Filipe Vasconcelos hat zwei Kinder, sein Jüngster ist gerade einmal sechs Monate alt. Für seine Familie zu sorgen ist dem 41-jährigen Portugiesen wichtiger als alles andere. Doch im Portugal der Eurokrise war das unmöglich. Er arbeitete als Projektmanager in einem mittelständischen Unternehmen – freiberuflich, mit befristeten Verträgen. Sein Arbeitgeber konnte sich so die Kosten für Krankenversicherung und Rente sparen. Kündigungsschutz: Fehlanzeige. „Eigentlich ist das Scheinselbstständigkeit, aber in Portugal ist das ganz normal“, erzählt Filipe Vasconcelos. „Wir wurden mit der ständigen Unsicherheit alleingelassen.“
Etliche seiner Freunde und Kollegen hatten genug davon, sie gingen ins Ausland. Also schaute sich auch Filipe um und stieß auf interessante Stellenangebote. Allerdings nicht in Spanien oder Deutschland, sondern in Angola. Das Land im Südwesten Afrikas war mal eine portugiesische Kolonie, und noch heute ist Portugiesisch die Amtssprache. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 2002 erlebte Angola einen rasanten Aufschwung. Vor der Küste wurden riesige Ölquellen erschlossen, die Milliarden in die Staatskassen spülten. Die Hauptstadt Luanda wurde zur Metropole herausgeputzt. Überall war Bedarf an neuen Arbeitskräften.
Eine solche Chance wollte sich Filipe nicht entgehen lassen. Er bewarb sich als Personalmanager – und bekam den Job. Anfang 2013 zog er nach Luanda und machte schnell Karriere. Heute leitet er dort die Personalabteilung einer großen Firmengruppe.
Der Bürgerkrieg in Angola (1975–2002)
Eine halbe Million Tote, vier Millionen Vertriebene und noch immer riesige, von Landminen verseuchte Gebiete: Der 27 Jahre währende Bürgerkrieg in Angola zählt zu einem der blutigsten Afrikas. Der Konflikt wurde auch durch den Kalten Krieg beeinflusst. Auf der einen Seite kämpfte die lange von der Sowjetunion unterstützte MPLA. Die Gegenseite bildete die von den USA geförderte Organisation UNITA, später die weniger bedeutende FNLA.
In Portugal wäre das zuletzt wohl kaum möglich gewesen. Die EU hatte das Land 2011 mit einem 78 Milliarden Euro schweren Finanzpaket vor dem Kollaps gerettet. Die harte Sparpolitik der Mitte-Rechts-Regierung um Premierminister Pedro Passos Coelho, die in den Jahren danach folgte, bedeutete für weite Teile der Bevölkerung nichts Gutes: weniger Jobs, kaum Sozialstaat, so gut wie keine Investitionen. Filipe und viele andere Portugiesen sahen in ihrem Land keine Perspektive mehr für sich.
Exodus in die ehemalige Kolonie
Die Tausende Kilometer entfernte ehemalige Kolonie Angola, die erst 1975 offiziell unabhängig wurde, war für viele Portugiesen wie Filipe der Ausweg aus der Eurokrise. Zwischen 100.000 und 150.000 seiner Landsleute fanden in Angola neue Jobs. Viele von ihnen schickten Geld zurück in die Heimat, um ihre Familien zu unterstützen – eine paradoxe Entwicklung, denn über Jahrzehnte hinweg war es umgekehrt gewesen. Angolanische Arbeitsmigranten gehörten in Portugal bis zum Beginn der Krise zum Alltag.
Mit Angolas boomender Wirtschaft wendete sich das Blatt. Über Jahre hinweg wuchs sie durchschnittlich um acht Prozent. Hauptverantwortlich dafür waren die riesigen Ölvorkommen, deren Export 70 Prozent der Steuereinnahmen ausmachten.
