„Kann mir irgendwer eine Zusammenfassung geben?“, fragt ImperialXWarlord auf dem Diskussionsforum r/The_Donald. „Ich muss arbeiten, deshalb kann ich nicht zuschauen.“ Was ImperialXWarlord Anfang Juni entging, war der Livestream der Anhörung des gefeuerten Ex-FBI-Chefs James Comey vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats. Comey hatte jenes Team geleitet, das zu möglichen Verbindungen zwischen den Wahlkämpfern Trumps und Vertretern Russlands recherchierte. Kaum ein Thema dominierte die US-Medien und Foren im vergangenen Monat mehr als die Frage, ob der US-Präsident Comey angewiesen hat, die Ermittlungen gegen seinen ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn einzustellen. „Trump hat nichts gemacht, die Liberalen heulen“, antwortet Pipezilla dem User ImperialXWarlord.
Unter dem Kommentarfenster prangt ein Warnbanner: „Postings die Präsident Trump nicht respektieren, werden sofort gelöscht“
Pipezillas Antwort entspricht der Sichtweise konservativer US-amerikanischer Medien, so etwa Fox News, die in Comeys Aussagen eine Entlastung des Präsidenten sahen – ganz im Gegensatz zu liberalen Medien. Beim TV-Sender CNN beispielsweise hieß es zur selben Aussage: „Comey: Ich fasste Trumps Bitte als Anweisung auf.“ Welche Lesart eher der Wahrheit entspricht, wird auf r/The_Donald gar nicht erst thematisiert. Mehr als 9000 Kommentare folgen auf den Livestream, der Großteil der Diskutierenden scheint sich einig: Wir haben wieder einmal gewonnen. „Es ist genau so gelaufen, wie wir dachten. Heute ist ein weiterer Sieg für Amerika. Leute, ich werde einfach nicht müde zu gewinnen“, schreibt seismicor. An anderer Stelle werden Trumps Gegner verlacht und die „fake press“ wie CNN oder die New York Times durch den Dreck gezogen.
Wer eine abweichende Meinung vertritt, hat auf r/The_Donald nichts verloren. Unter dem Kommentarfenster prangt ein Warnbanner: „Postings, die Präsident Trump nicht respektieren, werden sofort gelöscht.“ Mehr als 460.000 „centipedes“ – „ernsthafte Trump Unterstützer“ – hat die 2015 gegründete Unterseite auf Reddit inzwischen. Reddit, ein soziales Netzwerk, auf dem sich unterschiedliche Communities in Diskussionsforen („subreddits“) organisieren, wird als Plattform gepriesen, wo jede/r Zugehörigkeit findet. Während es international wie national an Trumps Politik Kritik hagelt, scheint die laute Mehrheit auf r/The_Donald ihren „Commander-in-Chief“ zu verehren. Dem Frust mit gebrochenen Wahlversprechen wie etwa Trumps Luftangriffe auf Syrien wird mit Verachtung gegen das demokratische Lager begegnet und glatt verteidigt: „Ich muss sagen, dass der Mann ein Genie ist. Die strategischen Luftangriffe gegen Infrastruktur und Ausrüstung stärken seine Position. Hoffentlich kann er Assad und Russland an einen Tisch bringen, ohne dass jemand stirbt“, postet MrFletcherYoung.
Oft ist r/The_Donald im Zusammenspiel mit anderen Portalen wie das Imageboard 4chan auch Verbreiter von Verschwörungstheorien
Die durchschnittlichen r/The_Donald-User sind laut einem Moderator der Plattform jung, weiß, gut ausgebildet und mehrheitlich männlich. Sie machen nicht einmal 1 Prozent der 63 Millionen Trump-Wähler aus – und dennoch sind sie mehr als sichtbar: Sie wissen, wie Memes funktionieren und welche Themen sie setzen müssen, um Aufmerksamkeit zu bekommen: Memes auf r/The_Donald haben es nicht nur in die sogenannten Mainstream-Medien geschafft, sondern auch auf Trumps Twitterfeed. Schillernde Persönlichkeiten wie der ehemalige Breitbart-Journalist Milo Yiannopoulos oder der Fox-News-Talkshow-Moderator Tucker Carlson waren bei Q&A Sessions – im Reddit-Sprech „AMA – Ask Me Anything“ – zu Gast. Und selbst der „God Emperor“ höchstpersönlich stellte sich den Fragen seines Fanclubs während des Wahlkampfs.
Häufig ist r/The_Donald im Zusammenspiel mit anderen Portalen wie dem Imageboard 4chan auch Verbreiter von Verschwörungstheorien: Für Aufsehen hat vor allem „Pizzagate“ gesorgt. Nachdem 4chan und r/The_Donald die Falschmeldung verbreitet hatten, dass Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt sei, der vom Keller einer Washingtoner Pizzeria aus operiere, wurde eben jene Pizzeria von einem bewaffneten Mann gestürmt.
