Gäbe es in Frankreich eine „Enthaltungspartei“, viele junge Franzosen würden sie vermutlich wählen. Denn gerade mal 52 Prozent (alle Wahlberechtigten: 63 Prozent) der 18- bis 25-Jährigen haben vor, am 23. April in die Wahlkabine zu gehen, wenn der erste Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen stattfindet. Bei der Wahl 2012 waren es noch 70 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie des Marktforschungsinstituts Ifop für die französische nationale Jugendorganisation Anacej.
Warum sind die jungen Franzosen so wahlmüde? Die am häufigsten genannte Antwort in der Umfrage: „Weil kein Kandidat meine Ansichten repräsentiert.“ Viele finden sich nicht wieder in den Wahlprogrammen der Kandidaten. Ein weiterer wichtiger Grund: Viele glauben nicht daran, dass sich nach der Wahl etwas an ihrer eigenen Situation oder generell in der Gesellschaft ändert.
„Die Jugendlichen scheinen größeren Wert als ältere Wähler auf Ehrlichkeit, Transparenz und auf Respekt vor dem politischen Engagement zu legen“
An dritter Stelle der Enthaltungsargumente steht die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung und der Parteien. Viele junge Wahlberechtigte in Frankreich haben inzwischen ein großes Misstrauen gegenüber Politikern. Kein Wunder: Der aktuelle Wahlkampf ist geprägt von Gerichtsverfahren gegen Kandidaten – etwa gegen den konservativen François Fillon, weil er seine Frau und seine Kinder im Parlament scheinbeschäftigt haben soll. Aber auch gegen die rechtsextreme Marine Le Pen ermitteln Richter. „Die Jugendlichen scheinen größeren Wert als ältere Wähler auf Ehrlichkeit, Transparenz und auf Respekt vor dem politischen Engagement zu legen“, sagt Simon Berger von der Jugendorganisation Anacej.
Übrigens: Viele Jugendliche wählen auch nicht, weil sie angeblich an dem Wahlsonntag verhindert oder in den Ferien sind.
Und die, die wählen gehen? Die Umfrage zeigt, dass sich ihre Wahlentscheidungen denen der älteren Franzosen immer mehr annähern: An erster Stelle stünde beim ersten Wahlgang die Kandidatin Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National mit 29 Prozent – „sicher eher aus Protest als aus Liebe zu ihrem Programm“, sagt Berger. Zum Zeitpunkt der Umfrage in der ersten Märzhälfte lagen die 18- bis 25-Jährigen damit sogar noch vor dem Umfragewert für alle Wählerschichten (26,5 Prozent).
Aber: Würde es Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang schaffen, verlöre sie – egal wie ihr Gegner heißt. Wäre es Emmanuel Macron, käme sie bei den jungen Wählern nur auf 37 Prozent. Direkt hinter ihr kommt der 39-jährige Emmanuel Macron, der sich weder rechts noch links sieht, sondern in der politischen Mitte (28 Prozent; alle Wahlberechtigten: 25 Prozent). Ihm folgen der Sozialist Benoît Hamon (15 Prozent; alle: 14 Prozent) und der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon (14,5 Prozent; alle: 11,5 Prozent). Eine große Abweichung gibt es nur beim konservativen Kandidaten der Partei der Republikaner, François Fillon (11 Prozent; alle: 19 Prozent).
Die wichtigsten Themen für junge Franzosen: Arbeit, Lebenshaltungskosten, Ausbildung
Die 18- bis 25-Jährigen beschäftigen die gleichen Sorgen wie den Rest der Franzosen, es gibt keine speziellen „jungen Themen“. Auf Platz eins: das Thema Arbeit. Kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit in Frankreich beträgt fast zehn Prozent, jeder vierte Jugendliche ist auf der Suche nach einer Stelle. Das Thema Kaufkraft/Lebenshaltungskosten steht auf Platz zwei vor Ausbildung/Erziehung, dann die Gesundheit. Von dem neuen Präsidenten wünschen sich die Jugendlichen, dass er für Sicherheit sorgt – generell, aber auch vor dem Terrorismus. Die Verlängerung des Ausnahmezustands, der nach den Pariser Terroranschlägen im November 2015 ausgerufen wurde, ist eine der Forderungen der Präsidentschaftskandidaten, die die jungen Wähler am meisten unterstützen.
Einen größeren Unterschied im Vergleich zu den älteren Wählern gibt es: „Die Jugendlichen scheinen etwas fortschrittlicher zu sein, was soziale Entwicklungen angeht“, sagt Simon Berger. So sind sie kritischer gegenüber den Forderungen mancher Präsidentschaftskandidaten, die Homo-Ehe wieder abzuschaffen. „Außerdem stehen sie zur EU – mehr als der Rest der französischen Bevölkerung.“
Nicht alle jungen Franzosen sind wahlmüde, manche engagieren sich auch für einen Kandidaten oder eine Kandidatin. Einige von ihnen stellen wir diese Woche vor: Teil 1 mit Camille und Marie-Capucine, die Fillon unterstützen. In Teil 2 erzählt Paul von seinem Engagement für Macron. Maëlle macht für Hamon Wahlkampf - wieso, erzählt sie in Teil 3.
Titelbild: Vincent Nguyen/Riva Press/laif