Vor einigen Monaten kursierte eine kühne Idee im Netz: Unter dem Hashtag #WeAreTwitter wurde diskutiert, ob der populäre Kurznachrichtendienst nicht einfach durch seine Nutzer-Crowd übernommen werden könnte. Aus der Idee ist bisher allerdings wenig geworden. Nur ein paar tausend Unterstützer haben eine Onlinepetition unterzeichnet, die Twitter zu einer Zusammenarbeit aufforderte. Es sieht ganz so aus, als bliebe alles beim Alten und Twitter ein klassischer Internetdienst, der im Auftrag seiner Besitzer möglichst viel Geld einbringen soll.
Die Umwandlung von Twitter in ein nutzerbetriebenes Projekt wäre eine kleine Sensation gewesen. Egal ob es sich um Softwareentwicklungen handelt, um Plattformen oder Inhalte, oft gehören sie sehr großen Konzernen, die man an einer Hand abzählen kann: Facebook betreibt neben dem größten sozialen Netzwerk auch den mobilen Messenger WhatsApp und die Foto-App Instagram. Microsoft steht unter anderem hinter dem PC-Betriebssystem Windows, der Bürosoftware Microsoft Office und dem Video-Telefoniedienst Skype. Und zu Alphabet (vormals Google) gehört neben vielem anderen die mit Abstand erfolgreichste Suchmaschine, das mobile Betriebssystem Android nebst dazugehörigem App-Marktplatz, das Videoportal YouTube sowie der E-Mail-Dienst Gmail.
Die Konzerne und ihre Manager sind vor allem einem Ziel verpflichtet: den Wert des Unternehmens zu steigern und möglichst hohe Einnahmen zu erwirtschaften. Allerdings existiert eine kleine Gegenwelt, in der nicht Gewinne das Maß der Dinge sind. Dort entstehen nicht profitorientierte Inhalte und jede Menge Software, die Open Source ist, also für alle einsehbar, nutzbar und variierbar. Oft handelt es sich dabei um kleinere Hobbyprojekte. Einige Projekte verfügen allerdings über eine professionelle Struktur aus bezahlten Entwicklern und Projektmanagern, die die Software betreuen, sie weiterentwickeln und die Community aus Freiwilligen bei Laune halten. Vier Gegenmodelle, über die das Netz im größeren Maßstab anders gestaltet wird:
Wikipedia: Spenden statt Anzeigen
Seit einigen Wochen bittet ein auffälliges Banner auf der deutschsprachigen Wikipedia wieder um Spenden. Die Artikel der Online-Enzyklopädie werden von Tausenden Ehrenamtlichen geschrieben und gegengeprüft, es existiert aber auch eine parallele Organisationsstruktur. Bei der globalen Wikimedia Foundation arbeiten etwa 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, beim Länderverein Wikimedia Deutschland um die 90 Leute. Diese Struktur wird nicht über Werbung finanziert, sondern über Spenden.
Ein Großteil des Geldes stammt aus einer großen Kampagne, die jedes Jahr geschaltet wird. Ein Spendenbanner, das zuvor auf seine maximale Wirkung hin optimiert wurde, wird einfach so lange angezeigt, bis ein vorher definierter Zielbetrag erreicht ist. Insgesamt kamen für Wikimedia im letzten Geschäftsjahr auf diese Weise weltweit 77,2 Millionen US-Dollar zusammen. Der Verein Wikimedia Deutschland nahm im letzten Jahr im Herbst knapp neun Millionen Euro ein von rund 400.000 Einzelspendern. Mit den Spendeneinnahmen entwickelt Wikimedia die Technologie weiter, fördert Projekte der Community, organisiert Konferenzen und betreut kleinere Schwesterprojekte wie das Reise-Wiki Wikivoyage.
