Ein hauchzartes Kleid, darunter nur Haut und Knochen: So etwas soll von französischen Laufstegen verschwinden. Allzu dürre Models dürfen in Frankreich nicht mehr auf den Catwalk und auch nicht für Fotoshootings gebucht werden. Ein entsprechendes Gesetz haben die französischen Parlamentarier im Dezember 2015 verabschiedet. Alle Models – übrigens auch die männlichen – brauchen nun eine ärztliche Bescheinigung, dass ihr Gesundheitszustand mit dem Beruf vereinbar ist. Ein wichtiges Kriterium bei der Bewertung der Gesundheit eines Models bildet der Body-Mass-Index. Ein Arzt soll daneben aber auch andere Faktoren berücksichtigen: Körperbau, Geschlecht, Alter, Ernährung und bei weiblichen Models zudem das Ausbleiben der Menstruationsblutung – eine typische Folge von Untergewicht.
Pro: Models sind mediale Vorbilder
Ein sinnvolles Gesetz? Ja, argumentiert unsere Autorin Grit Thönnissen. Denn Models haben Vorbildcharakter. Für sie ist das Anti-Magermodel-Gesetz ein richtiges Signal, das für die ganze Modewelt bedeutsam sein könnte. Schließlich ist Paris immer noch deren Zentrum.
Der Body-Mass-Index hat sich, trotz aller in Einzelfällen berechtigten Kritik, als grobes Maß für ein gesundes Gewicht bewährt. Inzwischen kann man sogar schon auf der Website einer großen deutschen Supermarktkette seinen BMI ausrechnen. Der BMI gibt darüber Auskunft, ob man unter-, übergewichtig oder im gesunden Mittelmaß ist. Nur Alter, Größe und Gewicht eingeben, dann teilt der Rechner Gewicht durch Körpergröße zum Quadrat. Erwachsene gelten laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 als normalgewichtig, bei allem unter 18,5 als untergewichtig.
Diese Grenze bestimmt neuerdings auch in Frankreich mit, ob Models arbeiten dürfen oder nicht. Seit Ende des vergangenen Jahres dürfen sie nur mit einer medizinischen Bescheinigung gebucht werden, die ihnen bestätigt, dass ihr Gesundheitszustand mit dem Beruf vereinbar ist. Der BMI ist dabei ein zentrales Kriterium – so gibt es ein Gesetz des französischen Parlaments vor. Damit sollen zu dünne Models vom Laufsteg und aus Fotostrecken von Magazinen und der Werbung verbannt werden.
Das ist ein richtiges Signal, und da es von Paris ausgeht, könnte es für die ganze Modewelt bedeutsam sein. Denn immer noch ist Paris das Zentrum der Mode. Selbstregulierung funktioniert schlecht in dieser Branche. Der bekannte deutsche Designer Karl Lagerfeld, der sich Gerüchten zufolge vor allem von Diät-Cola ernährt, gibt gern zum Besten, dass doch wohl Dicke und nicht Dünne das größere Problem in der Bevölkerung seien. Weil solche Meinungen vielerorts präsent sind, braucht es den Blick von außen: durch einen Arzt, der nur gesunden Models eine Arbeitserlaubnis erteilt.
Das Gesetz schützt die Models...
Dabei geht es zunächst einmal um den Schutz der Frauen: Modelagenturen suchen Mädchen bevorzugt zwischen 14 und 21 Jahren – also genau in einem Alter, in dem sie beginnen, sich an der Außenwelt zu reiben, ein Selbstbild zu entwickeln, und in dem das Selbstwertgefühl noch sehr beeinflussbar ist. Wenn das vor allem damit verbunden ist, möglichst dünn zu sein, wird es schwierig, andere Werte an sich zu entdecken. Deshalb könnte das französische Gesetz ruhig noch ein wenig weiter gehen und das Modeln erst ab 16 Jahren erlauben. Denn beim Modeln geht es nicht ums Handeln, darum, eigene Vorstellungen durchzusetzen und zu entwickeln. Es geht um Reduzierung – des Körpers, der eigenen Meinung, des Gefühls.
