Pfannkuchenteig. Fertig angerührt in Dosierflaschen, dreimal so teuer, wie sich in einer Minute Eier, Mehl und Milch zusammenzusuchen und das Ganze selber anzurühren. So degeneriert sind Konsumenten in Industrieländern mittlerweile? Als ich in meinem heimischen Supermarkt stand und ungläubig auf die Pfannkuchenteig-Dosierflasche starrte, in deren unmittelbarer Nähe das ebenso degenerierte Produkt „Pizzaburger“ wartete, wusste ich: Das ist er jetzt also, der berüchtigte Eigenkulturschock.
Seit drei Wochen war ich bei diesem Supermarktbesuch wieder in Hamburg, nachdem ich davor ein Jahr lang im westafrikanischen Togo verbracht hatte. Dort hatte ich als Freiwillige in einem Zentrum für sexuell und durch Arbeit ausgebeutete Kinder geholfen und einen ganz anderen Alltag erlebt als in Deutschland. Bevor ich fuhr, wurde ich gewarnt: Man könne sich anschließend „fremd fühlen im eigenen Land“. Nach der Theorie des Kulturwissenschaftlers Martin Woesler erleiden viele Freiwillige, die ins Ausland gehen, nämlich einen doppelten Schock: einen „Fremdkulturschock“, wenn sie ihren Einsatz beginnen, und einen „Eigenkulturschock“, wenn sie nach Deutschland zurückkehren. (Herr Woesler hat sich das übrigens nicht alles ganz allein überlegt, in seinem Modell stecken auch Ideen der Forscherkollegen Cora DuBois und Kalervo Oberg.)
Normal ist, was man für normal hält
Den Fremdkulturschock kennt jeder: aus der Erzählung der empörten Omi, die auf der letzten Ägyptenreise wieder festgestellt hat, dass „die alle so aufdringlich sind“, oder der Freunde, die schockiert berichten, dass in Indien so viel Müll rumlag oder in Kenia der Bus schon wieder nicht kam. Ich lernte ihn in Togo auch viele Male kennen. Als ich für eine neue SIM-Karte fünf Mal zum Mobilfunkanbieter fahren musste oder wenn ich genau wissen wollte, wann ein Bus fährt, es aber keinen Fahrplan gab. Bei diesen ganzen Feststellungen lernt man in erster Linie eine Sache: nämlich was man selbst so für normal hält.
Supermärkte waren dort was für ausländische Anzugträger und Superreiche.
Wenn man aber ein ganzes Jahr lang in einer anderen Normalität lebt, kann es passieren, dass man plötzlich über dosierfertigen Pfannkuchenteig ähnlich entsetzt ist. In Togo hatte ich auf kleinen Märkten oder in Geschäften in der Nachbarschaft eingekauft. Solche hochverarbeiteten Fertigprodukte gab es dort nicht. Supermärkte waren dort was für ausländische Anzugträger und Superreiche. Und selbst dort gab es so ein absurdes Produkt wie diesen Fertigteig nicht.
Mein Honeymoon mit Deutschland
Das Perfide am Doppelschock ist, dass er erst etwas zeitversetzt auftritt. Zuerst einmal findet man nämlich alles ganz prima am neuen oder neuen alten Ort – die sogenannte Honeymoon-Phase: So wie ich anfangs von den neuen Lebensumständen in Togo ganz beschwingt gewesen war, fühlte sich die erste Zeit zurück in Deutschland auch richtig gut an. Ich hatte ja einiges vermisst: Programmkinos, die vier Jahreszeiten, sich beim Ausgehen zwischen Techno-, Indie-, und Hip-Hop-Club entscheiden zu können und nicht immer in denselben Laden gehen zu müssen, in dem der Sommerhit von vor drei Jahren den Höhepunkt des Abends bildet.
Doch mein Honeymoon mit Deutschland währte nicht lange, es folgte Schock-Phase zwei – die Krise. Erste Anzeichen: wundern. Ich fragte mich, warum hier eigentlich niemand so wie in Togo seinen Kolleg/-innen ein „Gutes Ankommen“ wünscht, wenn sie morgens bei der Arbeit erscheinen, oder eine „Gute Verdauung“, wenn sie zum Mittagessen gehen. Wär doch nett!
Bahn zu spät, Essen kalt, Frisur falsch.
Bald wurde aus dem Wundern permanentes Unverständnis über deutsches Miesepetertum: Alle so ungeduldig, so latent schlecht gelaunt und vor allem so distanziert! Und dann die ewige Erwartungshaltung! In Deutschland hatten plötzlich alle wieder so viele und so klare Erwartungen an alles und jeden. Wenn etwas nicht funktionierte, war das Geschrei groß: Bahn zu spät, Essen kalt, Frisur falsch.
Ich wünschte mich an den Busbahnhof von Lomé zurück
Keine Spur von der Gelassenheit, die ich aus Togo kannte: Es war Regenzeit, und alle kamen zu spät, weil die Motorräder im Schlamm stecken geblieben waren? Dann war es eben so! Der Bus nach Norden würde erst losfahren, wenn er voll war, was hieß, dass er noch unbestimmte Zeit auf dem Busbahnhof stehen bleiben würde? Dann warteten wir eben, gerne mal vier bis fünf Stunden. Es waren nicht alle Zutaten für das bestellte Couscous im Bistro? Dann ging die Köchin eben noch mal einkaufen, die Gäste hatten ja Zeit mitgebracht. Und „si dieu le veut“, wenn Gott es wollte, dann klappten die Dinge schon.
Die Krise mündet laut Eigenkulturschock-Theorie in eine Phase der tiefen Unzufriedenheit. Ich war zweifelsfrei mittendrin, als ich mich an den Busbahnhof von Lomé zurückwünschte. Lieber dort warten und schwitzen, als noch einmal mit Gemecker über First-World-Problems behelligt zu werden!
Geld hatte in Deutschland für mich vorher nie eine so dominante Rolle gespielt.
Das Gute an der Phase der Unzufriedenheit ist: Auch hier handelt es sich nur um eine Phase. Ab jetzt geht es nur noch aufwärts. Hinein in die Eigenkulturschock-Phase drei, die Erholung. Während der wird man sich bewusst, was da, wo man war, nicht so toll ist. In Togo herrscht zum Beispiel eine viel extremere soziale Ungleichheit als in Deutschland. Während die meisten einen Zweit- oder Drittjob haben, um überhaupt über die Runden zu kommen, cruisen die „rich kids“ in schicken Pick-ups vom Edel-Fitnessstudio zum Restaurant. Und was ich auch überhaupt nicht vermisste: selber eines dieser „rich kids“ zu sein. Mit meinen 180 Euro Taschengeld hatte ich monatlich viel mehr zur Verfügung als meine Kolleg/-innen, die schon mit der Uni fertig waren. Geld hatte in Deutschland für mich vorher nie eine so dominante Rolle gespielt, in Togo waren alle Freundschaften von den finanziellen Unterschieden überschattet.
Reintegration ist, wenn man wieder über die Deutsche Bahn schimpft
Deshalb ist irgendwann auch mal Schluss mit dem Geschocktsein über die eigene Kultur, wir sprechen von Phase vier – der Anpassung. Endlich kam ich darauf klar, dass es diese Unterschiede zwischen der Fremd- und Eigenkultur gibt, Deutschland wurde wieder normal für mich. Und als ich anfing, mich über die Deutsche Bahn aufzuregen wie eh und je, gab es sowieso keine Zweifel mehr: Meine Reintegration in die deutsche Gesellschaft war erfolgreich abgeschlossen.