daher staatliche Hilfe bei der Markteinführung.
Was kann die Politik da leisten?
Der Staat kann per Gesetz Gebote oder Verbote erlassen, wie zum Beispiel bei der eingeschränkten Stromerzeugung auf Ölbasis oder beim Weiterbetrieb überalterter Heizungsanlagen mit schlechtem Wirkungsgrad. Erneuerbare Energien werden mit Subventionen, also staatlichen Finanzzuschüssen,aber auch mit Abnahmeverpflichtungen zu Mindestpreisen im Strombereich oder mit einem Beimischungszwang in Kraftstoffen gefördert. Bei der drohenden Erschöpfung von Energieressourcen kann der Staat mit Steuern und Auflagen gegensteuern.
Die ehemalige rot-grüne Bundesregierung hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Welchen Stellenwert hat die Atomkraft jetzt noch?
Auf die Kernenergie entfällt derzeit ein Anteil von etwa 30 Prozent an der deutschen Stromerzeugung. Dieser Anteil geht über jenen des in Braun- und Steinkohlekraftwerken erzeugten Stroms deutlich hinaus. Die meisten Kernkraftwerke sind bereits steuerlich abgeschrieben und der mit ihnen produzierte Strom damit ausgesprochen kostengünstig. Außerdem stoßen sie keine klimaschädlichen Gase aus und sind somit umweltverträglich.
Kernkraftwerke verursachen aber nicht unerhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Bis heute muss der Atommüll in Deutschland sehr kostenaufwändig zwischengelagert werden, weil es immer noch kein gesichertes Endlager gibt.
Die Gegner der Kernenergie rechnen bei einem frühzeitigen Ausstieg mit einem volkswirtschaftlichen Gewinn, weil sich die mit dieser Technologie verbundenen Gefahren sukzessive verringern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Reaktorunfälle, Anschläge auf Nuklearanlagen, den weiteren Anfall radioaktiver Abfälle sowie den Missbrauch von Kernmaterial für terroristische oder militärische Zwecke. Auf der anderen Seite aber wäre die frühzeitige Abschaltung weiterhin betriebsbereiter Kernkraftwerke für die betroffenen Unternehmen auch bei Nutzung der günstigsten Alternativtechnologien aus heutiger Sicht mit der Inkaufnahme höherer Kosten verbunden,die im Zweifel vom Verbraucher getragen werden müssen.
Sehen Sie im Augenblick Alternativen zur Kernenergie?
Die indirekten Effekte eines Kernenergie-Ausstiegs sind nicht zu unterschätzen. Wenn wir mit der Kernenergie eine der wenigen Alternativen zu Öl, Kohle oder Gas aufgeben, stärkt das die Marktposition der Exporteure, insbesondere jener von Öl und Gas. Schon die jüngsten Ölpreissteigerungen auf den Weltenergiemärkten konnten mühelos durchgesetzt werden. Dies liegt an der unerwarteten Nachfragesteigerung, vornehmlich von Schwellenländern wie China, aber auch der USA, genau wie an Kapazitätsengpässen in Förderung und Verarbeitung. So wurde nicht rechtzeitig in Reservekapazitäten bei der Ölförderung investiert. Darüber hinaus konnten in den USA seit Jahren Engpässe in der Raffineriekapazität aus Umweltgründen nicht beseitigt werden. Vor allem aber ist es die wachsende Ohnmacht vieler großer Verbraucherländer, auf entsprechende Preissteigerungen reagieren zu können.
Sind die großen Verbraucherländer also für die Ölmultis erpressbar geworden?
Es ist nicht die Macht der Ölmultis, denen Verbraucherländer wie die USA, Deutschland oder Japan zunehmend ausgeliefert sind, sondern die der Förderländer.
Woher kommt diese Abhängigkeit?
Die großen Verbraucherländer verfügen über vergleichsweise geringe Bodenschätze, die sich für eine wirtschaftliche Energieversorgung eignen. Zudem ist man nicht bereit, die Potenziale bei der Effizienzsteigerung konsequent auszuschöpfen. Gegen die stärkere Nutzung von Kohle sprechen die Klimaschutzrestriktionen, solange es keine Technologien gibt, die die Emission klimaschädlicher Gase vermeiden. Gegen den weiteren Einsatz der Kernenergie spricht nach wie vor die anhaltende Diskussion über die Akzeptanz von Kernkraft.
