Vor gut 100 Jahren hat der Jazz das Schlagzeug erfunden. Ein Mann sitzt hinter einem Ensemble von Trommeln und Becken und bedient das Ganze mit allen vier Gliedmaßen. Das ist alles. Aber gerade diese neue Kombination von verschiedenen Schlaginstrumenten hat die Musik revolutioniert. Ein Gedankenexperiment macht das verständlich: Stellt euch einmal all die Musik, die uns gegenwärtig umgibt, ohne das rhythmusgebende Schlagzeug vor. Und? Das ist praktisch unvorstellbar. Aber warum?
Der Jazz ist eine afroeuropäische Musik, die in Amerika – genauer gesagt ab 1890 in New Orleans – durch das Zusammentreffen europäischer Harmonik mit afrikanischer Rhythmik und ihrer hochentwickelten Trommelsprache entstand.
Entstanden wäre diese Musik nicht ohne die leidvolle Verschleppung von Millionen Sklaven aus ihrer afrikanischen Heimat in die Neue Welt. Trotz der Entwurzelung und dem teilweise strikten Verbot, Trommeln zu spielen, überlebten die mitgebrachten Rhythmen durch Singen, Tanzen, Klatschen und mit zu Instrumenten umfunktionierten Glasflaschen und Obstkisten. Als die Sklaverei in den USA 1865 endgültig abgeschafft wurde, gab es bei weitem noch keine Gleichberechtigung zwischen den Euro- und nunmehr Afroamerikanern, aber Musik zu machen und die Drums zu spielen war ihnen jetzt allen gestattet. So konnten auch die befreiten Sklaven ihrem aufgestauten Bedürfnis nach Gemeinschaft, Freiheit und Frieden wenigstens durch die Musik einen Ausdruck geben. Und ab da beginnt jener mysteriöse Verschmelzungsprozess der afrikanischen und europäischen Musik, der in den 1920er- und 30er-Jahren in dem weltweiten Erfolg des Jazz gipfelt:
Es war die Zeit der Big Bands, bei denen hinten in der Mitte immer das Schlagzeug thronte und alles antrieb. Getanzt wurde viel und verglichen mit früheren Zeiten auch ziemlich wild. Swing-Jazz taufte man diesen Stil, da er anstatt die schweren Taktzeiten auf 1 und 3 die leichten auf 2 und 4 betonte. Dadurch fing die Musik an zu swingen und riss, dank der wachsenden Verbreitung des Radios, eine ganze Generation bis in alle Winkel der Welt mit sich.
Aus dem Big-Band-Swing entwickelte sich in den 1940er-Jahren als Ableger der Rhythm ’n’ Blues, kurz R’n’B. Kleine, meist fünfköpfige Bands tingelten durch die Weiten der USA und erreichten sowohl in Ballhäusern als auch Nachtclubs alle Gesellschaftsgruppen. Egal woher man kam, man synchronisierte sich dadurch miteinander, dass wie selbstverständlich gemeinsam auf 2 und 4 geklatscht wurde.
Alle Welt hatte nun den Genius des afrikanischen Rhythmus tief in sich aufgesogen, und aus dem R’n’B wurde der Rock ’n’ Roll. Statt zu swingen, fing man Anfang der 1950er-Jahre an zu rocken. Den hart betonten Beat auf 2 und 4 nannte man Backbeat, da er von hinten die Musik zusammenhielt, so dass sie nach vorne heraus nur so explodieren konnte. So war sie genauso explosiv wie die aufkommende Jugendbewegung, die diese treibende Musik zu ihrem Sprachrohr machte.
Der Protest gegen die Elterngeneration und gegen die angespannte politische Lage, wie den Krieg in Vietnam, fand seinen Höhepunkt 1967 im sogenannten Summer of Love. Durch Rock und Pop fand das neue Lebensgefühl seinen musikalischen Ausdruck. Das Schlagzeug spielte dabei immer und immer den Backbeat und wurde dadurch zum Taktgeber der aufgeheizten Stimmung.
Auch die gegenüber den Euroamerikanern immer noch unterprivilegierten Afroamerikaner äußerten sich lautstark. Die Bürgerrechtsbewegung wehrte sich gegen die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung. Diese Strömung ging stark von den Kirchen aus. Der Gospel-Soul verbreitete die Botschaft und gab der Bewegung Selbstvertrauen. Im lebhaften Rhythmus des Funk wurde das politische Selbstverständnis dann geradeheraus ausgesprochen. Der Backbeat tat dabei wie immer seine Pflicht.
Der Sturm der Musikindustrie auf die Massenbewegung der jungen Generation machte allerdings Rock, Pop, Soul und Funk im Laufe der 1970er-Jahre zu gefälligen Spielformen mit reinem Unterhaltungscharakter. Der Backbeat wurde quasi flussbegradigt und war nur noch Funktion. Vom einstigen Symbol des Protests wurde er zum leichtfüßigen Lifestyle, und in der Diskothek war natürlich alles und jeder immer chic – aber irgendwie auch wieder charmant:
Doch bald war es schon wieder vorbei mit Glitzerregen und Stroboskop. Eine neue Underground-Bewegung baute ein vollkommen neues Konzept um die Magie des Backbeats: der Hip-Hop. Da war sie wieder, die Message:
Wie schon der Swing-Jazz der 1930er-Jahre wird der Hip-Hop in den 90er-Jahren zum Chartbreaker. Was den Hip-Hop immer noch mit dem Swing verbindet, ist das Schlagzeug, das unermüdlich die 2 und 4 betont.
Doch gegenwärtig hat man den Eindruck, dass der altehrwürdige Backbeat eine schrittweise Auflösung erlebt, als sei er nur noch eine Formel, die die Normen der Musikindustrie bedient. Wie sinnentleert tut er seinen Job. Meist sind es nur noch Automaten, die Samples hierfür abfeuern – das Schlagzeug hat sich schon aufgelöst? Als Brokenbeat blitzt er manchmal nur noch skizzenhaft auf.
Wäre schade, denn der Backbeat ist das, was aus ihm gemacht wird, und wenn er zu dir spricht, wenn er seinen afrikanischen Genius freisetzt, dann versteht jeder seine Botschaft immer und überall – und das war doch von Anfang an die eine, die der Gemeinschaft, der Freiheit und vor allem die des Friedens.
Als Schlagzeuger hat Max Weissenfeldt schon mit so unterschiedlichen Künstlern wie Lana Del Rey, Dr. John und den Black Keys Platten aufgenommen. Nicht schlecht für einen, der sich das Trommeln weitgehend selbst beigebracht hat. Mit seiner Band Polyversal Souls tourte er unter anderem durch Algerien und Ghana. Dort ist Weissenfeldt regelmäßig, um die Rhythmen Westafrikas zu studieren. Auf seinem Label Philophon veröffentlichen namhafte ghanaische Musiker ihre Platten. Etwa der Rapper Roy X, der jüngste Enkel des ghanaischen Highlife-Stars Ebo Taylor.
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