François Hollande, Jacques Chirac und Valéry Giscard d’Estaing – diese drei Männer waren beziehungsweise sind nicht nur alle französische Staatspräsidenten, sie alle haben ihren Abschluss an der École Nationale d’Administration – kurz ENA – gemacht. Das könnte natürlich ein lustiger Zufall sein, nur ist es keiner. Die ENA ist eine der drei führenden Grandes Écoles in Frankreich, und die produzieren quasi die Elite des Landes. Diejenigen, die einen Abschluss an einer dieser renommierten Unis gemacht haben, können sich ziemlich sicher sein, dass sie es sich bald in einem Chefsessel, in der Wirtschaft oder Politik, bequem machen können. Und wie es so ist bei Eliten: Dazugehören dürfen nur wenige. Um es überhaupt bis zur extrem schweren Aufnahmeprüfung zu schaffen, sind zwei bis drei Jahre in Vorbereitungsklassen erforderlich. Und dafür sollten die Portemonnaies voll und die Noten überdurchschnittlich gut sein. 150.000 Grande-École-Studierenden stehen etwa 1,3 Millionen Studierende gegenüber, die andere Unis besuchen. Alle, die ihr Abitur haben, können an einer der „normalen“ Unis studieren. Im Gegensatz zu den deutschen Unis gibt es an den wenigsten französischen Unis einen NC.
Wenn es darum geht, Gleichheit zu garantieren (eines der zentralen Prinzipien des französischen Bildungssystems), nimmt die Regierung sich nicht die Grandes Écoles vor, sondern die anderen Unis und vor allem die staatlichen Schulen. 1975 wurden die verschiedenen Schultypen – die den deutschen ähneln – abgeschafft und durch ein Gesamtschulmodell ersetzt. Seitdem lernen alle Schülerinnen und Schüler von der sechsten bis zur neunten Klasse ganztags gemeinsam. Erst nach der neunten Klasse wird an Frankreichs Schulen unterschieden. So gibt es zum Beispiel verschiedene Gymnasien. Während das Abitur an einem normalen Gymnasium zum Studium berechtigt, bereitet das Berufsgymnasium auf das Arbeitsleben vor. Problematisch ist, dass es große Unterschiede zwischen den Gymnasien gibt. Jedes Jahr werden Rankings veröffentlicht. Wenn es an der eigenen Schule nur einen klapprigen Overheadprojektor gibt, während an der Schule der besten Freundin jedes Klassenzimmer einen eigenen Beamer hat, mag einem das egal sein. Wenn man aber weniger Chancen hat, sein Abi zu schaffen, nur weil man zu Schule A und nicht wie die beste Freundin zu Schule B geht, ist einem das wohl nicht mehr egal.
Im Zusammenhang mit den Ungleichheiten im französischen Bildungssystem wird immer wieder auf die „schulische Landkarte“ hingewiesen: Abhängig vom jeweiligen Wohnsitz müssen Eltern ihre Kinder zu einer bestimmten Schule schicken. Die Folge: Vor allem Kinder und Jugendliche aus wohlhabenden Familien besuchen Schulen mit einem höheren Leistungsniveau. Seit Anfang der 1980er-Jahre wird versucht, dem entgegenzuwirken. Unter dem Schlagwort „positive Diskriminierung“ sind Zonen mit besonderem Erziehungsbedarf eingerichtet worden. Schulen in diesen Zonen erhalten zum Beispiel zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer.
Allerdings scheint das schulische Schicksal in Frankreich nach wie vor eng mit der sozialen Herkunft verbunden zu sein – zumindest kommen die letzten PISA-Studien zu diesem Schluss. Die Kluft zwischen Schülerinnen und Schülern aus bessergestellten und sozial benachteiligten Schichten war laut PISA-Studie 2009 in Frankreich und Neuseeland am größten. Auch 2012 und 2015 schnitt Frankreich in dieser Hinsicht schlecht ab.
Das französische Bildungssystem ist ein Spiegel dafür, wie sich die französische Gesellschaft selbst sieht. Auch deshalb steht es häufig im Mittelpunkt des politischen Interesses, und fast jeder Regierungswechsel bringt Reformen mit sich. Die Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, hat vor einiger Zeit gefordert, dass für Personen, die zwar eine Aufenthaltserlaubnis haben, aber keine Abgaben zahlen, der Schulbesuch ihrer Kinder nicht mehr kostenlos sein soll. Das aber könnte dem Grundsatz der Gleichheit widersprechen. Schon in Frankreichs erster Verfassung von 1791 heißt es: „Es soll eine öffentliche Bildungseinrichtung entworfen und organisiert werden, die allen Bürgern offensteht, die kostenlos jedem Menschen die unerlässlichen Bildungsinhalte vermittelt.“