Können wir die Kernenergie nicht zumindest teilweise überflüssig machen, indem wir im Umgang mit Energie sparsamer werden?
Trotz des Einsatzes immer effizienterer Stromaggregate steigt der Verbrauch aufgrund der überlegenen Produkteigenschaften dieses Energieträgers weiterhin Jahr für Jahr an, Strom ist universell einsetzbar, bequem und sauber in der Handhabung. Im Übrigen ist eine effizientere Energienutzung häufig mit Mehreinsatz von Strom verbunden.
Wie ist das zu erklären?
Dies gilt beispielsweise für die stromintensive Wärmerückgewinnung, aber auch für den Ersatz von Heizöl durch elektrisch betriebene Wärmepumpen.
Wie soll es dann nach dem Kernenergie-Ausstieg weitergehen?
Als Ersatz für die Kernenergie kommen in Deutschland realistisch nur der verstärkte Einsatz fossiler Energieträger wie Kohle und Gas oder eine Ausweitung der regenerativen Energieträger Wind, Biomasse und Photovoltaik in Frage. Selbst nach den in jüngster Zeit zu verzeichnenden Strompreissteigerungen auf den Großhandelsmärkten und unbezweifelbaren Effizienzsteigerungen regenerativer Energieträger muss man damit rechnen, dass die öffentlichen Hilfen für die erneuerbaren Energien von derzeit drei Milliarden auf mittelfristig fünf Milliarden Euro pro Jahr ansteigen werden – sofern die Pläne der Bundesregierung realisiert werden, den Anteil der erneuerbaren Energieträger bis zum Ende des Jahrzehnts mehr als zu verdoppeln.
Die deutsche Steinkohle wird seit Jahrzehnten mit Milliardenbeträgen vom Steuerzahler subventioniert. Ist das noch zukunftsträchtige Energiepolitik?
Wenn es darum geht, Subventionen zu gewähren, werden energiepolitische Erwägungen oft nur vorgeschoben.Vielmehr spielen häufig industrie-, umwelt-, beschäftigungsund regionalpolitische Überlegungen die zentrale Rolle. Deshalb sind solche Subventionen aus energiepolitischer Sicht auch entschieden abzulehnen.
Unter welchen Umständen sind sie zu begrüßen?
Für Energieträger oder Energiesysteme, die für die Sicherung der Versorgung langfristig Vorteile bringen, sind Subventionen durchaus zu vertreten.
Fallen regenerative Energien darunter?
Regenerative Energien benötigen eine Anschubfinanzierung, um überhaupt am Energiemarkt teilnehmen zu können.Subventionen müssen aber immer zeitlich begrenzt werden und bis zum Ende der Förderzeit spürbar sinken. Eine öffentliche Förderung regenerativer Energieträger macht nur dann Sinn, wenn diese auf absehbare Zeit wirtschaftlich werden und sich am Markt behaupten können.
Für welche erneuerbaren Energieträger ist das realistisch?
In Deutschland noch am ehesten für die Biomasse, auch auf dem Wärme- und Kraftstoffmarkt.Windenergie mit Anlagen im Meer könnte wirtschaftlich werden. Dagegen habe ich gegen die Subvention der Photovoltaikenergie unter den in Deutschland vorliegenden Bedingungen erhebliche Vorbehalte. Bei diesen Solaranlagen, die Sonnenlicht in Energie umwandeln, entspricht der Subventionsbedarf derzeit dem Zwanzigfachen des Wertes, der dort als Strom produziert wird.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht der Energiemarkt in 25 Jahren aus?
Das hängt von einer Fülle von Faktoren ab. Dafür wird die weltweite demographische und wirtschaftliche Entwicklung ebenso entscheidend sein wie das zu erwartende Energieangebot und die entsprechenden Nachfragekonstellationen. Zudem wird es darauf ankommen, wie sich das Klima entwickelt, wie die Effizienzsteigerungspotenziale ausgeschöpft und welche energiepolitischen Antworten für die zukünftigen Herausforderungen entwickelt werden.
