Da hat Facebook einfach Bienen auf seine Nutzer losgelassen. Die Bienen, die fleißigen Bestäuber, ohne die in der Natur nichts geht, sind bedroht und das gleich weltweit. Ganz klar: Das ist ein Thema. Und wenn diese Geschichte so wie hier mit spektakulären Aufnahmen und packenden Animationen erzählt wird, dann interessiert das auch das breite Publikum. „Die Suche nach der Superbiene“ – Facebook hat mit eben dieser Geschichte des Magazins „National Geographic“ im Mai den Versuch gestartet, längere journalistische Artikel nicht wie bisher nur zu verlinken, sondern gleich auf seiner Plattform zu platzieren.
Fast 1,4 Milliarden Nutzer weltweit zählt das soziale Netzwerk laut eigener Angabe, mehr als 28 Millionen sollen allein aus Deutschland stammen. Medienmacher sind auf diese gigantische Reichweite scharf. Facebook hat die Nutzer, die Zeitungen und Magazine haben die Inhalte. Keine Frage: Eine Kooperation, wie hier mit dem „National Geographic“-Magazin, bietet sich an. In einem aufwändigen Promo-Video werben beide Seiten für das neue Miteinander.
Der Fotograf der Bienen zum Beispiel, Anand Varma, erklärt: „Wenn du jemanden davon überzeugen willst, dass er sich Zeit für Bienen nehmen soll, dann sollte dem keine Ladezeit im Weg stehen.“ Todd James, der Fotochef von „National Geographic“ mahnt gar: „Wenn das zehn Sekunden dauert, dann sind die Leute weg.“ Beide wollen mit ihrem Journalismus direkt auf Facebook, damit Nutzer, also ihre Leser, nicht mehr umständlich auf die Websites der Verlage wechseln müssen.
Diese Fusion von Plattform und Inhalten nennt Facebook „Instant Articles“. Derzeit befindet sich das noch im Test. In Deutschland machen zunächst „Bild“ und „Spiegel Online“ mit. Auch sie stellen einzelne Artikel direkt in das soziale Netzwerk, damit Fans, also Nutzer, nicht mehr auf bild.de und spiegel.de gehen müssen.
Die große Frage ist nun: Ist das eine gute Sache oder gibt der Journalismus hier nicht ein hohes Gut aus der Hand, nämlich die Macht, zu entscheiden, welche Inhalte Leser sehen und welche nicht? Entscheidet am Ende Facebooks Algorithmus?
Facebook zeigt Nutzern schon seit Jahren gar nicht all das an, was ihre Freunde und Lieblingsseiten auf die Plattform stellen. Laut offiziellen Facebook-Angaben bleiben etwa 80 Prozent aller Meldungen, die sie eigentlich abonniert haben, den Nutzern in der Regel verborgen – und das, obwohl sie sich mit den jeweiligen Profilen befreundet oder mit einer Seite eines Promis oder einer Redaktion verbandelt haben, indem sie dort auf „Gefällt mir!“ gedrückt haben.
Der Vorfilter ist Teil des Geschäftsmodells
Facebook bietet Nutzern zwar die Möglichkeit, diesen Filter auszuschalten. Die Funktion, den individuellen Nachrichtenmix von den reduzierten „Hauptmeldungen“ auf die vollständigen „Neuesten Meldungen“ auszudehnen, hat Facebook jedoch gut versteckt. Der börsennotierte Konzern verdient unter anderem daran, dass sich Unternehmen Reichweite kaufen und damit dafür sorgen, dass auch wirklich all ihre Fans eine bestimmte Neuigkeit sehen. Der Vorfilter ist also Teil des Geschäftsmodells.
Wie genau dieser Algorithmus funktioniert, ist Facebooks Geheimnis. Das Unternehmen gibt nur grobe Kriterien begannt. Entscheidend ist demnach vor allem, wie gut erste Nutzer auf einen neuen Inhalt anspringen – ob sie ihn „liken“, kommentieren oder sogar so interessant finden, dass sie ihn mit ihren Freunden teilen. Die Nutzer müssen reagieren.
Den Medienmachern, die bei dem Projekt „Instant Articles“ bereits mitmachen dürfen, sind diese Mechanismen klar. Etwa Torsten Beeck, der sich um die Präsenz des „Spiegel“-Magazins in sozialen Netzwerken kümmert. In einer ersten Diskussion zu „Instant Articles“ antwortete er auf die Frage, wie Medien denn beeinflussen könnten, ob ihre Fans die eingestellten Texte sehen: „Indem wir gute Geschichten machen, mit denen viele Nutzer interagieren.“
Damit ist zumindest klar: Journalisten müssen die Emotionen ihrer Leser ansprechen, Empörung oder ein Lachen auslösen. Unauffällige Geschichten haben auf Facebook keine Chance. Wen das stört, den verweist Beeck launisch auf „diese praktische Sammelseite, auf der die aktuellen Artikel nach Relevanz sortiert werden“ – womit er die klassische Website meint, auf der die Meldungen weiterhin nach ihrem Nachrichtenwert sortiert werden.
Eine Win-win-Situation?
Tatsächlich kommt Facebook den Medienmachern entgegen: Sie bekommen etwas von den Einnahmen aus der Werbung ab, die Facebook um die Artikel herum platziert. Medien können sogar eigene Werbung mitbringen. Allerdings: Ob dieses Paket eine der viel beschworenen „Win-win-Situationen“ ist, bei denen es keine Verlierer gibt, darf bezweifelt werden. Es spricht einiges dafür, dass Medienmacher auch jenseits der Frage, ob einzelne Geschichten überhaupt noch eine Chance haben, ein großes Risiko eingehen.
Die Nutzer werden „Instant Articles“ natürlich lieben. Für sie ist das bequem: Sie kommen schneller an spannende Geschichten. Sie dürften sich aber auch sehr schnell daran gewöhnen, dass sie auf Facebook nicht mehr wie bisher nur ein paar launige Anreißer für Artikel finden, sondern gleich die ganzen Geschichten.
Die Folgen sind absehbar: Die Nutzer werden sich immer seltener auf die eigentlichen Portale der Zeitungen, Magazine und Sender verirren und sich mit ihrem Informationsstand noch mehr in Abhängigkeit vom Facebook-Algorithmus begeben. Je besser das Projekt „Instant Articles“ läuft, desto schwerer werden es die herkömmlichen Medienangebote haben. Wer braucht noch eine klassische Website oder Nachrichten-App, wenn – gefühlt – ohnehin alles im sozialen Netzwerk steht?
So verlockend Projekte wie „Instant Articles“ sind: Medien und Nutzer helfen Facebook damit dabei, zu werden, was das Portal seit jeher gerne wäre: ein streng überwachter Raum, der so tut, als sei er das freie Internet.
Facebook ist für Journalisten Fluch und Segen zugleich – auch für Daniel Bouhs, der von Berlin und Hamburg aus als freier Journalist arbeitet. Er ist einer der 1,4 Milliarden Facebook-Nutzer und stöbert bei fast jeder Gelegenheit in dem für ihn zugeschnittenen Nachrichtenstrom. Seine Geschichten verbreitet er ebenfalls dort. Am liebsten hält er sie dann aber doch auf Papier in den Händen – digitale Revolution hin oder her.