Weltweit wurden im vergangenen Jahr 77,2 Millionen US-Dollar für die Wikimedia Foundation gespendet
Das Privileg, im Firefox-Browser ein Jahr lang als Standard-suchmaschine eingestellt zu sein, war Google 2012 280 Millionen Dollar wert
Stiftung mit kommerziellem Tochterunternehmen: das Modell Mozilla
Mozilla, der zweite große Vertreter des nichtkommerziellen Netzes, betreibt den unabhängigen Browser Firefox und das Mailprogramm Thunderbird. Über die Ausrichtung entscheidet die US-amerikanische Mozilla Foundation. Allerdings hat die Stiftung mit der Mozilla Corporation noch eine kommerzielle Tochterfirma. Für die Stiftung holt diese durch einen simplen Werbe-Deal sehr viel Geld herein. Auf der Startseite des Firefox-Browsers und in einem kleinen Feld rechts oben im Browser ist stets eine Suchmaschine voreingestellt, und diese Position wird versteigert. Das Privileg, in den Jahren 2012 bis 2014 weltweit als Standardsuchmaschine eingestellt zu sein, war Google allein 2012 280 Millionen Dollar wert. Für den Zeitraum ab Ende 2014 hat Mozilla für unterschiedliche Länder Verträge mit verschiedenen Anbietern geschlossen, unter anderem für die USA mit Yahoo, die zwischen 2014 und 2019 jährlich 375 Millionen Dollar zahlen.
Somit verfügt Mozilla über viel Geld, genug, um mit mehr als 1.000 Mitarbeitern den quelloffenen Firefox-Browser technologisch zu betreuen, so dass er stabil läuft, und an anderen Projekten zu arbeiten. Mit Firefox OS hatte Mozilla beispielsweise ein eigenes mobiles Betriebssystem aufgebaut, auch wenn das kaum Verbreitung gefunden hat und mittlerweile als gescheitert gilt. Zurzeit arbeitet Mozilla unter anderem an einem Projekt für das kommende Internet der Dinge.
Das Open-Source-Modell von WordPress
Mit der kostenlosen und quelloffenen Software WordPress lassen sich Blogs oder auch aufwendige Onlinemagazine bauen. Hinter der populären Blog-Software steht die nicht profitorientierte WordPress Foundation, diese ist aber eng mit einem kommerziellen Unternehmen verbunden. Der WordPress-Schöpfer Matt Mullenweg hatte die Software erst unter dem Dach seiner Firma Automattic Inc. entwickelt und dann schließlich die Stiftung gegründet, der er die Rechte an der Marke WordPress geschenkt hat.
WordPress verfolgt ein Open-Source-Geschäftsmodell, das für viele Internetprojekte typisch ist. Auf WordPress.org lässt sich die Software kostenlos herunterladen, Geld verdient Automattic mit thematisch verwandten Produkten. Der eigentliche Goldesel ist der Blog-Hoster WordPress.com, für Leute, die sich ohne technischen Aufwand ein Blog zulegen wollen. Es gibt einen kostenlosen Modus, bei dem das eigene Blog stets auf WordPress.com endet und Werbung eingespielt wird, und dann gibt es noch verschiedene kostenpflichtige Modelle. Für Automattic arbeiten mehr als 500 Leute, die im Zuge ihrer bezahlten Arbeit auch weiterhin an der WordPress-Software arbeiten.
Der Goldesel der WordPress Foundation ist der Blog-Hoster WordPress.com – mit seiner Hilfe kann man sich ohne großen technischen Aufwand einen Blog zulegen
Die Linux Foundation lebt vor allem von den Gebühren ihrer mehr als 250 Mitgliedsunternehmen
Das Konsortiums-Modell: Linux Foundation
Die Linux-Software ist die Basis verschiedener alternativer PC-Betriebssysteme, die bekannteren sind Linux Mint oder Ubuntu. Zudem basieren viele Großrechner und Supercomputer auf Linux. Die Arbeit am Softwarekern von Linux und den verwandten Projekten geschieht oft unbezahlt.
Für die Zusammenführung sorgt ein gemeinnütziges Konsortium. Die Linux Foundation lebt vor allem von den Gebühren ihrer mehr als 250 Mitgliedsunternehmen. Die sind dort Mitglied, weil die Existenz einer gut funktionierenden freien Betriebssystem-Software dienlich für ihr eigenes Geschäft ist oder weil sie sich mit der Unterstützung des Linux-Projekts schmücken wollen. Zehn Unternehmen haben eine Platin-Mitgliedschaft, für die pro Jahr 500.000 US-Dollar fällig werden, das machen unter anderem Samsung, IBM und Intel. 19 Firmen haben einen Gold-Status (100.000 Dollar pro Jahr), und 230 Firmen sind Silber-Mitglieder (je nach Unternehmensgröße zwischen 5.000 und 20.000 Dollar). Somit verfügt auch die Linux-Stiftung über verlässliche Einnahmen, mit denen sie die Entwicklung und Stabilität der Software koordiniert und auch einige wichtige Linux-Entwickler anstellt.