Die Dresdner Neustadt ist das, was gemeinhin als Szeneviertel bezeichnet wird. Hier, wo im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenig zerstört wurde, wo die Gründerzeithäuser zu DDR-Zeiten verfielen und manche von ihnen besetzt wurden, reihen sich heute Kneipen neben Dönerläden und Biosupermärkten, und natürlich kommt keine Wand ohne Graffiti aus. Mittlerweile ist die Neustadt auch ein wichtiges Zentrum des Engagements gegen Pegida – und für die Flüchtlinge.

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Da sag noch mal einer was gegen „Szeneviertel“. Die Dredener Neustadt setzt Pegida wenigstens etwas entgegen (Stephan Böhlig/Neustadtspaziergang)

Da sag noch mal einer was gegen „Szeneviertel“. Die Dredener Neustadt setzt Pegida wenigstens etwas entgegen

(Stephan Böhlig/Neustadtspaziergang)

Da sind zum Beispiel die Transparente, die an der Fassade des Projekttheaters in der Louisenstraße hängen. „Für eine weltoffene Gesellschaft” steht da und „Gegen Patriotismus, Rassenhass und nationale Borniertheit“. „Rassismus tötet“ warnt eine Fahne an einem der letzten besetzten Häuser Dresdens in der Böhmischen Straße.

Und da sind Leute wie Melanie Feuerbach. Die ehemalige Entwicklungshelferin engagiert sich in der Aktionsgemeinschaft für Kinder- und Frauenrechte (Akifra), einem Verein, zu dessen Aufgaben neben Graswurzelprojekten in Afrika mittlerweile auch Geflüchtetenprojekte in Dresden gehören. „Wir schaffen es nicht, die Pegida-Leute davon zu überzeugen, dass das, was sie machen, falsch ist“, sagt Feuerbach. „Also treten wir jetzt an die Kinder heran.“

Toleranz und Empathiebildung schulen

Sie arbeitet als Dozentin für Schlüsselkompetenzen, unter ihrer Leitung hat der Verein ein Programm entwickelt, das Erzieher und Grundschullehrer dazu ausbildet, Kinder in Toleranz und Empathiebildung zu schulen. Im Frühjahr 2016 geht es los. „Das sind Fähigkeiten, die in marginalisierten Bevölkerungsgruppen oft nicht genug ausgeprägt sind“, so Feuerbach. Darüber hinaus hat der Verein unter anderem sogenannte ABC-Tische ins Leben gerufen, an denen jeweils zwei oder drei Dresdner mit Asylbewerbern Deutsch lernen oder einfach nur reden. „Die Netzwerke in der Neustadt sind sehr engmaschig“, erklärt Feuerbach. „Die Leute können sich organisieren, um aktiv zu sein und zu helfen.“

Der einzige Stadtteil, der alternativ funktioniert

Das tat etwa Michael Winkler. Der Diplom-Kartograf antwortete im letzten Februar auf einen auf Facebook gestarteten Aufruf und gibt seitdem Sprachunterricht für Asylsuchende. Die Stadtteilbibliothek stellt ihm und einem Mitstreiter jeden Montag- und Mittwochnachmittag ihren Veranstaltungsraum zur Verfügung. Dort übt Winkler mit je zwei bis neun jungen Männern Begrüßungsformeln, Vorstellen und Verben. „Für mich ist es eine Erfahrung, die ich sonst so nicht gemacht hätte“, begründet Winkler sein Engagement. „Ich hab kein Helfersyndrom, ich will nicht die Welt retten. Aber wenn ich keinen Spaß daran hätte, brächte es nichts.“ Außerdem beziehe er Hartz IV, erhalte also etwas vom Staat. „So kann ich auch was zurückgeben.”

