"Meine Schuhe sind kinderleicht / Meine Schuhe machen indische Kinder reich / Meine Schuhe machen kindische Inder reich / Ist mir egal / Es ist all egal / Ich hab' neue Nikes." Diese Zeilen rappt Marteria in seinem Track "Neue Nikes" von 2009. Nikes haben Kultstatus, gehören zum globalen HipHop-Dresscode dazu. Dass die Produktionsbedingungen für manche Arbeiter/innen von Nike, Adidas & Co. seit Jahren in der Kritik stehen, scheint vielen egal zu sein. Zuletzt hatte Greenpeace im Herbst 2013 einige Kleidungsproduzenten gerügt, weil sie ihre großen Verbesserungsversprechen noch immer nicht eingelöst hätten.
Alle besorgten Rapper und Nicht-Rapper, die sich nach Shoppingalternativen sehnen, halten Ausschau nach den Schlagworten Nachhaltigkeit und Fairness. Fair-Trade- und Bio-Produkte haben sowohl in Supermärkte als auch in hippe Designerläden Einzug gehalten. Und sie vermitteln den Eindruck: Diese Sachen können mit gutem Gewissen gekauft werden. Auch Schuhe. Klickt man sich auf der Suche nach coolen, aber fairen Schuhen durchs Netz, stößt man über kurz oder lang auf die US-amerikanische Marke Toms Shoes. Schlichte Stofftreter, stilistisch irgendwo zwischen Hipster und Backpacker. Es gibt die Schuhe in unzähligen Farben und Formen und in vielen Läden in Deutschland und auf der ganzen Welt zu kaufen, auch online.
Eins kaufen, eins spenden
Das Auffälligste an Toms: Nicht unbedingt der Schuh, sondern eher das Ziel der Weltverbesserung ist Markenkern. Auf der Facebook-Seite der Firma liest man Geschichten von Wohltätigkeitstaten in armen Ländern. Auf der Homepage erfährt man die Story der Schuhmarke: "Im Jahr 2006 lernte der amerikanische Reisende Blake Mycoskie Kinder in einem Dorf in Argentinien kennen und sah, dass sie keine Schuhe hatten, um ihre Füße zu schützen. Er wollte ihnen helfen und gründete Toms, ein Unternehmen, das mit jedem Verkauf eines Paars Schuhe einem Kind in Not helfen würde." Diese "One for One"-Formel wurde zum Geschäftsmodell und bis Juni 2013 spendete die Firma über zehn Millionen Paar Schuhe in über 60 Ländern. Dafür arbeitet sie mit verschiedenen Hilfsorganisationen vor Ort zusammen und fliegt manchmal Toms-Fans oder Mitarbeiter/innen in das Spendengebiet, damit sie den Kindern die Schuhe persönlich anziehen können.
Der Gründer Blake Mycoskie – er hatte vor Toms schon fünf andere Firmen gegründet – erklärte das "One for One"-Modell zu einer Bewegung, um Andere für soziales Unternehmertum zu begeistern. Im Herbst 2011 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Start Something That Matters" ("Beginne etwas mit Bedeutung"), damit schaffte er es auf die New York Times-Bestsellerliste. Inzwischen arbeiten auch andere Unternehmen nach dem Motto "Buy One Give One", zum Beispiel die US-amerikanische Firma Warby Parker oder die französische Marke Jimmy Fairly. Sie handeln allerdings mit Brillen. Eigentlich doch eine wirklich gute Sache: Beim Kauf jemandem etwas mitzukaufen und ihm damit in seiner Not zu helfen. Was kann daran schlecht sein?
So einfach ist die Sache nicht
Ein genauer Blick auf das "One for One"-Modell als sozialverantwortliche Strategie von Unternehmen lässt manch einen aber doch misstrauisch werden. Zum Beispiel Dr. Sabine Ferenschild, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Südwind e.V., einem Institut, das sich für eine gerechtere Weltwirtschaft einsetzt: "Bei einem solchen Marketing wäre ich erst mal skeptisch. Viel wichtiger sind die Produktionsbedingungen für die Menschen, die für die Firma und ihre Zulieferer arbeiten, außerdem existenzsichernde Löhne in der ganzen Lieferkette."
