Montag früh um 3.45 Uhr war der G20-Gipfel für mich vorbei. Es waren anstrengende Tage mit langen Schichten, wenig Schlaf und vielen Erlebnissen, auf die viele Kollegen und ich gern verzichtet hätten. Ich war im Einsatz, als die „Welcome to hell“-Demo gestoppt wurde, die von verschiedenen autonomen Gruppen organisiert wurde.
„Ich habe eine Flasche ans Schienbein bekommen und einen Stein an den Helm. Es ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist“
Ich weiß, dass viele anschließend kritisiert haben, dass die Polizei zu hart und zu früh eingegriffen hätte. Eine Gratwanderung ist so etwas immer. Als Beteiligter ist es schwer zu beurteilen, ob die Polizeitaktik in diesem Fall richtig oder falsch war, dafür fehlt mir einfach der Überblick. Über Funk habe ich mitbekommen, dass es einen großen Schwarzen Block gab und offenbar viele der Aufforderung nicht nachgekommen sind, die Vermummung abzunehmen. Wie viele genau es am Ende noch waren, weiß ich nicht. Aber eine Vermummung ist kein Statement, sondern gesetzeswidrig.
„Ich habe Respekt vor diesem Einsatz“
Schon vor dem Einsatz hat sich Sebastian Brandt so seine Gedanken gemacht – und sie uns ganz offen mitgeteilt --> Zum Artikel
Als wir die Demo dann stoppten, flogen Wurfgeschosse. Ich habe eine Flasche ans Schienbein bekommen und einen Stein an den Helm. Es ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Man spürt den dumpfen Aufprall an der Montur, ansonsten ist man in der Situation zu angespannt, um Wut oder Ärger zu empfinden. Emotionen sind da nicht vorhanden. Man schaut sich konzentriert um, orientiert sich an den Kollegen der Einheit und versucht, sich zu schützen. Später realisiert man, was da eigentlich passiert ist. Ich frage mich, was für eine Motivation dahintersteckt und woher dieser Hass und diese Energie kommen. Natürlich findet man keine richtige Antwort darauf.
Am Freitagabend mussten wir eine weitere Demo absichern, als meine Einheit verständigt wurde, weil die Lage im Schanzenviertel eskalierte. Es hieß, Anwohner hätten in Panik bei der Polizei angerufen, es würden Barrikaden brennen und Geschäfte angezündet. Es war die Rede davon, dass die Randalierer Molotowcocktails vorbereitet hätten. Ich habe nur gehofft, dass wir genug Polizisten sind, um da reinzugehen. Gott sei Dank hatten Sondereinsatzkräfte die Situation inzwischen einigermaßen unter Kontrolle gebracht.
„Es gab brennende Schrottberge, aus einem guckte noch ein halbes Fahrrad heraus. In den Asphalt hatten sich Löcher gebrannt“
Es gab brennende Schrottberge, aus einem guckte noch ein halbes Fahrrad heraus. In den Asphalt hatten sich Löcher gebrannt. Die Fahrbahnen und Gehsteige waren übersät mit Schutt, Pflastersteinen, kaputten Regalen. Es zog rauchiger Nebel aus einem Rewe-Markt die Straße entlang, in dem sich dann ein Pressevertreter abzeichnete. Er wollte aus dem Viertel raus, und ich habe ihn begleitet. Mir kam zwischenzeitlich der Gedanke, dass es hier wie im Bürgerkrieg aussieht.
Irritiert haben mich die vielen Schaulustigen. Dass Menschen in solchen Situationen Selfies vor der Polizei machen, ist fast schon ein Klassiker. Es kam immer wieder vor, dass wir einschreiten mussten, weil Leute im Weg standen. Aber es gab auch viele Situationen, die einfach großartig waren. Anwohner haben uns Süßigkeiten und kalte Cola gebracht – die war bei der Hitze und den Strapazen übrigens echt ein Segen. In solchen Momenten ist man fast schon zu perplex, um das angemessen würdigen zu können. Während der Hauptgipfel-Tage war ich gar nicht zu Hause. Ich war froh, wenn ich zwischendurch im Einsatzwagen mal ein paar Minuten die Augen schließen konnte. Zwischen den Schichten haben wir allenfalls ein paar Stunden in den Feldbetten im Polizeiquartier geschlafen. Jetzt werde ich erst einmal das Schlafdefizit ausgleichen. Ich habe sogar das große Glückslos gezogen: Ich habe zwei Tage am Stück frei, bevor es wieder mit dem ganz normalen Dienst losgeht. Viele Kollegen haben nur einen Tag zum Ausspannen.
Fotos: Michael Kohls