Die Schüler seines Kurses kommen aus der Flüchtlingsunterkunft in der Katharinenstraße gleich um die Ecke. Aus der alten Feuerwehrwache sollte eigentlich ein Kreativzentrum werden. Seit Ende Oktober leben hier rund 70 Männer aus dem Irak, aus Afghanistan, Libyen und Syrien. Geleitet wird die Übergangsunterkunft von der Diakonie, verschiedenen Vereinen und Nachbarn. Im ganzen Viertel sind Aushänge angeschlagen, auf denen die Initiative „Bunte Neustadt“ um Sachspenden für die Unterkunft bittet. Vor dem Gebäude steht ein junger Mann in Zivil, eine Wache. Außer am Wochenende, erzählt er, wenn nebenan in den Nachtclubs und auf der Straße Betrieb herrsche, trage er keine Sicherheitsweste, damit die Anwohner nicht denken, von den Heimbewohnern gehe eine Gefahr aus. Michael Winkler wiederum berichtet, dass eine Freundin, die mit ihren Kindern gegenüber des Heims wohnt, sich das Ganze ein wenig skeptisch anschaue, auch wenn es keine Vorfälle gab. „Alles ruhig, die machen keine Probleme”, sagt der Wachmann.

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„Ich bezweifle, dass es in einer anderen Stadt derart viel Engagement für Geflüchtete gibt.” (Stephan Böhlig/Neustadtspaziergang)

„Ich bezweifle, dass es in einer anderen Stadt derart viel Engagement für Geflüchtete gibt.”

(Stephan Böhlig/Neustadtspaziergang)

Manche Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich besonders urbane Mittelstandswohngebiete wie die Neustadt dazu eignen, Flüchtlinge unterzubringen, auch langfristig. Denn je weniger gebildet und je eher von Arbeitslosigkeit bedroht Menschen seien, desto eher sehen sie in Minderheiten eine wirtschaftliche und kulturelle Bedrohung. „Das ist im Prinzip ein guter Ansatz“, meint auch der Politikwissenschaftler Dietrich Herrmann. „Allerdings liegt in genau diesen Stadtteilen das Mietniveau deutlich höher als in anderen. Da Städte angehalten sind, ihre Ausgaben möglichst niedrig zu halten, wird es in der Praxis schwierig, das durchzusetzen.“ Auch ließe sich das, was in der Neustadt passiere, aufgrund ihrer besonderen Bevölkerungsstruktur – viele junge Leute, oft mit Auslandserfahrung und wenig Berührungsängsten – nur schwer auf andere Stadtteile übertragen. Das Gute an Pegida? „Viele Menschen begreifen gerade, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern davon lebt, dass Menschen sich immer wieder neu engagieren.”

Michał Tomaszewski etwa. Der Architekt und Klarinettist ist Gründungsmitglied der ehemals zwölfköpfigen Blasmusik-Kapelle „Banda Comunale“. Ursprünglich fand sich die Band zusammen, um gegen den jährlichen Neonazi-Aufmarsch anlässlich des Jahrestages der Bombenangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 zu protestieren. Seit dem Sommer spielt „Banda Comunale“ auch in Erstaufnahmeeinrichtungen und probt mittlerweile sogar mit Flüchtlingen – mit dem Projekt „Banda Internationale“. „Die gehören jetzt dazu“, betont Tomaszewski. Neue Musiker wie etwa ein Cellist aus Bagdad und ein Sänger aus Damaskus, sie alle sind jetzt Teil der Band und haben damit ein soziales Umfeld gefunden, Freunde. „Dresden ist einfach konservativ und rechts der Mitte“, erklärt Tomaszewski. „Die Neustadt ist der einzige Stadtteil, der alternativ funktioniert. Die Leute reißen sich hier tagtäglich den Arsch auf. Seit einem Jahr."

Der Horror und die Niedertracht

„Banda Comunale“ war für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. Der Preisverleihung am 9. November blieben die Bandmitglieder aber fern, aus Protest gegen die Entscheidung der Stadt, die Pegida-Demonstration am selben Abend, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, auf dem Theaterplatz stattfinden zu lassen. „Natürlich stehen die Zahlen derer im Vordergrund, die auf die Straße gehen, der Horror und die Niedertracht“, sagt Michał Tomaszewski. „Aber ich bezweifle, dass es in einer anderen Stadt derart viel Engagement für Geflüchtete gibt.” 

Anne Waak wurde 1982 in Dresden geboren und lebt als freie Autorin in Berlin.