60 Millionen US-Dollar für Spucke? So viel zahlte der kalifornische Biotech-Riese Genentech vergangenes Jahr für die im Speichel von 3.000 Parkinson-Patienten enthaltenen Genome. Für das Unternehmen lohnt sich die Investition vielleicht schon bald, denn aus dem Datensatz will man Hinweise zu der weit verbreiteten Krankheit sammeln und diese vermarkten.
Die Daten kamen vom US-amerikanischen Genetik- Dienstleister 23andMe (die 23 steht für die Anzahl der menschlichen Chromosomenpaare), der dafür doppelt kassierte – denn alle seine bislang 800.000 Kunden, die ihren Speichel für eine Gen-Analyse an das Unternehmen schickten, haben für die Auswertung ihrer Daten bezahlt. Für 149 Dollar fertigt 23andMe zum Beispiel eine Auswertung über den Stammbaum einer Person an. Das Unternehmen wirbt damit, herauszufinden, „aus welchen Bevölkerungsgruppen der Welt“ Gen-Anteile in einem DNA-Datensatz enthalten sind, und nebenbei noch die Wahrscheinlichkeit zu kalkulieren, wie früh man eine Glatze bekommt. Außerdem will 23andMe die Krankheitsvorsorge revolutionieren. Weil die Gen-Analysen zur Vorhersage von schweren Krankheiten wie Brustkrebs oder Alzheimer aber zu unsicher sind, verbot die US-amerikanische Behörde FDA dem Unternehmen 2013 den Verkauf solcher Auswertungen. Im vergangenen Jahr hat die FDA für einige Krankheiten allerdings wieder die Vorgaben gelockert. Schlagzeilen machte auch die Meldung, dass sich Angelina Jolie die Brüste amputieren ließ, nachdem ein Gentest ein hohes Krebsrisiko ergeben hatte. Wie sich am 60-Millionen-Deal zeigte, ist das wichtigste Geschäft von 23andMe aber ohnehin nicht die Gen-Analyse, sondern der Weiterverkauf der Daten. Die Einzelanalysen rentieren sich vermutlich gar nicht. Die Nutzer der 23andMe-Angebote, die sich über die preiswerten Analysen freuen, können sich dabei auf einen Merksatz besinnen, der auch bei Facebook oder Google zutrifft: Wenn die Nutzung eines Produkts verdächtig billig ist, hast du nicht unbedingt ein Schnäppchen gemacht – dann bist du wahrscheinlich selbst das Produkt.
Informationen über die DNA eines Menschen werden in Zukunft sehr gefragt sein, so wie es heute schon die privaten Dinge sind, die die Menschen in den sozialen Netzwerken bereitwillig ausplaudern. Was jetzt noch wie Science-Fiction klingt, ist durch die Sammlung umfangreicher Gen-Datensätze einer Bevölkerung durchaus vorstellbar. So könnten in Zukunft etwa Krankenversicherungen Zugriff auf die Datenbank erhalten und für all die Personen einen höheren Beitragssatz verlangen, deren Gen-Daten ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten vermuten lassen. Bekämen Arbeitgeber Einsicht in die Daten, könnten sie ihre Einstellungspolitik davon abhängig machen, wem eine besonders gesunde Zukunft vorausgesagt wird – und andere ausschließen.
Bei alldem müssten zwar die Gesetzgeber mitspielen, zur Zeit wäre es in den meisten Ländern der Welt illegal. Heutzutage ist allerdings durchaus vorstellbar, dass etwa Versicherungen für die Einsendung einer Speichelprobe Vergünstigungen anbieten. Und selbst wenn man die eigenen Gen-Daten nicht zur Verfügung stellt, landen persönliche Gen-Sequenzen womöglich trotzdem in einer Datenbank. Entscheiden sich nämlich nahe Verwandte, im Extremfall sogar ein Zwilling, dazu, ihre Gen-Daten weiterzugeben, ist ein großer Teil der eigenen DNA automatisch mit dabei. Mitgefangen, mitgehangen.
Es gibt noch weitere Einsatzmöglichkeiten der Gen- Datenbanken. So könnten genetische Fingerabdrücke in nicht allzu ferner Zukunft als Ersatz für Ausweiskontrollen fungieren. Das zeigte das Online-Projekt „Genetic Access Control“, das 2015 veröffentlicht wurde und das es den Nutzern (bis zu seiner Deaktivierung) ermöglichte, den Zugriff auf eine Website per Gen-Ausweis zu kontrollieren. Wie man es von Websites und Apps kennt, die sich mit Google oder Facebook verbinden und dafür Zugriff auf die Zugangsdaten des Accounts haben wollen, griff „Genetic Access Control“ auf Nutzerkonten bei 23andMe zu, um die Besucher der Seite zu checken. Wenn aber bestimmte Websites nur besucht werden können, wenn eine spezielle DNA vorliegt, ist es natürlich möglich, Personengruppen zu diskriminieren. Beispielsweise wäre es durch Prüfung des Gen-Codes möglich, nur Männern oder nur Frauen das Surfen auf eine Website zu erlauben oder Personen mit Gen-Merkmalen aus einer bestimmten Weltregion vom Zugriff auszuschließen.
Die Macher des Projekts warben unter anderem damit, dass Gen-Sequenzen relativ fälschungssicher sind, da sie sich nicht ändern. Allerdings können sie missbraucht werden. Selbst die Meisterhacker des amerikanischen Nachrichtendienstes NSA mussten in jüngster Vergangenheit erhebliche Datenlecks reparieren, von großen Unternehmen wie Sony ganz zu schweigen. Dass also die Gen-Daten einiger Teile der Bevölkerung irgendwann auch frei im Internet gefunden werden können, erscheint nicht besonders unwahrscheinlich.