Nicht nur im Westen gab es Gastarbeiter/innen. Um Arbeitskräfte für die steigende Produktion zu gewinnen, schloss die Regierung der DDR staatliche Abkommen mit ihren sozialistischen Bruderländern. Die ersten so genannten Vertragsarbeiter/innen kamen 1968 aus Ungarn. Dann folgten Arbeiter/innen aus Algerien, Kuba, Vietnam, Angola und Mosambik. Zur Wende waren es über 90.000, die in Wohnheimen untergebracht lebten und an den umliegenden Produktionsorten arbeiteten. Ihre Lebensbedingungen variierten stark. Je nachdem, was ihre Regierungen ausgehandelt hatten, durften manche studieren, anderen wurden bei der Einreise in die DDR die Pässe abgenommen und sie bekamen für ihre Arbeit nur eine Art Taschengeld – der Rest des Lohnes ging an die Heimatregierungen, zum Teil auch, um Schulden bei der DDR zu begleichen. 

Oft war das Deutsch der Vertragsarbeiter/innen schlecht und der Kontakt zu Einheimischen untersagt – feste Bindungen oder gar Familien sollten gar nicht erst entstehen. Nach spätestens fünf Jahren, so der Plan, sollten die Vertragsarbeiter/innen wieder weg sein. Doch mit der Wende kam es anders. Viele der Fabriken schlossen und die "Brüder" verloren mit ihrem Job auch ihren Aufenthaltsstatus. Die meisten verließen Deutschland. Nur wer sich selbst versorgen konnte, durfte bleiben. Erst 1997 wurde ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht – so wie das der so genannten Gastarbeiter/innen der alten Bundesländer – zuerkannt. Hier erzählen vier DDR-Gastarbeiter/innen ihre Geschichte.

Ha Le Thu, 43, geboren in Hanoi, Vietnam


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cms-image-000021822.jpg (Foto: Isabel Kiesewetter)
(Foto: Isabel Kiesewetter)

Ich wuchs in einem kleinen Haus am Stadtrand von Hanoi auf. Nach der Schule ging ich mit meinen zwei Geschwistern immer beim Kollektiv vorbei; wir holten einen Knäuel Wolle und strickten Handschuhe daraus, um ein wenig Geld zu verdienen. Mit 21 Jahren, 1987, flog ich in die DDR. Ich hatte gehört, dass sie dort Arbeitskräfte suchten und man viel Geld verdienen könne. Als ich ankam, wurde ich in ein Wohnheim in Ahrensfelde gebracht, umgeben von Brachland. 200 Vietnamesen wohnten dort, mein Zimmer teilte ich mir mit zwei anderen Frauen und ich nähte in einer Fabrik im Prenzlauer Berg Lederschuhe. Wenn eine von uns im Wohnheim einen Brief aus der Heimat bekam, lasen wir ihn alle gemeinsam und weinten. Mit der Zeit wurde es besser. Da wir kaum Deutsch sprachen, kamen manchmal vietnamesische Studenten in den Betrieb, die uns beim Übersetzen halfen. Über sie lernte ich meinen späteren Mann kennen. Als die DDR zusammenbrach, verloren wir alle unsere Jobs, nur wer einen neuen fand, durfte bleiben. Ich goss in einer Fabrik Lippenstifte und arbeitete in einem Studentenwohnheim als Putzfrau, Wachfrau und als Briefträgerin. Wenn ich einmal frei hatte, ging ich in die Volkshochschule und lernte Deutsch. Anfang 1992 heiratete ich, noch im selben Jahr bekamen wir einen Sohn und kauften ein Haus in Hellersdorf. Heute geht mein Sohn in die 10. Klasse, seine meisten Freunde sind Deutsche und auch zu Hause sprechen wir Deutsch. Ich fände es schön, wenn er mehr über die vietnamesische Geschichte und Kultur wüsste, aber er interessiert sich eher für Technik.

Moises Mvuama, geboren 1966 in Uige, Angola 


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cms-image-000021823.jpg (Foto: Isabel Kiesewetter)
(Foto: Isabel Kiesewetter)

Als ich nach der 10. Klasse in die DDR kam, dachte ich, ich sei im falschen Film. Man hatte uns erzählt, wir kämen zu unseren Brüdern in ein hoch entwickeltes Land, dass wir die Schule fertig machen und dann studieren könnten. Und dann sahen wir diese lächerlichen Ost-Autos und nicht mal die Cola war echt! Als wir ankamen, wurden uns unsere Pässe weggenommen, wir kamen in ein Wohnheim nach Eberswalde und durften keinen Kontakt zu Deutschen haben. Dann wurden wir aufgeteilt: Die einen kamen zum Arbeiten in eine Fleischerei, die anderen, so wie ich, wurden Schlosser. Kontakt zu Deutschen hatten wir nur in der Kirche.
An einem Abend, kurz nach der Wiedervereinigung, lief mein Freund Amadeu Antonio mit anderen aus einer Kneipe zurück zum Wohnheim, als sie von etwa 50 Jugendlichen angegriffen wurden. Amadeu lief nicht schnell genug. Sie schlugen ihn ins Koma, zwei Wochen später starb er. Ab da an trauten wir uns nicht mehr auf die Straße. Zwischenzeitlich versteckten wir uns sogar bei deutschen Freunden, aus Angst, die Nazis könnten ins Wohnheim kommen. Ich fühlte mich sehr hilflos, aber ich blieb, um aufzuklären. Ich begann, in Schulklassen zu gehen und mit den Jugendlichen zu sprechen. Wer sind wir, warum sind wir hier? Meine Frau ist auch Angolanerin, ich lernte sie in den Ferien in der Heimat kennen und konnte sie vier Jahre später, 1994, nach Deutschland holen. Sie arbeitet als Krankenpflegerin und wir haben vier Kinder, die Angola nur aus dem Fernsehen kennen.