Toms Shoes beschreibt in seinem Spendenbericht, welche Schuhe wo an welche Kinder gespendet wurden. Aber woher stammt die Baumwolle für die Produktion? Wie kontrolliert man die Herstellung in den argentinischen, äthiopischen und chinesischen Schuhfabriken? Zwar verspricht Toms, dass keine Kinder die Schuhe produzieren und dass angemessene Löhne gezahlt würden, außerdem müssten die Produktionsstätten einen Verhaltenskodex unterschreiben. Ein unabhängiges Siegel (wie zum Beispiel den Global Organic Textile Standard "GOTS" oder "IVN-Best" der International Association of Natural Textile Industry), das eine faire oder ökologische Produktion bestätigt, findet sich in der Selbstauskunft des Unternehmens aber nicht.
Das Problem mit den Sachspenden
"One for One" – das kann man vereinfacht auch Sachspenden nennen. Expertin Ferenschild kritisiert: "Bei Sachspenden handelt es sich um ein vorsintflutliches Entwicklungshilfeverständnis. Hilfe zur Selbsthilfe, Bildung und faire Löhne sind viel wichtiger. Oft wird in Billiglohnländern sehr ausbeuterisch produziert, um dann öffentlichkeitswirksam Geld zu spenden, das vorher eingespart wurde." Auf die negativen Effekte von Sachspenden haben auch andere Kritiker/innen hingewiesen.
Die Journalistin Amy Costello (sie arbeitet für große Sender wie NPR und BBC und war lange Jahre Afrika-Korrespondentin) widmete dem Schuhproduzenten Toms Shoes im März 2012 einen Beitrag auf ihrem investigativen Blog "Tiny Spark". Die Wissenschaftlerin Laura Freschi der New York University sagt darin: "Es beunruhigt mich, dass Toms Shoes den Eindruck vermittelt, in manchen Regionen, in denen das Unternehmen Schuhe spendet, könnten überhaupt keine Schuhe gekauft werden. Tatsächlich gibt es dort lebendige lokale Wirtschaftssysteme. Ich denke, dadurch wird der falsche Eindruck vermittelt, dass absolut keine Schuhe für die Leute verfügbar sind."
Diesen Aspekt kritisiert auch die Huffington Post-Bloggerin und Spendenexpertin Saundra Schimmelpfenning, die ein YouTube-Video zu dem Thema mitproduziert hat. Nicht der Mangel an Schuhen sei das Hauptproblem in Entwicklungsländern – die Armut ist es. Und die Gründe für Armut würden mit geschenkten Schuhen nicht bekämpft. Vielmehr würden Sachspenden die stereotypen Vorstellungen verstärken, dass hilfsbedürftige Länder nur in Abhängigkeit von Industriestaaten über die Runden kommen würden. Zusätzlich würde auch noch das Geschäft lokaler Schuhproduzenten und Verkäufer/innen geschädigt, die Entwicklung eines eigenen Marktes also erschwert.
Tatsächlich alles egal?
Heißt das also, es ist am Ende doch egal, welche Schuhe man kauft – richtig machen kann man eh nichts? Nein, auf keinen Fall, sagt Ferenschild. Man sollte sich unbedingt mit den Arbeits- und Produktionsbedingungen beschäftigen, unter denen Schuhe und Kleidung hergestellt werden. Legt das Unternehmen die komplette Lieferkette offen, und die Angaben wurden durch ein unabhängiges Verfahren überprüft, sind das sehr gute Zeichen. Handelt es sich wirklich um fair produzierte, ökologische Schuhe, könne mit einem Kauf tatsächlich auch ein Unterschied gemacht werden. Fairer Handel und ökologische Materialien sind entscheidende Aspekte, um Umweltbelastungen zu verringern, Ressourcen für kommende Generationen zu schonen und bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu ermöglichen. Es gilt also, einen kritischen Blick auf die Herstellung der Schuhe oder Kleidung zu werfen. Das hilft Menschen in ärmeren Ländern auf lange Sicht mehr als die Spende von einem Paar Schuhe. Wenn man ausführlich recherchiert hat, kann man auch ein gutes Gewissen beim Kauf haben.
Übrigens: In einem Interview mit der Huffington Post hat Blake Mycoskie gesagt: "Zunächst habe ich [die Kritik, Anm. d. Red.] persönlich genommen, aber dann habe ich gesehen, dass sie recht haben damit. Mit dem Geschäftsmodell neue Jobs zu schaffen, das ist der nächste Schritt für uns." Bis Ende 2015 wolle Toms ein Drittel aller Schuhe in den Ländern produzieren lassen, in denen man die Schuhe bisher bloß verteilt.