"Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen Willen schnüren in Gesetz. Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus." Kaum hat Karl von Moor diese Worte gesprochen, wird es unruhig im Publikum. Es ist 1971, an der Ost-Berliner Volksbühne werden "Die Räuber" von Friedrich Schiller gespielt. 1781 hat der damals 21-jährige Dichter das Theaterstück veröffentlicht, knapp zweihundert Jahre später ist es immer noch aktuell. Die Regisseure Manfred Karge und Matthias Langhoff haben es als Anklage gegen das autoritäre SED-Regime auf die Bühne gebracht. Nach der Premiere verbietet die DDR-Regierung Schulklassen, die Aufführung zu besuchen.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Schiller-Stück für Unruhe sorgt, schon die heimliche Uraufführung 1782 gerät zum Tumult. Es heißt, "das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht!" Nach der Uraufführung folgen für Schiller Arrest und Schreibverbot, ausgesprochen durch Herzog Karl Eugen. Der junge Dichter muss nach Weimar fliehen. Jener Herzog ist es auch, gegen den "Die Räuber" gerichtet sind. Schiller verachtet ihn, weil er von seiner Gunst abhängig ist – zunächst auf der Karlsschule, einer herzoglichen Militärakademie, wo Schiller Medizin studiert, später bei seiner Arbeit als Dichter.
Das Stück erzählt die Geschichte von Karl von Moor, der seinem guten Elternhaus den Rücken kehrt und sich einer Räuberbande anschließt, um wie die damals populäre Figur Robin Hood unter den Reichen zu plündern und an die Armen zu verteilen. Schiller schreibt der Figur des Karl all jene Ideen auf den Leib, die ihn selbst beschäftigen: Freiheit von Unterdrückung ebenso wie die Freiheit als Gegenentwurf zur eigenen Beschränktheit. So lässt Schiller seinen Helden Karl verkünden, dass jeder Mensch seine Freiheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, erkennen und nutzen müsse.
In den Wochen und Monaten nach der Premiere rotten sich in Schwaben und Bayern Jugendliche zusammen, berichtet 1785 das "Magazin der Philosophie und schönen Literatur". Die Banden wollen "Schillers Räuber reali- sieren". Während der badischen Aufstände 1848/49 wird das Räuberlied gesungen, wie auch 1831 im so genannten Gogenaufstand von Handwerksburschen und Weinbergsarbeitern in Tübingen. Schiller trifft nicht nur den Nerv seiner Zeit, sein Werk verstehen die Menschen zu allen Zeiten. Der junge Friedrich Engels nannte Schiller den "größten liberalen Poeten" und schwärmte: "Er ahnte die neue Zeit, die nach der Französischen Revolution anbrechen würde." Thomas Mann schreibt 1955 in einem Essay voller Bewunderung, dass Schiller seine patriotische Freiheitsbegeisterung sogar auf andere Völker übertrug: auf die Niederlande im "Don Carlos", die Schweiz im "Wilhelm Tell" und auf Frankreich in der "Jungfrau von Orleans". Und es gibt Schiller-Begeisterte, die gar gesellschaftliche Bewegungen mit den Aufführungen von "Die Räuber" in Verbindung bringen. So soll die 68er-Studentenrevolte nicht zufällig zwei Jahre nach Peter Zadeks Räuber-Inszenierung von 1966 in Bremen ausgebrochen sein.
Schiller bringt mit seinem Werk ein menschliches Grundbedürfnis auf den Punkt: die Sehnsucht nach Freiheit. Marcel Reich-Ranicki meinte letztens, "Die Räuber" seien ein "fabelhaftes Stück, die Revolte junger Menschen gegen den Staat, gegen das Establishment. Ein Stück mit Kraft, mit ungeheurer Protestwirkung, herrlich!" 2005 wurde aus Anlass von Schillers 200. Todestag am 9. Mai zum Schillerjahr ernannt, es wurde schlicht mit dem Wort "Freiheit" überschrieben. Nicht nur in "Die Räuber" – in allen Schiller-Stücken spielt die Freiheit die eigentliche Hauptrolle; wobei der Dichter die Freiheit nicht als einen grenzenlosen Zustand beschwört. Die Freiheit des einen hört für Schiller da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt. Karl von Moor erkennt dies am Ende von "Die Räuber". Er entlarvt sich selbst als "Narren, der die Welt durch Grausamkeiten verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrechterhalten wollte". Und liefert sich der Justiz aus.
Schiller habe schon zu seiner Zeit erkannt, so meint Rüdiger Safranski, Autor der jüngsten Schiller-Biografie, "Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus", dass der Freiheitskampf auch eine unerwünschte Wendung haben könne, nämlich, "dass im Namen der Freiheit Terrorismus verübt wird. Terrorismus der Freiheit. Er ist also schon sehr früh auf ein Problem gestoßen, das uns im 20. Jahrhundert noch sehr, sehr beschäftigt hat und weiterhin beschäftigen wird."