Ich sah sie das erste Mal in einem einfachen Restaurant voller Plastikstühle und mit Bob-Marley-Fotos an den Wänden. Sie aß Fufu, Ghanas Nationalgericht. Ein Teigklumpen aus Maniok und Kochbanane, den man mit den Fingern in eine Suppe tunkt. Sie aber balancierte den Klumpen mit einem Löffel Richtung Mund. Plötzlich rutschte das Fufu über den Löffelrand und fiel zurück in die Suppe. Ein lautes Platschen. Die anderen Gäste mussten heftig lachen, als sie das weiße Mädchen mit den Flecken auf dem Shirt sahen. Selbst in ihren Rastalocken hing ein bisschen Suppe. Sie tat mir fast ein wenig leid. Jetzt war schon ungefähr eine halbe Minute vergangen, und die Ghanaer lachten immer noch. Ich ging zu ihr und sagte, dass sie jetzt endlich auch eine Schwarze wäre – wegen der ganzen Palmnusssuppe im Gesicht. Das fand sie aber nicht so lustig.
Seitdem sind wir Freunde. Ich und Charlotte. Ich schreibe diesen Namen hier einfach so hin, aber ich kann ihn bis heute nicht aussprechen. Ich verliebte mich schnell in sie, und wir wurden ein Paar. Eine Win-win-Situation. Ich stieg durch eine weiße Freundin in der Gunst meiner Freunde, und sie erzählte ihren Freundinnen in Deutschland, dass sie sich voll in Afrika integriert und jetzt sogar einen schwarzen Freund habe.
Charly mochte es, so zu tun, als sei sie eine von uns
Meiner Familie war Charly, wie wir sie bald nannten, auch sofort sympathisch. Auf dem Geburtstag meines Bruders tanzte sie zu den Takten von Azonto. Traditionelle Musik kombiniert mit elektronischen Beats. Okay, als sie zum Tanzen in die Hocke ging, tat sie das mit der Eleganz eines die Treppe hinunterfallenden Kühlschranks. Aber sie tanzte, und das gefiel meiner Familie. Charly mochte es, so zu tun, als sei sie eine von uns. Und das mochte ich anfangs auch an ihr.
Über euch Schwarze existieren nur Klischees bei uns, sagte sie.
Das Wort Schwarze darf man eigentlich gar nicht verwenden, sagte sie.
Ich respektiere eure Kultur, sagte sie.
Sie wolle leben wie die Afrikaner, sie brauche diesen ganzen Schnickschnack nicht.
Als wir mal eine Nacht in einem Hotel verbrachten, bestand Charly darauf, im billigsten Zimmer zu schlafen. Der Mann an der Rezeption war irritiert. Er lotste uns schließlich in ein stickiges Kabuff ohne Ventilator, Moskitonetz und mit Ritze im Doppelbett. Am Ende habe ich heimlich ein paar Geldscheine draufgelegt, damit wir ein besseres Zimmer bekamen. Charly drohte mir, sie würde am Strand übernachten. Und so schliefen wir in dem Zimmer, das sie für uns ausgesucht hatte. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.
Keiner meiner ghanaischen Freunde hätte so einen scheußlichen Stoff freiwillig getragen
An einem anderen Tag wollten wir einen Ausflug zu einem Wasserfall machen. Wir trafen uns an der zentralen Bussta-tion in Accra, einem der geschäftigsten Orte in ganz Ghana. Ich sah sie natürlich trotzdem sofort. Denn wie hätte ich die neongrüne Hose mit blau-roten Dreiecken übersehen können. Keiner meiner ghanaischen Freunde hätte so einen scheußlichen Stoff freiwillig getragen. Einmal, als wir meine Eltern besuchten, bat ich sie, ihre bunte Bluse auszuziehen.
Zum Wasserfall nahmen wir schließlich einen normalen Bus statt einen der unwesentlich teureren mit Klimaanlage, weswegen ich völlig verschwitzt war, als wir ankamen. Aber es gab ja eine Erfrischung.
Später wollte Charly meine Sachen waschen – mit der Hand. Dabei hätte man die Kleidung für wenig Geld der Wäscherin, die auch die Bettlaken der Hotelgäste wusch, überlassen können. „Für so was habt ihr in Deutschland doch Maschinen, das hast du noch nie selber gemacht“, sagte ich. Bis zum Abend redete sie kein Wort mehr mit mir.
Nachdem sie die letzte ihrer bunten Jogginghosen gewaschen hatte, kam sie ins Zimmer. Ich saß längst geduscht und mit frischen Kleidern auf dem Bett und checkte meine WhatsApp-Nachrichten. Ich erinnere mich noch genau, wie sie dastand, als ich aufblickte. Mit ihren vom Waschen schrumpeligen Händen, den verfilzten Zöpfen und dem wilden Blick. So, bloß in Schwarz, müsst ihr euch in Deutschland die Afrikaner vorstellen, dachte ich.
Zuerst verschwanden die bunten Kleider, dann die Rastalocken und zuletzt ihr Lächeln auf dem Bildschirm
Eine Woche später war sie dann auch schon weg. Ich brachte sie zum Flughafen. Dort verabschiedete sie sich von ihren weißen Freunden, die auch alle diese grellen, weiten Hosen hatten, und natürlich von mir. Dass sie jetzt zurück nach Deutschland müsse, würde gar nichts zwischen uns verändern, sagte sie.
Am Anfang haben wir viel geskypt, dann immer weniger. Zuerst verschwanden die bunten Kleider, dann die Rastalocken und zuletzt ihr Lächeln auf dem Bildschirm. Seit einem halben Jahr habe ich nichts mehr von ihr gehört. Aber vielleicht kommt sie ja eines Tages wieder, meine weiße Freundin.
Titelbild: Axel Pfaender