Keine Frage, es gehört da nicht hin: Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ist im Urin vieler Großstädter gefunden worden und Untersuchungen zufolge auch in Muttermilch. Die Messungen bei der Muttermilch zweifeln deutsche Behörden zwar an, aber an den Funden im Urin gibt es nichts zu rütteln. Was macht so ein Giftstoff im menschlichen Körper?
Glyphosat ist das Unkrautvernichtungsmittel, das Bauern am häufigsten versprühen, weil es gegen nahezu jedes Unkraut wirkt. Schätzungen zufolge knapp eine Million Tonnen erzeugen Fabriken weltweit, von Jahr zu Jahr werden es mehr. Auch weil etwa in den USA oder Südamerika vermehrt gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, von denen viele resistent gegen Glyphosat sind. Der Bauer kann diese Pflanzen unbesorgt mit Glyphosat spritzen. Sie bleiben stehen, das Unkraut dazwischen stirbt ab. Rückstände in den Ernteprodukten gibt es trotzdem: In Getreide, Hülsenfrüchten, Ölsaaten, Tee, Wein und vielen anderen Lebensmitteln wurden bereits Glyphosatspuren gefunden.
Schon lange wehren sich Umweltschutzorganisationen gegen den massenhaften Einsatz des Herbizids. Wirklich Fahrt nahm die Diskussion aber im vergangenen März auf, als ein international anerkanntes medizinisches Gremium unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation, die International Agency for Research on Cancer (IARC), einen Bericht öffentlich machte, wonach Glyphosat wahrscheinlich krebserregend beim Menschen sei und insbesondere einen bestimmten Lymphdrüsenkrebs begünstigen könne.
Dann kam ihr Konter: Nichts Neues bei Glyphosat
Die Nachricht platzte mitten in die behördliche Neubewertung von Glyphosat. Eine solche Revision wird bei jedem Pflanzenschutzmittel alle zehn Jahre vorgenommen. Bis dahin galt Glyphosat den Behörden weder als krebserregend noch als erbgutverändernd. Doch am Votum der IARC konnten sie nicht einfach so vorbei. Die Umwelt- und Verbraucherschutzbehörden und auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit beugten sich also über den neuen Bericht. Im November vergangenen Jahres kam dann ihr Konter: Nichts Neues bei Glyphosat.
Wie kann das sein? Die IARC hat nicht etwa schlecht gearbeitet. Sie hat Veröffentlichungen herangezogen, die untersuchen, wie glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel auf Mensch, Ratten und Mäuse wirken. Die zuständigen Behörden bewerten allerdings per Gesetz ganz andere Daten – unter anderem vertrauliche Studien, die der Hersteller selbst bei Prüfinstituten in Auftrag gibt und die selten öffentlich werden, da sie als Firmenkapital angesehen werden. Solche Studien werden überwiegend mit dem reinen Glyphosat in standardisierten Tests an Tieren oder Zellen gemacht. Das ist wissenschaftlich gründlich und an jedem Ort der Welt nachprüfbar. Aber: Es entspricht nicht ganz der Praxis auf dem Acker. Denn dort spritzt der Bauer nie den Reinstoff, sondern eines von unzähligen kommerziell erhältlichen Unkrautvernichtungsmitteln, die neben dem Wirkstoff Glyphosat noch weitere Chemikalien enthalten.
Da die vom IARC herangezogenen Studien also nicht in das Raster der Behörden passen, bringen diese allerlei Einwände dagegen vor. Vielleicht rühren die Krebseffekte von anderen Zutaten aus den Produkten? Überhaupt gebe es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen verschiedenen Dosierungen und den Wirkungen. Es ist ungefähr so, als würde jemand, der immer ein Mikroskop benutzt, anzweifeln, dass jemand, der eine Lupe verwendet, damit etwas anderes sehen könnte. Es läuft oft nach diesem Muster – und das Blöde ist, am Ende können auch noch beide recht haben.
Was dem Laien nach dem Schlagabtausch der Experten bleibt, ist unerfreulich: die Ungewissheit
Angenommen, bei den eingereichten Studien der Industrie ging alles mit rechten Dingen zu, dann ist Glyphosat als Reinstoff weder erbgutverändernd noch im Tier krebserzeugend. Deswegen könnten aber trotzdem, wie die IARC glaubt, alle oder einzelne Produkte womöglich ein erhöhtes Risiko für bestimmte Tumore beim Menschen nach sich ziehen. Das kann an anderen Stoffen in den kommerziell erhältlichen Produkten liegen oder an Wechselwirkungen der Stoffe untereinander – oder schlicht an den unterschiedlichen Methoden, mit denen die Studien gemacht wurden.
Was dem Laien nach dem Schlagabtausch der Experten bleibt, ist unerfreulich: die Ungewissheit. Einziger Trost könnte sein, dass Lebensmittel künftig strenger auf Rückstände von Glyphosat geprüft werden. Und belastete Ware, auch Bier, in dem der Stoff kürzlich gefunden wurde, verkauft sich nun einmal schlecht. Man kann hoffen, dass deshalb künftig auch weniger von dem Unkrautvernichtungsmittel in den Körper gelangt. Wem das nicht reicht, sollte Bio-Ware kaufen – denn im ökologischen Landbau sind chemisch-synthetische Pestizide wie Glyphosat verboten.
Journalistin Susanne Donner schreibt besonders gern über den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt – und lässt dabei auch Risiken und gesellschaftliche wie ökologische Folgen nicht aus dem Auge. Nebenbei arbeitet sie als Gutachterin für den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages.