David Stratmanns Büro liegt in Frankfurt in einem 18-stöckigen Bankhochhaus mit Glasfassaden und einer 52 Meter hohen Eingangshalle. Wenn Stratmann hier um sieben Uhr morgens eintrifft, liest er zuerst die Finanznachrichten von Bloomberg und Reuters, dann starrt er auf einen anderen Bildschirm, auf dem Zahlen blinken und Kurven zucken. Die Daten stammen von den Börsen in Leipzig, London, Amsterdam und Wien. Stratmann klickt mit der Maus, tippt Beträge ein, schickt Kaufs- und Verkaufsorders raus und an einem normalen Tag bewegt er auf diese Weise zwischen zwei und drei Millionen Euro. „Damit“, so sagt er stolz, „gehören wir zu den Top Fünf in Deutschland.“ Stratmann handelt nicht mit Aktien, sondern mit Luft. Oder vielmehr mit der Erlaubnis, sie zu verschmutzen. Die Scheine, mit denen er sich beschäftigt, heißen zum Beispiel ERU, was für „Emission reduction unit“ steht und jedes dieser Papiere hat seinen eigenen Preis. Nur das, wofür sie stehen, ist immer gleich: eine Tonne Kohlendioxid.
42.381 So viele Tonnen CO2 pro Jahr spart ein Kraftwerk in Indien, das mit Abfällen anstatt mit Kohle oder Gas betrieben wird
Der sogenannte Emissionshandel gehört zu den größten umweltpolitischen Experimenten unserer Zeit. Einfach ausgedrückt besteht die Idee darin, dass jedes Unternehmen nur ein begrenztes Recht hat, die Luft zu verschmutzen. Will es mehr CO2 als erlaubt ausstoßen, muss es dafür bezahlen, indem es anderen Unternehmen, die weniger zum Klimawandel beitragen, Zertifikate abkauft. Wichtig ist, dass die globale Gesamtmenge sinkt. Allein im Jahr 2009 wurden weltweit Zertifikate für 90 Milliarden Euro gehandelt. Beschlossen wurde die Grundlage für den Handel mit schmutziger Luft auf der Weltklimakonferenz in Kyoto, auf der sich die Industriestaaten verpflichteten, ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2012 um 5,2 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, sollte der Handel mit Emissionsrechten sein, der 2005 in der EU startete. Die Vereinigten Staaten hatten auf dieses Instrument bestanden, obwohl sie das Kyoto-Protokoll später gar nicht ratifizierten. Dass sie neben China nun nicht dabei sind, gehört zu den Konstruktionsfehlern der Idee.
1.665 So viele Anlagen nehmen in Deutschland am Handel mit Emissionsrechten teil
„Wenn man den Emissionshandel wie im Lehrbuch einführt, ist er sicherlich ein wirksames Instrument“, sagt Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, allerdings war der Start des Gesetzes auch sonst eher holprig. Nachdem das Kyoto-Protokoll 2005 in Kraft getreten war, begannen mehrere europäische Staaten Emissionsrechte untereinander zu handeln. Nahezu gleichzeitig eröffnete die europäische Union das weltweit größte Emissionsrechte-Handelssystem für Firmen, die die Umwelt besonders belasten: Kraftwerke, Stahlwerke und andere energieintensive Anlagen müssen ihren Kohlendioxidausstoß seitdem mit Zertifikaten abdecken. Einen Teil der Zertifikate erhielten sie kostenlos vom Staat, den anderen mussten sie sich je nach Bedarf dazukaufen. Emissionen, die ohne Emissionsrecht erfolgen, werden mit einer Strafe belegt. Doch schon ein gutes Jahr nach Einführung stellte sich heraus, dass die meisten Unternehmen mehr Scheine als nötig erhalten hatten, woraufhin der Preis einbrach. Das Experiment war gescheitert – vorerst jedenfalls. 2008 begann eine neue Handelsphase. Dieses Mal wurden weit weniger Scheine verteilt. Das knappere Angebot führte dazu, dass viele Firmen zum ersten Mal richtig investieren mussten, um ihren Bedarf zu decken. So erwarben allein die Stadtwerke Bremen vor zwei Jahren 899.944 zusätzliche Berechtigungen, der Energiekonzern RWE Power kaufte 67,5 Millionen Tonnen. Seitdem funktioniert der Markt, der Klimaschutz hat jetzt seinen Preis. In Deutschland nehmen mittlerweile 1.665 Anlagen am Emissionshandel teil, die über mehrere Wege an ihre Rechte gelangen: Den größten Teil bekommen sie vom Staat genehmigt, den Rest können sie an der Börse, im außerbörslichen Handel (OTC) oder auch bilateral von anderen Unternehmen erwerben oder auch durch Klimaschutzprojekte erwirtschaften.
Auch diese Idee geht auf das Kyoto-Protokoll zurück: Wer den Klimaschutz in Entwicklungs- und Schwellenländern fördert, kann sich das Kohlendioxid, das er dort einsparen hilft, zu Hause gutschreiben lassen. „Ich bin ein bekennender Fan solcher Projekte“, sagt die Rechtsanwältin Ines Zenke, die Unternehmen zum Thema Emissionshandel berät und ein Buch darüber geschrieben hat, wie Unternehmen Kohlendioxid durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern einsparen können – und so einen Beitrag zur Entwicklungshilfe leisten.
