Das schönste Geschenk für jeden Musikliebhaber: ein persönliches, auf den eigenen Musikgeschmack abgestimmtes Mixtape. Ist es gelungen, beinhaltet es neben bekannten auch neue Songs, neue Künstler, stößt vielleicht sogar die Tür zu neuen Genres auf. Im besten Fall löst es Begeisterung, Gänsehaut oder sogar Freudentränen aus. Und auch wenn für ein solches Geschenk heute keine Kassetten mehr bespielt, keine CDs mehr gebrannt, ja dank Streaming nicht mal mehr die MP3s vorhanden sein müssen, bedeutet ein gutes Mixtape Aufwand. Um die richtigen Songs auszuwählen, braucht es viel Herzblut – oder gut programmierte Algorithmen.
Seit knapp einem Jahr befindet sich in der Musiksammlung aller Spotify-Nutzer eine Playlist namens „Discover Weekly“ bzw. „Dein Mix der Woche“ bei deutschsprachigen Nutzern. 30 Songs pro Woche, gespeichert werden die bisherigen nicht, stattdessen wird die Playlist jeden Montag überschrieben. Vom ersten Moment an waren der Zuspruch und das Erstaunen über die Treffsicherheit der Playlist riesig. Selbst Musikjournalisten, die den eigenen Musikgeschmack gemeinhin für unglaublich differenziert, einzigartig und den besten der Welt halten (der Autor gehört selbst dazu), waren entgegen der sonst üblichen Eitelkeit: begeistert.
Panik im Netz: ein Montag ohne Playlist
Als letztes Jahr im September an einem Montag mal keine neuen Songs in den Playlists waren, drehten Nutzer in den sozialen Netzwerken durch. Nun fehle dem Montag ja das einzig erfreuliche Erlebnis, so die O-Töne. Das anfängliche Nice-to-Have war längst zur Kernfunktion geworden. Von über 100 Millionen weltweiten Nutzern insgesamt haben 40 Millionen die Playlist bereits fünf Milliarden Mal gestreamt. Der schwedische Streaming-Riese behob das Problem, bevor die Woche endete.
Natürlich ist nicht jeder Track des Mixtapes ein Treffer, aber es sind immer mehrere Treffer dabei, und nur selten liegt „Dein Mix der Woche“ völlig daneben. „Discover Weekly“ erschien vielen Nutzern von der ersten Sekunde an offensichtlich besser als kuratierte Playlists der Konkurrenz bei Google Play Music und Apple Music.
Programmierer statt „Musikexperten“
„Jede unserer Playlisten wurde von Hand zusammengestellt. Daran hat ein Team aus Musikexperten, bestehend aus DJs, Musikern und Musikkritikern, mit größter Sorgfalt gearbeitet“, so Elliott Breece, Produktmanager Google Play Music in Googles eigenem Newsblog. Ins gleiche Horn stößt man bei Apple: „Apple hat die talentiertesten Musikexperten von überall auf der Welt angestellt, mit dem Ziel, die perfekten Wiedergabelisten auf Basis der Vorlieben eines Nutzers zu erstellen“, hieß es in der zum Start von Apple Music veröffentlichten Pressemitteilung. Und Spotify? Der Streaming-Dienst aus Schweden setzt ausschließlich auf den Algorithmus. Statt „Musikexperten“ arbeiten hier Programmierer an der permanenten Verbesserung einer künstlichen Intelligenz, die den Usern wöchentlich neue Songs in die Sammlung spült.
Die Zutaten für Spotifys Geheimrezept
Die Grundlage der künstlichen Intelligenz hinter „Discover Weekly“ liefern die Profile der Spotify-Nutzer. Die eigenen Playlisten und das eigene Nutzerverhalten dienen als Indikator für bevorzugte Genres. Die Informationen über eigenes Verhalten beinhalten nicht nur die abgespielten Titel und Künstler, sondern auch Informationen darüber, welche Titel wie lange abgespielt und übersprungen, welche in die eigene Sammlung aufgenommen und gespeichert wurden. In Sachen Genres kennt Spotify nicht nur die üblichen wie Pop, Rock und Hip-Hop, sondern unterteilt in Hunderte Sub-Sub-Genres, deren Namen weder Nutzer noch Musikredakteure kennen. Existent sind sie nur in den Datenbanken von Spotify und Echo Nest, einem Datendienstleister für Musikanbieter, dessen Software auch vom Musiksender MTV und von der Videoplattform VEVO zur Datenanalyse genutzt wird.