Wagen Sie dennoch eine Prognose für das Jahr 2030?
Bei einer im Wesentlichen ungestörten weltwirtschaftlichen Entwicklung, einer sinkenden Zahl von Bundesbürgern und zunehmenden Sättigungstendenzen erwarte ich, dass der Energieverbrauch in Deutschland um zehn bis 20 Prozent sinken wird. Gleichzeitig wird der Versorgungsbeitrag der regenerativen Energien von heute zwei Prozent auf 15 bis 20 Prozent ansteigen. Der Versorgungsbeitrag des Öls wird auf 25 bis 30 Prozent zurückgehen, von Kohle auf etwa 20 Prozent, Kernenergie auf zehn Prozent. Dagegen wird der Gasanteil bei rückläufiger inländischer Förderung auf etwa 25 bis 30 Prozent ansteigen. Deutschland wird noch mehr als heute von Energieimporten abhängig sein. Zugleich wird sich der deutsche Energiemarkt zunehmend in einen gesamteuropäischen Binnenmarkt integrieren. Energiepolitische Entscheidungsprozesse werden also immer stärker nach Brüssel verlagert.
Ist die Politik darauf vorbereitet?
Es fehlt ein langfristig angelegtes Energiekonzept, in dem die Ziele festgelegt werden und bestimmt wird, welche Ziele die wichtigsten sind. Die Bundesregierung müsste endlich ihre energiepolitischen Positionen zu den weltweit wichtigsten Problemfeldern markieren.
Was genau ist da wichtig?
Eine Prognose über die voraussichtliche Energiemarktentwicklung, die Beschreibung der Rolle von Politik und Markt. Es müssen Strategien skizziert werden, mit denen man mittelfristig an der Lösung der anstehenden Probleme arbeiten möchte. Ein Zukunftskonzept würde Energieanbietern und Energienachfragern geeignete Signale geben. So könnten sie entscheiden,in wassie investieren und wie sie ihren Verbrauch regeln möchten.
Energie wird teurer: Kann das den Energiemarkt dauerhaft verändern?
Grundsätzlich ja! Aber Kostensteigerungen wollen erst einmal verdaut sein. Investoren sind im Moment verunsichert, was den zukünftigen Kurs der deutschen Energiepolitik angeht. Energiewirtschaftliche Anlagen und Investitionen sind oft auf Jahrzehnte angelegt. Daher kann die Energieversorgung auch nur langfristig umgebaut werden. Es ist aber auch ein Problem der Politik: Denn notwendige Innovationsprozesse werden in Deutschland häufig blockiert oder zumindest gebremst,weil es an Informationen mangelt, weil es Finanzierungsengpässe oder institutionelle Barrieren gibt.
Könnten steigende Energiekosten das Warenangebot beeinflussen? Vielleicht lohnt es sich wegen hoher Benzinkosten nicht mehr, Milch von Frankreich nach Italien zu transportieren, um dort Käse herzustellen, der in Köln verkauft wird?
In vielen Branchen ist der Kostenfaktor Energie auch heute noch vergleichsweise unbedeutend. Die durchschnittliche Energiekosten-Belastung der Industrie liegt bei zwei Prozent. Lediglich in der Stahl-, Chemie-, Baustoff- und Papierbranche liegen die Energiekosten deutlich höher. Die vergleichsweise geringen Schwankungen bei den hohen Energiepreisen lassen nur den Schluss zu,dass der Energieverbrauch für den Konsumenten einen außerordentlich hohen Stellenwert hat. Das hat damit zu tun, dass Energienachfrage eigentlich immer eine abgeleitete Nachfrage ist, mit deren Hilfe ganz andere – und zwar elementare – Bedürfnisse befriedigt werden. Zum Beispiel Mobilität, Entfaltungsfreiheit, Sicherheit, Bequemlichkeit.
Dieter Schmitt,67,ist emiritierter Professor für Energiewirtschaft der Universität Essen.Er ist seit vielen Jahren Berater von Bundesund Landesregierungen und der EU in Energiefragen.