23 Milliarden Euro wurden im Jahr 2008 in Projekte investiert, die den Klimaschutz fördern
Mittlerweile ist auch aus diesem Ansatz ein eigener Wirtschaftszweig entstanden, dessen Umsatz 2008 laut einer Studie der Weltbank rund 33 Milliarden US-Dollar betrug. Dabei teilen sich die Firmen auf diesem Markt in zwei Gruppen auf: Die einen helfen Firmen, Zertifikate zu beantragen, die anderen beglaubigen die Anträge und prüfen später, ob sich der Ausstoß an Treibhausgasen wie vorgesehen verringert hat. Ganz zum Schluss geht der ganze Papierberg an die Vereinten Nationen. Eric Krupp ist einer von denen, die den Nutzen dieses Handels überprüfen. Er ist beim TÜV Nord angestellt, der auch die Autoplaketten vergibt, und dort stellvertretender Leiter einer Abteilung mit weltweit mehr als 120 Leuten, die kontrollieren, ob sich die Firmen auch an ihre Versprechen halten.
40 % der Projekte zum Klimaschutz würden sich einer Untersuchung zufolge auch ohne Zertifikate rechnen
Dafür ist Krupp schon nach Brasilien, China und Südafrika geflogen, in Osteuropa hat er fast jedes Land bereist. Eines seiner ersten Projekte führte ihn in den indischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Eine Firma wollte hier ein neues Kraftwerk bauen, das nicht mit Kohle oder Gas, sondern mit den Abfällen der umliegenden Zuckerrohr- und Reisfelder betrieben werden sollte. Krupp sah sich das Kraftwerk mit drei anderen Fachleuten an und schickte schließlich einen Bericht an die Vereinten Nationen. Tatsächlich sparte die neue Anlage jedes Jahr 42.381 Tonnen Kohlendioxid. „Das ist ein schönes Teil“, sagt Krupp. Doch nicht alle Klimaschutzprojekte funktionieren so gut. So untersuchte Michael Wara, ein Forscher an der amerikanischen Stanford University, das Geschäftsgebaren von Fabriken, die Kältemittel für KühlschraÅNnke herstellen. Dabei fällt ein Treibhausgas an, das 14.800-mal schädlicher als Kohlendioxid ist. Insgesamt 19 Chemiefirmen in China, Indien und Brasilien erklärten sich bereit, ihre Anlagen aufzurüsten und das Gas zu entsorgen. Im Gegenzug erhielten sie Kohlendioxidzertifikate, die sie an Firmen in Industrieländern verkauften. Wara berechnete, dass die Firmen schließlich doppelt so viel mit Zertifikaten wie mit Kältemitteln verdienten. Der Emissionshandel hatte anscheinend einen falschen Anreiz geschaffen: Es lohnte sich plötzlich, so viele Fabriken wie möglich zu eröffnen. „Viele Projekte haben sicher auch Gutes bewirkt, aber es ist nötig, die Anforderungen für die Klimaschutzprojekte zu überarbeiten“, sagt Lambert Schneider, der als einer der wichtigsten Experten auf diesem Gebiet gilt. Er veröffentlichte vor drei Jahren für das Öko-Institut eine Studie, die ebenfalls den Nutzen der Klimaschutzprojekte infrage stellte. Dazu untersuchte er 93 zufällig herausgegriffene Vorhaben. Rund 40 Prozent, so sein Ergebnis, hätten sich auch ohne Zertifikate gerechnet. Wenn die Projekte aber ohnehin umgesetzt worden wären, entlastet ihre Förderung auch nicht die Atmosphäre – so das Fazit. Nicht nur deshalb ist der Emissionsrechtehandel umstritten. Kritiker fordern, mehr Wirtschaftszweige einzubinden und auch andere Treibhausgase als CO2 zu berücksichtigen. Ab 2012 soll sich der Emissionshandel bereits im Luftverkehr etablieren. Der Staat solle zudem die Zertifikate nur noch versteigern und nicht wie bisher größtenteils verschenken.
14.800 So viel mal schädlicher als CO2 können Kältemittel in Kühlschränken sein
Außerdem solle die Obergrenze bei Bedarf angepasst werden, damit die Firmen nicht davon profitierten, wenn plötzlich der weltweite Kohlendioxidausstoß – z. B. wegen einer Wirtschaftskrise wie im vergangenen Jahr – sinkt. Zudem könne ein europaweites System nur ein Anfang sein: „Langfristig hat der Handel nur Erfolg, wenn es weltweit eine Lösung gibt“, so die Energieökonomin Kemfert. Tatsächlich diskutieren Japan, Australien und die Vereinigten Staaten mittlerweile wieder über ähnliche Plattformen. Derweil bereitet die EU die nächste Handelsperiode vor, die 2013 beginnen soll. Die erlaubte Gesamtmenge soll dann weiter schrumpfen, Marktbeobachter rechnen damit, dass der Preis für Zertifikate bis 2020 von derzeit etwa 15 auf bis zu 50 Euro steigt. Den Banker David Stratmann wird das freuen. Für ihn ist es gut, wenn sich der Preis bewegt, weil er am Unterschied zwischen An- und Verkaufskurs verdient: „Ich bin davon überzeugt, dass sich der Emissionshandel zu einem der wichtigsten Rohstoffmärkte der Welt entwickeln wird“, sagt er. Ob er dem Klimaschutz nützt, ist eine andere Frage.