Er gehört zu den bekanntesten Satirikern Deutschlands: der frühere „Titanic“-Chefredakteur Martin Sonneborn. Am Tag des Attentats auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ mit zwölf Toten – unter ihnen acht Journalisten des Blattes – reagierte der 49-Jährige mit einem kurzen, aber heftigen Statement. Es waren Sätze voller schwarzem Humor, ernster Spaß statt Angst: „Das ist nicht komisch. Mit Anzeigen, Abo-Kündigungen oder Kalaschnikow-Geballer auf Satire zu reagieren, gilt in der Szene als unfein. Unser Mitleid gilt den französischen Kollegen. Bei ‚Titanic‘ könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur sechs Redakteure.“ Eine Woche nach den Anschlägen von Paris haben wir mit Sonneborn über die weltweite Welle der Solidarität gesprochen, über Bedrohungsgefühle und das Weiter- und Witzemachen. Und mit ihm haben wir jemanden gefunden, der uns endlich mal wieder zum Lachen bringt.
fluter: Sind das harte Zeiten für jemanden wie Sie, der lieber aneckt? Nun sagen ja alle „Je suis Charlie“. Quer durch die politischen Lager melden sich die Freunde der Satire.
Martin Sonneborn: Bei Allah! Und Typen darunter, ich sage nur Joachim Gauck. Ist der nicht eher Charlies Tante?
Sie meinen den Schauspieler Heinz Rühmann in Frauenkleidern in dieser Nachkriegskomödie? Aber jetzt mal ohne Witz: Was halten Sie denn von dem Merchandising-Erfolg von „Je suis Charlie“? Das steht ja inzwischen auch auf T-Shirts, Tassen, Autoaufklebern und Babystramplern, die man im Netz bestellen kann …
Das ist es, was ich am Kapitalismus so schätze. Ich warte nur noch darauf, dass es auch noch auf Kalaschnikows, Charlie-Chaplin-Filmen und vorne in der Mitte auf Herrenbadehosen auftaucht.
Auch die Medien überbieten sich mit Solidaritätsbekundungen. Was kann man da als Satiriker noch tun?
Nachdem sich von der „Bild“-Zeitung über die komplette „Spiegel“-Gruppe bis zur „Jungle World“ Redaktionen in Schwarz und mit „Je suis Charlie“-Schildern gezeigt haben, hat sich die „Titanic“-Redaktion mit „Je suis Titanic“ fotografieren lassen.
In den letzten Jahren haben viel zu wenige Leute „Charlie Hebdo“ gekauft, zu überleben war schwer für das Blatt. Und nun die plötzliche Solidarität am Kiosk. Das kann ja auch schnell wieder abflauen?
Da sehen die Solidaritätsbekundungen in Deutschland handfester aus: Es wurden in den drei Tagen nach dem Anschlag über 1.000 neue „Titanic“-Abos bestellt. Wir überlegen gerade, ob wir die Auflage der nächsten Ausgabe auf fünf Millionen hochsetzen sollen.
Ist „Charlie Hebdo“ mit der „Titanic“ vergleichbar? Die kennen ja auch alle – aber mehr Käufer könnte auch sie haben.
Die Franzosen haben eine wesentlich ausgeprägtere Tradition im Bereich Comics und Cartoon, bei uns dominieren literarischere Formen und satirische Aktionen.
Wie sind Sie mit dem rapide gestiegenen Medieninteresse an Ihnen und der „Titanic“ in den vergangenen Tagen umgegangen?
Ganz gelassen, wir kennen doch die Erregungsmechanismen.
Viele Mitarbeiter von „Titanic“ sind in den vergangenen Tagen von anderen Medien auch danach gefragt worden, ob sie jetzt Angst hätten, ob es neue Sicherheitsmaßnahmen für die Redaktion gebe, ob das Blatt mit mehr oder weniger Islamkritik reagieren werde, ob „Titanic“ nun Mohammed-Karikaturen bringt.
Das bringt weder für „Titanic“ eine Bedrohungssituation mit sich noch für die Kollegen in den seriösen Medien, die sich plötzlich mit geschwellter Brust als bedrohte Vorkämpfer der Freiheit sehen. Ich musste sehr lachen, als Mathias Döpfner in einer Ansprache seinen „Bild“- und „Welt“-Rabauken pathetisch erklärte, man dürfe sich jetzt nicht einschüchtern lassen.
Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ wurde in der deutschen Presse auch darüber debattiert, ob man mit schwarzem Humor unmittelbar auf die Mordtat reagieren darf. Gemeint waren Ihr Statement und eine Meldung auf der „Titanic“-Website: „TERRORHINWEIS: Für 16 Uhr ist in der Redaktion eine Pressekonferenz angesetzt, bei der RTL, Hessischer Rundfunk, ‚Frankfurter Rundschau‘ und weitere (...) Medien anwesend sind. Für Terroristen bietet sich die Möglichkeit, nicht nur eine Satireredaktion auszulöschen, sondern die gesamte deutsche Lügenpresse. Es gibt Schnittchen (hinterher)!“ Manche fanden das geschmacklos. Eine verständliche Debatte?
Nein. Erstens ist das unsere Art, mit den Ereignissen von Paris umzugehen. Wer das nicht sehen will, muss ja nicht auf die „Titanic“-Seite gehen. Ich finde diesen Umgang mit der Situation auch sehr viel angemessener als das Zurschaustellen von Gefühlen oder das Absondern von abgegriffenen Floskeln. Und zweitens reagieren wir doch weniger auf die Tat als solche als auf die bizarren Reaktionen aus Politik, Medien, Gesellschaft.
Hans-Hermann Kotte ist freier Journalist in Berlin. Mit der Frage „Was darf Satire?“ hatte er beruflich öfter mal tun, denn in den 1990er Jahren war er Redakteur der „taz“-Satireseite „Die Wahrheit“.