Der Waldboden entfernt sich unter mir, immer rascher. Holzstege schrumpfen, verschwinden ganz unter Zweigen. Der Korb des Baukrans saust hoch, auf die Kronen 50-jähriger Buchen zu. Für einen Moment bin ich auf Augenhöhe mit den obersten drei bis vier Metern Baum, in denen 90 Prozent der Fotosynthese geleistet werden. Schließlich durchbricht die Gondel das Blätterdach, in 40 Meter Höhe rast mein Herz, der Korb schwankt nun hoch über den Wipfeln. Bäume fand ich immer toll. Groß, ruhig, beständig. Und dann noch die Fotosynthese: Was wir ausatmen, diese Extraportion CO2, atmen sie ein. Als Nahrung. Unser CO2 verwandeln sie in Nadeln und Blätter, in Wurzeln, Holz und Rinde, in Äpfel, Kirschen und Kastanien. CO2 plus Wasser, Nährstoffe aus dem Boden und Sonnenschein – mehr braucht ein Baum dazu nicht. Und Sauerstoff fällt auch noch ab. Und weil Fotosynthese der natürlichste und preiswerteste Weg zum Abbau von CO2 in der Atmosphäre ist, fragen sich Wissenschaftler, ob die Wälder in Zeiten des Klimawandels vielleicht noch mehr CO2 speichern könnten oder die grünen Lungen schlichtweg kollabieren, weil durch den Treibhauseffekt auch die Ozonwerte am Boden steigen.
Um Antwort auf diese Fragen zu bekommen, bin ich hier – in der Höhe, gemeinsam mit Forschern im Kranzberger Forst, einem Waldstück bei Freising in Bayern. Ein bizarrer Anblick: Das Stück Wald unter mir sieht aus wie ein Patient auf der Intensivstation. Überall ragen Schläuche, Kabel, Apparate und Gerüste durchs Grün. Ich schwebe über mehr als 50 Doktorarbeiten, über einer Klimazeitmaschine. Seit zwölf Jahren werden die 307 Buchen und 522 Fichten auf dem Versuchsgelände ständig durch Hunderte von Kunststoffschläuchen und kleinen Düsen mit Ozon in einer Konzentration begast, wie sie 2040 normal sein könnte. Ein paar Bäume begasen die Forscher mit besonders präpariertem CO2, um herauszufinden, wie viel Kohlenstoff sich wo angelagert und wie schnell es in die Atmosphäre oder den Boden abgegeben wird. Mit der Klimazeitmaschine im Kranzberger Forst will die Deutsche Forschungsgemeinschaft Antworten auf die beiden zentralen Fragen finden: „Wie steuern Pflanzen bei unterschiedlichen Umweltbedingungen die Aufnahme und Nutzung der Ressourcen Lichtenergie, Kohlenstoff, Wasser und Nährstoff?“ Und: „Wie wirkt sich die Verteilung in der Pflanze auf Wachstum, Konkurrenzfähigkeit und Parasitenabwehr aus?“ Von enormer Bedeutung im Wettlauf des Waldes mit dem „global change“ ist in erster Linie die Zeit. Bis ein Baum ausgewachsen (und interessant für Forstwirtschaft oder Kohlenstoffkreislauf) ist, vergehen meistens mindestens 50 Jahre – manche Bäume, z. B. Kiefern, können darüber hinaus mehrere Jahrtausende alt werden.
Im Vergleich dazu sind die Umschwünge des menschengemachten Klimawandels bloß Wimpernschläge der Geschichte. Seit Kurzem ist die sogenannte „Begasung“ abgeschlossen, die Forscher arbeiten nun an der Auswertung. Ein paar Ergebnisse gibt es schon: So scheinen Fichten das Ozon besser zu vertragen als die Buche. Beide Baumarten produzieren unter Ozonstress weniger Holz und verlagern ihren Vegetationszyklus. So treibt die Fichte früher im Jahr aus, die Buche später – was für beide die Gefahr winterlicher Frostschäden erhöht. Außerdem lässt das Ozon die Bäume aus der Form geraten: Die Fichte wächst schlanker, die Buche weniger stabil. Viel aufgenommenes CO2 wird offenbar schon Tage später wieder über die Rinde abgeatmet. Einige Fragen sind aber noch offen und endgültige Ergebnisse stehen aus. Auch andernorts wird geforscht – z. B. auf einer Plantage in Tennessee. Dort wurden täglich acht Tonnen CO2 auf ein Versuchsgelände mit Amberbäumen geblasen – wodurch ein Wert erzeugt wird, wie er der erwarteten Konzentration von 2050 entspricht. Anfangs nahmen die Bäume das Extra-CO2 gut auf, es war eine Art Baumdoping.
Nach einem Jahr waren die Pappelstämme um 13 bis 40 Prozent dicker
Nach sechs Jahren investierten die begasten Amberbäume aber fast nur noch in neue Wurzeln, der oberirdische Wuchs fiel überraschend zurück. Noch ist es sehr schwierig festzustellen, was sich im Boden genau abspielt und was den Baum treibt. Macht CO2 auf die Dauer durstig? Sind die Wurzeln selbst eine Strategie, um den vielen Kohlenstoff abzulagern oder um einer kommenden Dürre vorzubeugen? Oder sind sie nur Beleg für die Suche nach mehr Nährstoffen, wie Stickstoff? Erstaunliche Ergebnisse liefert auch eine Untersuchung aus Italien, wo drei Pappelarten von 1999 bis 2005 mit CO2 besprüht wurden. Nach einem Jahr waren die Pappelstämme 13 bis 40 Prozent, nach zwei Jahren die Äste 34 bis 56 Prozent dicker als bei der Vergleichsgruppe. Im Wurzelbereich zeigt sich am Ende ein Biomassezuwachs von 54 bis 82 Prozent.
Bei aller Forschung hilft manchmal am Ende auch nur der Zufall weiter – oder eben ein Wunder. So wie beim Kiefernwald am Rande der Negev- Wüste. Als diese symbolpolitische Aufforstung in Israel vor 35 Jahren begann, hätte die botanische Lehrmeinung den Pflanzungen im Zeichen von Völkerverständigung und nationaler Identität wegen Trockenheit und Hitze keine Überlebenschance einräumen dürfen. Dass der in großen Teilen gespendete Wald heute aber keineswegs darbt, sondern sich prächtig entwickelt und selbstständig ins Wüsteninnere ausbreitet, können sich die Forscher des Weizmann Institute of Science nur mit einem erklären: mit dem drastischen Anstieg von CO2 in der Atmosphäre. Erst in dieser geballten Dosis könnten die Kiefern nun genügend CO2 einatmen – ohne dabei ihre Poren weit öffnen zu müssen und im Wüstenklima alle Flüssigkeit zu verlieren. Als nächsten Schritt wollen sich Wissenschaftler aus aller Welt um die tropischen und borealen Wälder kümmern. Denn diese Ökosysteme sind viel größer und daher bedeutender für den globalen Kohlenstoffkreislauf, als die bisher studierten mitteleuropäischen und nordamerikanischen Wälder. Gesucht werden allerdings noch billige CO2- Quellen vor Ort, passende Forschungsdesigns sowie das technische Equipment im Größenmaßstab des Regenwalds. Aber sobald es so weit ist, steig ich da gern wieder in die Gondel und lass mich in die Wipfel bringen – diesmal auf über 60 Meter Höhe.