Was will eine Suchmaschine in unseren Städten? Im Fall von Google: anscheinend mal wieder ein neues Geschäftsfeld erschließen. Mit seinem im Sommer 2015 gegründeten Tochterunternehmen „Sidewalk Labs“ schickt sich der Internetgigant an, nach dem digitalen nun auch das urbane Leben maßgeblich mitzugestalten. Das Unternehmensziel („Das Leben in der Stadt für Bewohner, Unternehmen und Verwaltungen verbessern“) klingt nett, dürfte bei den vielen kritischen Beobachtern des Unternehmens aber eher dystopische Gedanken auslösen: Die Datenkrake schlägt wieder zu – und jetzt unterwirft sie die reale Welt!
Bislang ist noch nicht viel publik geworden über Googles Bürgersteig-Labor. Das Unternehmen sitzt in New York und wird geführt vom ehemaligen Vizebürgermeister der Stadt, Dan Doctoroff, der für wirtschaftliche Entwicklung und Stadterneuerung zuständig war. Auch das bisher einzige bekannte Projekt „Intersection“ ist im Big Apple angesiedelt: Die Stadt soll mit bis zu 10.000 WLAN-Knotenpunkten ausgestattet werden, die kostenloses Surfen und den Zugang zu Informationen und städtischen Service ermöglichen sollen.
Darüber hinaus bleibt es bei vagen Ankündigungen: Man wolle den Nahverkehr effizienter machen, Lebenskosten und Energieverbrauch senken sowie Verwaltungen die Arbeit erleichtern. Das klingt ambitioniert und als würde Google das Leben vieler bald noch mehr bestimmen. In Wirklichkeit arbeiten bereits seit einigen Jahren andere Tech-Firmen, beispielsweise IBM und Cisco, an der digitalen Optimierung der Städte.
Nach der Quasi-Monopolisierung des Suchmaschinengeschäfts und dem Aufstieg zu einem der wertvollsten und einflussreichsten Unternehmen der Welt ist Google in der Vergangenheit bereits mehrfach zum Sprung in die analoge Welt angetreten: mit der Forschungsabteilung „Google X“ (Google-Brille, selbstfahrende Autos, Internetballons), dem Biotech-Unternehmen „Calico“ (Erforschung altersbedingter Krankheiten), den „Nest Labs“ (Rauchmelder, Thermostate) und „Google Fiber“ (Glasfasernetze). Nun also „Sidewalk Labs“, das sich der wachsenden Großstädte annimmt – eines der drängendsten Problemfelder der kommenden Jahre.
„Google kann auch nicht hexen“, sagt der Experte
Der Unterschied: „Sidewalk Labs hat bislang noch keine erkennbaren Ergebnisse auf die Straße gekriegt.“ Das sagt Lars Reppesgaard, Autor („Das Google-Imperium“) und Hamburger Managementberater für digitale Transformation. Auf googlereport.de beobachtet er das Unternehmen seit Jahren. Einen großen Wurf erwartet er von Googles neuer Tochter in nächster Zeit nicht. Dafür sei das Unternehmen einfach zu „dünn finanziert“. Reppesgaard geht von einem einstelligen Dollar-Millionenbetrag aus – wenig Geld für einen „Moonshot“ (so nennt man im Silicon Valley die radikal-bahnbrechende Lösung eines riesigen Universalproblems). Und Peanuts im Vergleich zu „Calico“, das für seine Forschung bis zu 750 Millionen US-Dollar erhalten soll.
Dass Google bald eine ganze Metropole smart vernetzen und vollkommen revolutionieren kann, ist also unwahrscheinlich. „Das scheitert an der öffentlichen Hand, die nicht mal eben eine Milliarde Euro ausgeben kann“, meint Reppesgaard. „Dieser Rahmenbedingung kann auch Google sich nicht entziehen. Google kann auch nicht hexen.“ Er sieht stattdessen eine dezentrale Entwicklung, in der unterschiedliche Akteure ihre Komponenten und Software anbieten, um sämtliche Bereiche des Lebens zu vernetzen und damit auch die städtische Infrastruktur weiter zu digitalisieren. „Google wird nicht – wie etwa beim Einscannen aller Bücher oder dem Abfotografieren aller Straßenzüge der Welt – eine dominante Rolle als Treiber der Entwicklung einnehmen“, glaubt der Experte. Dazu passt Googles Statement, das neue Unternehmen werde Partnerschaften mit anderen Innovationsführern anstreben (so geschehen im Falle von „Intersection“, s.o.).
Bleibt die Angst vor der Datenkrake: Das Sammeln von Daten über den Kopf des Users hinweg steckt schließlich in Googles DNA – und die vernetzte Stadt ist eine riesige Datenquelle. Da ist Missbrauch nie ganz auszuschließen, vor allem wenn die Datenhoheit in der Hand eines einzelnen Unternehmens läge. Doch das ist hier vorerst nicht der Fall. „Und diese Daten kriegt Google auch anders“, ist sich Reppesgaard sicher. Statt einer Dystopie sieht er für Google-Nutzer in einer smarten Stadt vor allem mehr proaktive Empfehlungen – „Nimm lieber eine Bahn früher“ –, gepaart mit maßgeschneiderter Werbung: „Gleich um die Ecke gibt es gute Pizza.“
So weltbewegend sich Googles Pressemitteilungen auch anhören – „Wir stehen am Beginn eines historischen Wandels in den Städten“ –, die eigentlichen urbanen Probleme, darauf weist Kritiker Reppesgaard auch hin, seien doch diese: soziale Ungleichheit, Armut, Mangel an Unterkünften, unstrukturiertes Städtewachstum in Entwicklungsländern. Nicht das High-Speed-Internet der New Yorker. Unterm Strich gehe es Google hier also wohl nur um eins: um first world problems. Dennoch: Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, was Tech-Firmen wie Google in unseren Städten und mit unseren Daten treiben – damit ihre Geschäftsmodelle für uns am Ende nicht doch wesentlich mehr als Luxusprobleme werden.
Der Fotograf Michael Wolf machte Bilder von Google Street View – und lenkt den Blick damit auf seltsame Randerscheinungen und technische Fehler.