Sie machen Missstände öffentlich, decken Skandale auf, bringen Regierungen zum Sturz und sich selbst in Gefahr – Whistleblower sind schillernde Akteure im politischen Leben. Und keinesfalls unumstritten. Für die einen sind es Helden der Informationsfreiheit, für die anderen Verräter, die die Sicherheit der Allgemeinheit gefährden. Sicher ist auch: Ohne sie stünde der investigative Journalismus schlechter da. Eine Hall of Fame der Whistleblower.
Edward Snowden – der NSA-Enthüller
Seine Motivation beschrieb Edward Snowden ganz lapidar: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage oder tue, aufgezeichnet wird.“ Das sagte er Glenn Greenwald vom „Guardian“ im Juni 2013 in einem Hotelzimmer in Hongkong. Kurz darauf gelangten die ersten der geschätzt 1,7 Millionen Dateien an die Öffentlichkeit, die der 29-jährige Systemadministrator gesammelt hatte. Sein Arbeitgeber war die Technologieberatung Booz Allen Hamilton, die für den US-Auslandsgeheimdienst NSA tätig ist. Daher hatte Snowden Zugriff auf Informationen der höchsten Geheimhaltungsstufe. Ohne seine Enthüllungen wüsste die Welt deutlich weniger. Etwa, wie umfangreich die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ die Telekommunikation und Internetnutzung der Bürger global verdachtsunabhängig überwachen. Und wie vernetzt die Geheimdienste mit anderen Partnern sind – darunter Deutschland. Spähprogramme wie Prism oder Tempora wären Fremdworte und die Vorratsdatenspeicherung kein Dauergegenstand der öffentlichen Diskussion. Snowden wurde von den USA wegen Spionage angeklagt, bekam von Russland Asyl gewährt und hält sich an einem geheimen Ort auf. Er wurde 2014 für den Friedensnobelpreis nominiert, der Dokumentarfilm von Laura Poitras über seine Enthüllungen gewann 2015 einen Oscar.
Daniel Ellsberg – die Pentagon Papers
Über Edward Snowden sagte der Whistleblower Daniel Ellsberg in Anspielung auf das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR, er würde die Bürger vor den „Vereinigten Stasi von Amerika“ schützen, die immer weiter in ihre Privatsphäre eindrängen. Ellsberg selbst tat mit der Enthüllung der „Pentagon Papers“ im Jahr 1971 auch einiges für Transparenz. Die rund 7.000 streng geheimen Seiten, die der Ökonom und Bürgerrechtsaktivist kopierte und der „New York Times“ übergab, belegten, dass mehrere US-Regierungen in Folge die Öffentlichkeit über wesentliche Aspekte des Vietnamkrieges belogen. Ellsberg arbeitete damals für die Denkfabrik RAND Coperation, die das Verteidigungsministerium beriet. Nachdem die ersten drei Artikel in der „New York Times“ erschienen waren, ließ US-Präsident Nixon weitere Veröffentlichungen verbieten. Die erste Einschränkung einer Zeitung in der US-Geschichte. Die Artikel erschienen dann in 18 weiteren Zeitungen. Ellsberg wurde als Spion angezeigt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, als herauskam, dass die Nixon-Regierung einen Einbruch bei Ellsbergs Psychiater in Auftrag gab, um an diskreditierende Informationen zu kommen. An der Operation waren dieselben CIA- und FBI-Agenten beteiligt, die wenig später den Watergate-Skandal auslösten.
Deep Throat – die Watergate-Affäre
Bis Edward Snowden die Machenschaften der NSA aufdeckte, war Deep Throat der wohl bekannteste Whistleblower. Und lange der meist gesuchte: Bis 2005 tappte die Öffentlichkeit im Dunkeln, wer den Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein von der „Washington Post“ seinerzeit die brisanten Informationen zugespielt hat, derentwegen Präsident Nixon am 9.8.1974 zurücktreten musste. Der Informant versorgte die Journalisten mit praktisch allen Auskünften, anhand derer sie die Verstrickungen der Regierung in die Watergate-Affäre enthüllen konnten. Die Affäre galt lange als der größte Politskandal der USA. Im Juni 1972 brachen fünf Männer in die Wahlkampfzentrale der oppositionellen Demokraten ein und versuchten, dort Wanzen zu installieren. Die Spur führte ins Zentrum der Macht, ins Weiße Haus, ins Wahlkampfteam der Republikaner. Die Regierung vertuschte und leugnete jegliche Verstrickung in den Fall – jedoch erfolglos. Erst mit 91 Jahren brach der ominöse Informant sein Schweigen. Ein ranghoher FBI-Agent namens Mark Felt steckte hinter dem Pseudonym. Eigentlich wollte Felt sein Geheimnis mit ins Grab nehmen, da sich die Familie aber für die Schulausbildung der Enkel verschuldet hatte, wollte er mit seinem Outing etwas Geld auftreiben.
Chelsea Manning – die Wikileaks-Informantin
Als Chelsea Manning noch den Vornamen Bradley trug und bei der US-Army als Obergefreiter arbeitete, sorgte sie für den größten militärischen Geheimnisverrat der US-Geschichte. Sie übergab 2010 Hunderttausende geheimer Dokumente der US-Streitkräfte an die Enthüllungsplattform Wikileaks. Darunter Kriegstagebücher aus Afghanistan und dem Irak, Botschaftsdepeschen und ein Video, das zeigt, wie US-Soldaten von einem Hubschrauber aus Zivilisten in Bagdad erschossen. Dafür bekam Bradley eine harte Strafe: 35 Jahre Gefängnis wegen Geheimnisverrats, Computerbetrugs und Diebstahls. Die Anklage wollte das als Abschreckung verstanden wissen. Schließlich erhielt kaum ein Enthüller bislang eine solch hohe Haftstrafe. Ob es was gebracht hat, ist fraglich. Edward Snowden bezeichnete Manning als Vorbild. Im April 2014 änderte Bradley seinen Vornamen offiziell in Chelsea, im Februar 2015 genehmigte die US-Armee die Hormonbehandlung zur geschlechtlichen Angleichung.
Margrit Herbst – die BSE-Warnerin
Es ist nicht immer die große Weltpolitik, wo Whistleblower mit ihren Enthüllungen Licht ins Dunkel bringen. Manchmal sind es auch schmutzige Geschichten aus der Nachbarschaft. So eine hat die Tierärztin Margrit Herbst aufgedeckt. Sie arbeitete auf dem Schlachthof Bad Bramstedt in Schleswig-Holstein als Fleischhygienetierärztin. Dort hatte sie seit 1990 bei angelieferten Schlachtrindern BSE-Verdachtsfälle entdeckt. Gegen ihren Willen und auf Druck der Vorgesetzten wurden die Tiere dennoch geschlachtet und gelangten in den Handel. Als Herbst 1994 auf 21 weitere Verdachtsfälle stieß, ging sie an die Öffentlichkeit. In einem Fernsehinterview machte sie den Skandal publik – und wurde fristlos gekündigt. Begründung: Sie hätte gegen ihre Verschwiegenheitspflicht verstoßen. Obwohl sie recht hatte und jahrelang vor dem Arbeitsgericht dafür kämpfte, sollte sie ihre Stelle als Fleischhygienetierärztin nicht wiederbekommen. Ebenso scheiterte ihr Kampf um finanzielle Wiedergutmachung. Sie bekam den Whistleblower-Preis 2001 und sollte sogar das Bundesverdienstkreuz erhalten – sofern sie von ihren Ansprüchen gegen Kreis und Land abrückte. Herbst lehnte ab. Und lebt heute von einer knappen Rente.