... und uns alle: vor falschen Schönheitsidealen
Außerdem ist das Gesetz richtig und wichtig, weil Models Vorbildcharakter haben: Laut der „Jugendstudie“ des Magazins Bravo fühlten sich vor zehn Jahren knapp ein Drittel der zwölfjährigen Mädchen in ihrem Körper unwohl. Nach der neuesten Studie von 2016 hat sich dieser Wert fast verdoppelt: Jetzt sind 56 Prozent mit ihrem Gewicht unzufrieden, jede Dritte ab 13 kontrolliert ihr Gewicht. Sicher haben außer dünnen Laufstegmodels auch Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) ihren Anteil an dieser Entwicklung, schließlich sind Mädchen genau in diesem Alter die Zielgruppe für die Castingshow. Dass „GNTM“ einen schädlichen Einfluss auf junge Mädchen hat, fand im vergangenen Jahr eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen zum Einfluss von Fernsehsendungen auf Essstörungen heraus. Etwa ein Drittel der 241 überwiegend weiblichen und jungen Patienten gab an, die Fernsehserie sei entscheidend für die eigene Krankheitsentwicklung gewesen. 85 Prozent bestätigten einen negativen Einfluss der Show.
Man sieht es auch den Kandidatinnen an, dass sie mit Heidi Klums Modelcasting aufgewachsen sind. Immer ähnlicher sehen sich die Mädchen, immer mehr ist das Bemühen zu erkennen, einem gängigen Schönheitsideal gerecht zu werden. Ihre Körper sind deutlich schmaler, die Haare lang und in der Mitte gescheitelt, die jungen Frauen diszipliniert schon beim ersten „Walk“, der tausendmal vor dem Spiegel geübt wurde, genau wie der zum „Duckface“ zusammengezogene Mund. Und auch wenn die Jurymitglieder immer wieder betonen, wie „besonders“ ein Mädchen sei – am Ende geht es nur um die Anpassung an die Regeln.
Der Konkurrenzkampf in Paris ist extrem hart
Nach Paris schaffen es die wenigsten Kandidatinnen. Dort wird das Anti-Magermodel-Gesetz umso dringender gebraucht, denn dort ist nicht dünn, sondern knochig das derzeitige Schönheitsideal. Der Designer Hedi Slimane schickt für Yves Saint Laurent jede Saison die dünnsten Models über den Laufsteg und hat damit gerade den größten Erfolg von allen Pariser Designern; die Umsätze steigen.
Zum fragwürdigen Ideal kommt der hochtourige Modebetrieb in Paris, der ebenfalls für das Gesetz spricht: Der Konkurrenzkampf unter den Models ist hier extrem hart. Um beim Modezirkus mitmachen zu dürfen, ziehen dünne Mädchen mit ihren Fotomappen von Designer zu Designer, um oft nach einem kurzen Seitenblick weggeschickt zu werden. Wenn sie Glück haben, unterhalten sich wildfremde Leute über die Länge ihrer Beine, darüber, ob die Hüften für das Kleid zu breit sind und ob der Teint zur Farbe der Bluse passt, manchmal dürfen sie ein paar Schritte gehen, etwas anprobieren, und am Ende dürfen sie vielleicht für fünf Minuten in einem transparenten Kleid auf den Laufsteg. Wenn sie Pech haben, folgen noch viele weitere vergebliche Castings. Erfolgserlebnisse sind im Modelbusiness hart erarbeitet. Die Gefahr ist groß, dass Models ihren Misserfolg auf ihr vermeintlich zu hohes Gewicht beziehen. Da ist es absolut richtig, wenn man sie per Gesetz davor bewahrt, sich bis zur nächsten Modenschau bis auf die Knochen runterzuhungern.
Grit Thönnissen ist Modeautorin des Berliner Tagesspiegels. Während ihres Modedesignstudiums musste sie auch mal auf einen Laufsteg und ist jetzt froh, dass sie nur noch daneben sitzt, um sich Kleider anzuschauen.
Contra: Das Gesetz ändert nichts am Schönheitsideal
Wlada Kolosowa dagegen hält die französische Regelung für gut gemeint, aber wirkungslos. Sie glaubt: Die Modebranche wird Ärzte finden, die auch ungesund dürren Mannequins ein Gesundheitsattest ausstellen. Ein Gesetz ändert nichts, stattdessen muss sich unser allgemeines superdünnes Körperideal ändern, sagt Wlada.
Frankreich verbietet zu dünne Models, um gegen ungesunde Körperideale zu kämpfen. Das ist ungefähr so effektiv, wie ein Stoppschild mitten im Fluss aufzustellen im Kampf gegen fließendes Wasser. Die Motivation hinter dem französischen Gesetz mag gut sein, aber es wird nichts bringen, solange Designer die Musterkollektionen in winzigen Größen herstellen; solange Kunden und Redakteure nur die schlanksten Frauen für Werbekampagnen und Modestrecken suchen. Und solange wir, die Endverbraucher, diese mageren Frauen sehen wollen.