„Sie sind gegen die 'politisch-korrekte' Umgangsweise, sehen sich als Leute, die Probleme, die sie mit liberaler Politik haben, ansprechen“
„r/The_Donald ist der zentrale Ort für eine Gruppe von Trump-Anhängern, wo Selbstvergewisserung stattfindet und Narratives sowie eine eigene Sprache entwickelt werden“, sagt der Kulturwissenschaftler Marc Tuters von der Universität Amsterdam, der Sprache und Memes von online-affinen Trump-Fans erforscht. Nicht alle zählen dabei zur rassistischen Alt-Right-Bewegung, die auch Netzwerke zu Neonazis unterhält. Tuters würde die Users auf r/The_Donald eher mit den Anhängern von Pegida vergleichen: „Sie sehen sich nicht als Rassisten, sondern beispielsweise als Gegner gewisser Wahrnehmungen des Islams. Sie sind gegen die ,politisch-korrekte‘ Umgangsweise, sehen sich als Leute, die Probleme, die sie mit liberaler Politik haben, ansprechen.“
Michael Jones, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht haben möchte, teilt diese Meinung. Er ist 50 Jahre alt, Vater dreier Kinder, Geschäftsmann aus dem Mittleren Westen und Trump-Fan. Für die meisten User des Subreddits war laut Jones neben ökonomischen Motiven der Protest gegen „political correctness“ Beweggrund, Trump zu wählen: „Viele Millennials, besonders jene, die in konservativen Familien aufwuchsen, hatten ein Problem mit der vorherrschenden US-Kultur. Sie wollten nicht akzeptieren, dass sie nichts Rassistisches oder Xenophobes sagen dürfen. Sie werden an die Ränder gedrängt, ihre Meinungsfreiheit beispielsweise an den Universitäten ist eingeschränkt.“
„Ja, es gibt Rassisten, aber die findet man in jeder Gruppe. Wir Moderatoren unternehmen alles, um das zu kontrollieren“
Jones ist seit einem Jahr Moderator auf r/The_Donald und „Senior Moderator“ der Seite r/AskThe_Donald. Die Hauptseite hat Jones zufolge rund 45 Moderatoren, die zu 90 Prozent männlich sind; viele davon kamen Ende der 1980er-Jahre und später zur Welt. Sie wohnen in den USA, Kanada, Großbritannien, Osteuropa, Australien und Neuseeland und arbeiten selbstorganisiert und freiwillig daran, dass Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen. Jones, der den „Geschäftsmann Trump“ seit Anfang der 1990er verehrt, gibt zu, dass dies nicht immer einfach sei: „Ja, es gibt Rassisten, aber die findet man in jeder Gruppe. Wir Moderatoren unternehmen alles, um das zu kontrollieren. Wir akzeptieren keine Hasskommentare und verbannen Users, die Grenzen überschreiten.“ Wie viele Users bisher blockiert wurden, kann er nicht sagen.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in den USA andere als in Deutschland. Rassistische, antisemitische, sexistische und islamophobe Aussagen sind Alltag auf r/The_Donald. Trevor Martin, Doktorand an der Stanford University, hat in einer groß angelegten Datenanalyse Subreddits miteinander verglichen und herausgefunden, welche Unterseiten r/The_Donald ähneln, beispielsweise r/Conservative, r/HillaryForPrison oder r/uncensorednews. „Es sind Seiten, wo Rassisten und weiße Nationalisten aufeinandertreffen und ihre Meinungen austauschen“, sagt Martin. Die Studie unterstütze die Theorie, dass ein Teil der r/The_Donald-User rassistisch sei. Andere Experten wie Jonathon Morgan vom Think Tank „New Knowledge“ bezeichnen r/The_Donald sogar als „Brutstätte für Extremismus“.
Der Think Tank „New Knowledge“ bezeichnet r/The_Donald als „Brutstätte für Extremismus“
So ganz wertfrei scheint auch Reddit-Management der Gruppe nicht gegenüber zu stehen: Das Unternehmen veränderte sogar seinen Algorithmus, um die Nutzer „vor Spam“ auf der Startseite zu verschonen. Beiträge von r/The_Donald und anderen Subreddits, die durch angeblich künstliches Pushen der Kommentare auf der Startseite landeten, haben es nun schwerer. „Zensur!“, klagten nicht nur r/The_Donald User: Die Fehde führte zu heftigen Diskussionen, die auch das Selbstverständnis von Reddit, eine Plattform für alle sein zu wollen, berührte.
Für den r/The_Donald-Moderator Michael Jones ist die Diskussionsplattform nach wie vor der „safe space“, wo man sich unverblümt austauschen und nicht Angst davor haben muss, dass in der Nacht die Autoreifen aufgeschlitzt werden, weil man einen Trump-Sticker am Heck kleben hat: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Leute ihre politischen Präferenzen auf beiden Seiten nicht mehr äußern, weil sie nicht wissen, ob sie angegriffen werden.“ „r/The_Donald“, meint Jones, „ist also weit mehr als eine Unterhaltung am Tresen im Wirtshaus. Hier kannst du jede Meinung haben – ganz im Gegensatz zum öffentlichen Raum.“
Illustration: Raúl Soria