Ein Klopfen. Ein Quietschen. Dumpfe Schläge. Nächtliche Geräusche ängstigen das Paar Micah und Katie. Um ihrem Ursprung auf die Spur zu kommen, installieren die beiden eine Überwachungskamera in ihrem Haus. Tatsächlich finden sie heraus, dass eine dämonische Präsenz es vor allem auf Katie abgesehen hat. Eines Nachts kommt es zu einem fürchterlichen Kampf.
„Paranormal Activity“ aus dem Jahr 2007 gilt bis heute als der finanziell erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten. Bei Produktionskosten von rund 15.000 Dollar spielte er weltweit mehr als 193 Millionen ein. Dabei fußt die Geschichte auf einer Urangst der Zuschauer: dass in der Dunkelheit das Grauen wartet und auch das heimische Schlafzimmer keinen Schutz bietet.
Und das nennen wir dann auch noch Unterhaltung? Sind wir in unserem täglichen Leben nicht schon mit genügend realen Schrecken konfrontiert? Warum tun wir uns das an? Weil wir dabei sogar Lust empfinden können, meint der Psychologe Ulrich Kobbé: „Wir verlassen nur in Gedanken unsere sichere reale Welt, setzen uns mit Wonne den virtuellen Gefahren aus, aber behalten stets im Hinterkopf, dass wir im nächsten Moment schon in unser friedliches Wohnzimmer zurückkehren können.“ Der Mensch spiele gern mit solchen Gedanken, um zu lernen, mit den unangenehmen Seiten des Lebens zurechtzukommen, meint Kobbé.
Diese Wirkweise ist seit über 2.000 Jahren bekannt, schon Aristoteles beschreibt sie in seiner „Poetik“ als „Läuterung der Seele von Erregungszuständen“. Die sogenannte Katharsis, die er für das griechische Drama beschrieb, gilt durchaus auch für den Film und den Horrorfilm im Speziellen. Zumal der über besondere Mittel verfügt, den Zuschauer zu erschrecken. Schließlich ist kein anderes Medium „in der Imitation der Wirklichkeit so weit gediehen“ wie der Film, schreibt der Kritiker Georg Seeßlen.
Schon rund 20 Jahre nach seiner Erfindung wurde deutschen Regisseuren klar, dass sich die Kamera nicht nur dazu eignet, besonders realistische Bilder der Realität festzuhalten, sondern dass man mit ihr auch die im tiefsten Inneren der Menschen versteckten Ängste sichtbar machen kann. Wahre Schreckgestalten suchten damals die „dämonische Leinwand“ heim, wie die Filmkritikerin Lotte Eisner die Zeit zwischen 1919 und 1924 nannte.
Zu den populärsten Monstern zählten „Der Golem“ (1920), „Der müde Tod“ (1921), ein Schlafwandler in „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1919). Auch den Vampir machten die Deutschen mit „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ (1922) zur Filmfigur, die bis heute durch die Horrorfilme geistert. Sie zeigten, dass Horrorfilme nicht nur individuelle Ängste aufnehmen, sondern auch die einer ganzen Gesellschaft: Nach heutiger Deutung spiegeln diese Filme die Unsicherheit der Zeit ihres Entstehens. Die Frühzeit der Weimarer Republik war geprägt durch Inflation, Umsturzversuche und politisch motivierte Morde, bevor sich die erste deutsche Demokratie ab 1924 – wenn auch nur für kurze Zeit – stabilisierte.
Besonders atmosphärisch und gruselig wurden diese Filme durch ihre expressionistische Inszenierungsweise. Licht-Schatten-Effekte, bizarr verzerrte Bühnenbilder und stark geschminkte Darsteller machen sie zu Kunstwerken des Schreckens. Die Filmsprache des Expressionismus beeinflusste auch die klassischen Horrorfilme, die ab den 30er-Jahren in Hollywood entstanden. „Dracula“, „Frankenstein“ (beide 1931) und „Die Mumie“ (1932) setzten ebenfalls Schatten für schaurige Effekte ein. Sie orientierten sich an der klassischen Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts und lieferten zeitlose Motive und Charaktere, die im Lauf der Filmgeschichte immer wieder aufgenommen wurden.
Deutlicher als Ausdruck verbreiteter Ängste identifizierbar wurden Horrorfilme dann wieder in den 50er-Jahren. Die hochhausgroße Echse „Godzilla“ (1954) erwuchs aus den Erfahrungen der Japaner mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki; die mutierte Riesenspinne „Tarantula“ (1955) reflektierte die auch in den USA verbreitete Angst vor den Risiken des Atomzeitalters.
Dass der Horrorfilm nicht nur Ängste verarbeitet, sondern der Gesellschaft auch einen Spiegel vorhalten kann, zeigte der amerikanische Filmemacher George A. Romero 1968 mit „Die Nacht der lebenden Toten“. Darin schwärmen Horden von Zombies aus, eine bis dahin noch nicht sehr populäre Form des Monsters. Bei Romero standen die stolpernden Untoten für das Andere, Fremde; der Film wird als gesellschaftskritische Parabel auf den Rassismus gelesen. Die Fortsetzung „Zombie“ („Dawn of the Dead“) aus dem Jahr 1978 spielt in einem Einkaufszentrum und war ein bitterer Kommentar auf den übersteigerten Konsumwahn seiner Landsleute.
Im Lauf der Jahrzehnte wandeln sich die Ängste genauso wie die Moden im Filmgeschäft. Heute plagen uns Menschen große Sorgen, die die Zukunft auf der Erde betreffen: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Epidemien. Das zeigt sich auch im Kino. Seit einigen Jahren treten Horrorfilme, die in den Nullerjahren so erfolgreich waren, wieder in den Hintergrund. Jetzt sind Filme über den Weltuntergang angesagt wie nie.
Ob in „Planet der Affen: Revolution“, „Edge of Tomorrow“ oder „Interstellar“ – ständig musste die Menschheit im Kinojahr 2014 um ihr Überleben kämpfen. Das heißt aber nicht, dass Horrorfilme ihre Wirksamkeit verloren hätten. Für Furore sorgt bei Fans derzeit der australische Schocker „The Babadook“, in dem eine Spukgestalt aus einem Kinderbuch eine alleinerziehende Mutter heimsucht. Der Film soll 2015 auch in Deutschland starten und zeigt: Monster kommen und gehen, unsere Angstlust aber, die ist immer da.