Eine Seelenverwandtschaft steht im Zentrum von „Wie der Wind sich hebt“. Derartige Verbindungen sind durchaus üblich im Werk des Japaners Hayao Miyazaki, dem Schöpfer rauschhafter Zeichentrickabenteuer wie „Prinzessin Mononoke“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“. Doch diesmal handelt es sich nicht um eine Seelenverwandtschaft zwischen zwei Protagonisten, sondern um eine zwischen dem 73-jährigen Anime-Regisseur und seiner Filmfigur. Sein neuer Film ist Ausdruck des tiefen Respekts vor dem Flugzeugingenieur Jiro Horikoshi (1903–1982), dessen Träume wohl noch höher flogen als die von Miyazaki selbst.
Schon als kleiner Junge träumt Jiro vom Fliegen, und in diesen Träumen trifft er den italienischen Flugpionier Gianni Caproni, dessen Doppel- und Dreifachdecker hier zu monströsen Luftschiffimaginationen zusammenwachsen. Fantastische Flugmaschinen gehören in Miyazakis Filmen zum festen Inventar; etwa in „Porco Rosso“, der melancholischen Geschichte eines schweinsköpfigen Piloten im italienischen Faschismus, oder in Kinderfilmen wie „Kikis kleiner Lieferservice“. Für Hayao Miyazaki, Sohn eines japanischen Flugzeugunternehmers, sind Leben und Fliegen seit jeher dasselbe. Jiro Horikoshis Traum ist auch sein Traum.
„Wie der Wind sich hebt“ ist Miyazakis erster Erwachsenenfilm, angesiedelt in der realen Welt – wenn auch der Regisseur die Geschichte Jiro Horikoshis zum Teil fiktional anreichert. Der muss am Beginn des Films erst mal am Boden bleiben: In den Mitsubishi-Werken entwirft er erste Marineflugzeuge fürs japanische Vaterland, einige fallen recht unpatriotisch vom Himmel. Er wird zum Studieren nach Nazideutschland geschickt, darf bei Junkers die weit fortgeschrittenen Fertigkeiten seiner Gastgeber bewundern. Ganzmetallbau! „Wie der Wind sich hebt“ liefert ganz nebenbei ein grandioses Stück Technikgeschichte.
Kriegsmaschinerie einer Kolonialmacht
Das Leichtjagdflugzeug A6M, geannt „Zero“, Erstbaujahr 1939, wird schließlich zu Horikoshis großem persönlichen Triumph, für den er alles zurückgestellt hat, selbst die Gesundheit seiner Geliebten und späteren Ehefrau Naoko, die an Tuberkulose leidet und eigentlich gepflegt werden muss.
Doch arbeitet Horikoshi nicht für sich allein. Er ist eingespannt in die aggressive Kriegsmaschinerie des damals faschistischen Japans, das im Zweiten Weltkrieg als asiatische Kolonialmacht auftrat. Flugzeuge des Typs Zero, für deren Fertigung auch koreanische Zwangsarbeiter rekrutiert wurden, flogen 1941 die Angriffe auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor. Als sich die technische Unterlegenheit der „Wunderwaffe“ nicht länger leugnen ließ, wurden sie für Kamikaze-Einsätze umgerüstet, eines der dunkelsten Kapitel japanischer Militärgeschichte.
Deswegen meinen nun viele, Horikoshi hätte sein Flugzeug nie entwerfen dürfen – und Miyazaki diesen Film nie machen. Gerade er, der zeitlebens Linker und Pazifist war und die Verklärung der faschistischen Vergangenheit Japans stets bekämpft hat! Und es stimmt, dass die vernichtende Wirkung der A6M Zero im Film außen vor bleibt. Genügt es, dass Horikoshi sein Flugzeug am liebsten „ohne Waffen“ sähe, weil es dann schöner und schneller fliegt? Lässt sich auch Miyazaki von den ästhetischen Reizen einer Mordmaschine blenden? Man kann diese Leerstelle bedauern, gerade in einer Zeit, in der die japanische Regierung unter Ministerpräsident Shinzō Abe bemüht ist, die kriegerische Vergangenheit in einem positiveren Licht erscheinen zu lassen.
Bilder von Zerstörung und Untergang
Man sollte aber auch die Erzählkunst Miyazakis nicht unterschätzen. Als Magier des Unbewussten bedient er sich subtiler Mittel: Sein mutmaßlich letzter Film ist frei von jedem Patriotismus, stattdessen zeigt er immer wieder melancholische Bilder von Zerstörung und Untergang – das Tokioter Erdbeben von 1923 wirkt wie ein gespenstischer Wiedergänger der Nuklearkatastrophe von Fukushima vor drei Jahren. Und selbst wenn es so nie ausgesprochen wird: Der kleine, bescheidene Flugzeugkonstrukteur erscheint uns als ein trauriger Held, eben weil sein wissenschaftliches Genie in finsteren Zeiten notwendig den falschen Zwecken dient. Sein Seelenverwandter Miyazaki, der seine Kreativität vor vielen Jahren in friedlichere Bahnen lenken durfte, leidet offensichtlich mit ihm.
Eine deutlichere Kritik würde kaum zu ihm passen und den so zart konstruierten Film zerreißen wie eine schlecht platzierte Flügelaufhängung ein traumhaftes Flugzeug.