Doch der Boom hat auch eine Kehrseite: Angolas Wirtschaft funktioniert nicht ohne Öl. Ende 2008 brach der Rohölpreis erstmals ein und riss die Wirtschaft zu Boden. In den Folgejahren wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwar wieder kräftig, aber die Abhängigkeit blieb. Im vergangenen Jahr war es dann so weit. Der Ölpreis sackte erneut in den Keller. Die Staatseinnahmen sanken drastisch und rissen ein knapp sieben Milliarden Euro großes Loch in den sonst so soliden Haushalt. Das Wirtschaftswachstum ist jetzt nur noch halb so groß. Ein Nebeneffekt der Krise: Die Portugiesen kommen nicht mehr.
Filipe Vasconcelos bekommt die Krise bisher selbst zwar nicht zu spüren, doch wandern täglich Hunderte Lebensläufe von Arbeitslosen über seinen Schreibtisch. „Das stimmt einen schon nachdenklich. Wir machen uns alle Sorgen, wie es weitergeht.“
Filipe fühlt sich wohl in Luanda. Aber was passiert, wenn auch er seinen Job verliert? Diese Frage stellt er sich oft. Seit ein paar Wochen denkt er sogar über eine Rückkehr nach Portugal nach. Je länger die Unsicherheit andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass er seine Sachen packt und zurückkehrt. Ein schlecht bezahlter Job in seiner Heimat scheint ihm immer noch besser als Arbeitslosigkeit in Angola.
Wenn das neue Land zur Heimat wird
Fernando Almeida, der ebenfalls als Arbeitsmigrant aus Portugal kam, würde Angola dagegen nur ungern wieder verlassen. Für den 41-jährigen Bauingenieur aus Porto ist das Land inzwischen zu seiner neuen Heimat geworden. Er hat in der angolanischen Hauptstadt Luanda nicht nur einen Job gefunden, sondern auch sein privates Glück. Fernando und Joana, eine Angolanerin, sind seit letztem Jahr verheiratet und haben eine dreijährige Tochter.
Fernando kam schon 2008 nach Angola, also bevor die Immobilienkrise Portugal erschüttern sollte. Der Wiederaufbau nach dem langjährigen Bürgerkrieg hatte damals erst begonnen. Luanda war nicht die strahlende Megacity von heute, sondern vielerorts noch eine Ruine, mit schlechter Infrastruktur und Stromausfällen – für Arbeitsmigranten eigentlich kein attraktiver Standort. „Ich war fast der einzige Ausländer. Sich zu integrieren war bei weitem nicht so einfach, wie das heute ist“, erinnert er sich.
Doch inzwischen bekommt er die Wirtschaftskrise immer deutlicher zu spüren. Aufträge brechen weg, Bauvorhaben werden zurückgezogen, und Kunden verlassen das Land. „Ich entwickle mich nicht mehr weiter“, beschreibt Fernando seine Situation. „Klar macht man sich da seine Gedanken.“
Angola hat auch schlechtere Chancen, aus der Krise zügig wieder herauszukommen, als Portugal im Jahr 2011. Denn Portugal verfügte über finanzstarke Partner, eine soziale Umverteilung und demokratische Strukturen. Angola hingegen hängt am Tropf des Öls. Präsident José Eduardo dos Santos regiert das Land seit 36 Jahren mit harter Hand. Er hat es nicht geschafft, in nennenswertem Maße andere ökonomische Entwicklungen anzustoßen.
Stattdessen hat er ein System der Vetternwirtschaft etabliert: Seine Tochter Isabel leitet den staatlichen Ölkonzern Sonangol, und auf dem Korruptionsindex von Transparency International landete Angola auf Rang 163 von insgesamt 168. Nur in wenigen anderen Ländern ist die Spanne zwischen Arm und Reich größer als in Angola. Unlängst wurde Luanda zum vierten Mal in Folge zur teuersten Stadt auf dem gesamten Globus gekürt – noch vor Hongkong oder Zürich. Ein durchschnittliches Zwei-Zimmer-Apartment kostet in bestimmten Stadtvierteln rund 6.700 Dollar Miete im Monat.
Titelbild: Paolo Garcia arbeitet das erste Mal für eine Öl-Firma. Weil die Bedingungen in Angola außergewöhnlich sind, sagt er. Foto: Joan Bardeletti