Als einer der Hauptgründe für das Gesetz, das im Dezember 2015 beschlossen wurde, ist immer wieder die Bekämpfung der falschen Körpervorbilder genannt worden. Der Impuls ist verständlich: Man will jungen, beeinflussbaren Frauen ihre dürren Leitbilder nehmen. Das Problem unseres falschen Schönheitsideals wird aber nicht dadurch gelöst, dass ein Model drei Kilo mehr wiegt. Der Grund liegt viel tiefer. In unserer westlichen Gesellschaft sind Diättipps die Grundlage so gut wie jedes Frauenmagazins. Die Klatschpresse kann aus der Gewichtszunahme eines Promis eine gut verkäufliche Skandalgeschichte machen. Schon Vorschulkinder spielen mit spindeldünnen Puppen wie Bratz und Barbie. Mattel hat zwar nun, nach 57 Jahren, eine „Curvy Barbie“ auf den Markt gebracht. Die Mädchen in den Testgruppen, gewöhnt an die übertriebenen Maße der Originalpuppe, kicherten aber, weil sie die kurvigen Barbies als Witz verstanden. Was ich damit sagen will: Auch wenn die Models mehr wiegen werden – die Puppen und Disney-Prinzessinnen bleiben superdünn. Schauspielerinnen bleiben superdünn. Unser Wunschkörper bleibt: superdünn. Solange das so ist, ist das neue Gesetz zahnlos gegen den Magerwahn.
Die Modebranche wird das Gesetz mit Tricks umgehen
Die Annahme, dass hungernde Models dank des Gesetzes plötzlich gesund essen, und ab und zu ein Schokoladencroissant naschen, ist naiv. Wahrscheinlicher ist es, dass skrupellose Ärzte gesucht werden, die ein Auge zudrücken, wenn sie die nötigen Gesundheitsatteste ausstellen. Oder dass vor den Kontrollen Kilos dazugeschummelt werden. Die Modewelt, die viele gesundheitsschädliche Abnehmtricks kennt, wird kaum um Tricks verlegen sein, sich kurz vor den Kontrollen schwerer zu mogeln. Ein Model, das in Israel arbeitete, wo ein ähnliches Gesetz seit 2012 gilt, erzählte mir von Kolleginnen, die ihre BHs mit Sandsäckchen ausstopften, um mehr Gewicht auf die Waage zu bringen, oder literweise Wasser tranken und kilogrammweise Äpfel aßen. Dass jedes Model vor jedem Shooting überprüft wird, ist sowieso utopisch. Und ohnehin hat ein BMI-Richtwert, an dem sich entscheiden soll, ob ein Model arbeiten darf oder nicht, wenig Aussagekraft darüber, ob ein Model gesund isst. Manche essen mit einen BMI von 17, ohne sich einzuschränken, andere haben einen BMI von 20 und leiden an Essstörungen.
Verbote haben am globalen Trend zu „Size Zero“ bisher nichts geändert
Frankreich und Israel sind übrigens nicht die einzigen Länder, die gegen zu dünne Models kämpfen. Spanien verbannte schon 2006 Magermodels von den Laufstegen, Italien unterschrieb eine Grundsatzerklärung. Am globalen Trend zu „Size Zero“ hat es nichts geändert. Dass die Regierung eines Landes, das als Epizentrum der Mode gilt, das Problem erkannt hat, ist löblich. Ihre Lösung dafür scheint jedoch etwas hilflos. Unsere Vorstellungen vom Idealgewicht einer Frau sind so verfestigt, dass man mit einem Gesetz wenig bewirken kann. Man müsste schon kleinen Mädchen beibringen, was ein gesunder Körper und gesunde Ernährung ist – mit mehr Aufklärungskampagnen, vielleicht sogar einem Schulfach. Statt eines Verbots brauchen wir vielfältigere, gesündere Schönheitsideale.
Wlada Kolosowa schreibt als freie Journalistin oft über Mode. Sie sehnt sich danach, dass Lifestyle-Magazine statt unterernährter weißer Teenager endlich unterschiedliche Arten von Schönheit zeigen: große und kleine Frauen, kurvige und dicke, Frauen, die Narben und Falten haben – und viel zu sagen.