Pedro Frias, geboren 1962, in San Gerán/Holguin auf Kuba


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cms-image-000021824.jpg (Foto: Isabel Kiesewetter)
(Foto: Isabel Kiesewetter)

Wenn ich Kubaner treffe, sagen die oft, ich sei mehr deutsch als kubanisch. Pünktlichkeit ist mir wichtig, das habe ich in Kuba bei der Armee gelernt, dem einzigen Ort auf Kuba, wo es Pünktlichkeit gibt. Kurz nach der Wende wollte meine deutsche Frau mit mir nach Kuba ziehen. Sie mag die Wärme und die Art zu Leben dort. Aber ich sehnte mich so nach Deutschland, dass wir nach sechs Monaten wieder zurückfuhren. Schon als ich 1985, mit 23 Jahren, in die DDR kam, erschien es mir wie das Paradies: die Straßenbahnen, die Autos, Badewannen in allen Häusern und so viele Diskos! Der Flug von Kuba weg war wie eine Zeitreise in die Zukunft. Ich wohnte mitten in Berlin. Die ersten drei Monate tat ich nichts außer Deutsch zu lernen, dann arbeitete ich als Dreher. Nach eineinhalb Jahren wurde ich vom Gruppenleiter zum Dolmetscher ernannt und saß danach unzählige Male in Polizeiautos, um zwischen betrunkenen Kubanern und der Polizei zu übersetzen. In dieser Zeit lernte ich auch meine Frau kennen, eine Berliner Verkäuferin. Wir meldeten uns noch vor der Wende zur Hochzeit an. Mittlerweile haben wir drei Kinder, einen Enkel und wohnen in einem Einfamilienhaus in Berlin-Mahlsdorf. Am Anfang lebten viele der anderen Ausländer auch hier in der Gegend, aber es gab zu oft fremdenfeindliche Kommentare und Angriffe am helllichten Tag. Viele unserer Freunde sind darum weggezogen. Ich sehe nicht sehr ausländisch aus und hatte persönlich noch keine schlimmen Erfahrungen. Aber ich merke, wie der Zusammenhalt und die Menschlichkeit nachlassen. Jeder schaut nur noch auf sich, besonders jetzt in der Krise. Vielleicht hat mich meine Frau bald so weit, dass wir doch noch aus Deutschland wegziehen.

Andrási Nándor-Mátyás, geboren 1951 in Budapest, Ungarn


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cms-image-000021825.jpg (Foto: Isabel Kiesewetter)
(Foto: Isabel Kiesewetter)

Mit 18 Jahren und neun Tagen bin ich in die DDR gekommen, es war ein verregneter Donnerstagabend und ein sehr herzlicher Empfang von der Werkleitung und der FDJ. September 1969 war das, wir hatten gerade 40-jähriges Jubiläum. Das Abkommen zwischen unseren sozialistischen Bruderstaaten beinhaltete, dass wir Beruf und Sprache lernen, drei Jahre lang. Als Ungarn kamen wir überall hin: in Schweißereien, ans Montageband, Fräsereien, Lackierereien, in die Sandstrahlerei. Eine harte Arbeit, aber es hat Spaß gemacht. Ich kam ins IFA-Automobilwerk (heute Mercedes) in die Kleinteilpresserei. Eine tolle Zeit mit Arbeit für alle! Wir hatten eine ungarische Band die "Beat-ton" hieß, es gab viele Auftritte und kulturelle Veranstaltungen zusammen mit der FDJ. Unser Wohnheim hieß im deutschen Volksmund "Paprikahaus": Nur Ungarn lebten dort und manchmal war eine deutsche Frau im Schrank versteckt. Als mein Vertrag auslief, musste ich zurück. Ich hatte allerdings bereits ein Kind mit einer deutschen Frau, darum durfte ich wiederkommen, sie heiraten und bleiben. Heute lebe ich noch immer in Ludwigsfelde und bin aktives Mitglied im Verein Ungarische Kolonie Berlin. Ich habe eine neue Freundin und insgesamt drei Kinder. Im letzten Jahr habe ich meine Arbeit verloren, wegen Krankheit, heute lebe ich von Hartz IV. Ich mache noch immer viel Musik. Ich spiele Gitarre und leite seit sechs Jahren eine Trommelgruppe für Jugendliche.

Katrin Zeug schreibt als freie Journaistin vor allem für die Wochenzeitung Die Zeit. Sie lebt in Berlin.