Um Gemeinsamkeiten zwischen Künstlern, Titeln und Genres zu ermitteln, werden die Namen von Playlisten, aber auch (Musik-)Blogs und Künstlerbeschreibungen im Internet sprachlich analysiert, „Natural Language Processing“ heißt die zugehörige Technik. Auch aus der Tonspur selbst werden Informationen gezogen: Taktraten, Frequenzen, Tonhöhen können eine gemeinsame Basis unterschiedlicher Songs sein. „Deep Learning“ nennt sich diese Funktion.
Kritik am Datenschutz
Nun beruhen die 30 Songs der „Discover Weekly“-Playlist aber nicht nur auf dem Geschmack des jeweiligen Nutzers, sondern auf deren Kombination mit den Vorlieben anderer Nutzer. Mögen die Nutzer Michael, Nadine und Sarah zum Beispiel den Song „One Dance“ von Drake, aber nur Michael und Nadine hören ihn oft in Kombination mit „Work“ von Rihanna, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch Sarah diesen Song von Rihanna mag. Denkt man dieses Beispiel größer – also unter Einbezug aller 100 Millionen Spotify-Nutzer –, verwundert die Treffsicherheit von „Discover Weekly“ schon gar nicht mehr so sehr.
Spotify bringt in seinem Algorithmus also mehrere Faktoren zusammen: das eigene Nutzerverhalten, das Verhalten und die Vorlieben aller Nutzer und die Analyse von musikalischen und sprachlichen Inhalten inner- und außerhalb von Spotify mit Unterstützung durch Partner wie Echo Nest. Wie immer bei einem Geheimrezept: Die genaue Gewichtung der jeweiligen Zutaten bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis. Was allerdings klar ist: Je mehr Nutzer Spotify nutzen, je intensiver sie ihre „Geschmacksprofile“ in Form von Playlisten pflegen, desto genauer wird „Discover Weekly“. Es kann also nur besser werden, wenn auch die Daten von möglichst vielen Nutzern genauer erfasst werden.
Und genau das ist auch ein Problem. Denn was den Datenschutz angeht, gerät Spotify immer wieder in die Kritik. Zuletzt, als die Nutzungsbedingungen vergangenen Herbst geändert wurden. Um das Teilen von Musik zu erleichtern, wollte Spotify umfangreichen Zugriff auf Informationen wie Kontakte, Fotos oder Mediendateien. Insbesondere die mobile Anwendung, also die App fürs Handy, forderte weitreichenden Zugriff. Nach massiver Kritik ruderte Spotify-Gründer Daniel Ek persönlich zurück: Man wolle den Nutzern Sprachsteuerung und das Teilen von Fotos ermöglichen, unaufgefordert bediene man sich aber nicht bei den Nutzerdaten.
Wie kann ich meine Daten schützen?
Wenn du deine Daten schützen, aber trotzdem auf Spotify Musik hören möchtest, solltest du ein paar Dinge beachten. Etwa beim Anmelden keinen Klarnamen angeben und eine spezielle E-Mail-Adresse für den Account einrichten. Nicht über Facebook einloggen. Wer die Funktion „Private Session“ klickt, macht seine Playlists nicht öffentlich einsehbar. Wichtig auch: kein Häkchen setzen bei „Meine Personendaten können zu Marketingzwecken weitergegeben werden“. Wenn du Spotify auf dem Handy nutzt, den Zugriff auf die Kamera, das Adressbuch und die GPS-Funktion entziehen. Welche Musik du hörst, untersucht Spotify natürlich trotzdem. Und liefert montags die „Discover Weekly“-Liste.
Titelbild: Renke Brandt