Christian Mertens, 26, ist AfD-Mitglied, stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Alternative (JA) in Sachsen-Anhalt und Sprecher der Hochschulgruppe Campus Alternative an der Universität Magdeburg. Er studiert Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Magdeburg

 

Ich engagiere mich seit zwei Jahren für die AfD, weil in Deutschland einiges falsch läuft. Zum Beispiel mangelt es uns Deutschen an Selbstbewusstsein. Das ist mir klar geworden, als ich vor ein paar Jahren für eine Weile im Ausland war – erst elf Monate in Australien, später ein Auslandssemester in Estland. Weder die Australier noch die Esten würden auf die Idee kommen, sich für ihre Herkunft zu entschuldigen. Warum also wir Deutschen? Als ich dann zurück in Deutschland war, habe ich deutlich gemerkt, dass etwas fehlt: ein natürlicher Umgang mit unserer Geschichte.

„Der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland ist so weit nach links gerückt, es braucht ein rechtes Gegengewicht“

Das war einer der Gründe, die mich zur AfD gebracht haben. Dabei komme ich politisch aus einer ganz anderen Ecke. Als Jugendlicher in Magdeburg war ich in der linksalternativen Szene unterwegs. Ich war zehn Jahre Punk mit Iro, habe viel mit den Gothic- und Metall-Leuten rumgehangen. Als ich während meines Politikwissenschaftsstudiums in Halle und Magdeburg angefangen habe, mich für Parteien zu interessieren, bin ich zu den verschiedenen Stammtischen gegangen: CDU, SPD, selbst Piraten. Aus Neugierde bin ich auch zur AfD. Erst hat mir das nicht gefallen. Ich kann gar nicht mehr genau sagen, warum. Vielleicht waren es die Leute, vielleicht die Themen. Als ich dann 2015 noch mal hin bin, war die Atmosphäre ganz anders. Die Gespräche waren vernünftiger. Es waren auch mehr junge Leute dabei, von der Jungen Alternative (JA). Das hat es natürlich leichter gemacht.

Heute bin ich stellvertretender Landesvorsitzender der JA in Sachsen-Anhalt, Sprecher der Hochschulgruppe Campus Alternative an der Universität Magdeburg und auch Mitglied der AfD. Natürlich wähle ich bei der Bundestagswahl die AfD, wie schon 2016 bei der Landtagswahl. Ich helfe auch wieder aktiv im Wahlkampf mit. Ich mache das, weil ich in einem Land leben will, das frei und sicher ist. Und in dem es wieder okay ist, dass es einen rechten Diskurs gibt. Der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland ist so weit nach links gerückt, es braucht ein rechtes Gegengewicht. Ich hoffe, dass sich der politische Austausch normalisiert und wir von der AfD nicht wegen unserer Meinung verteufelt werden. Dass unsere rechten Ansichten nicht automatisch als rechtsextrem gelten.

„In den Sozial- und Humanwissenschaften, wo ich studiere, ist die Ablehnung immens“

Als Student bin ich oft großem Druck ausgesetzt, weil meine Kommilitonen natürlich mitbekommen haben, wie ich politisch stehe. Zumindest in den Sozial- und Humanwissenschaften, wo ich studiere, ist die Ablehnung immens. Einmal sagte eine Studentin wutentbrannt zu mir: „Wie kannst du für die AfD sein und das mit deinem Gewissen vereinbaren? Mit deinem Studium!“ Ich mache ja im Master Friedens- und Konfliktforschung. Eine gute Antwort wäre gewesen: Wie könnte ich nicht! Viele denken, die AfD ist ein Faktor der gesellschaftlichen Instabilität. Ich sehe das genau andersherum. Die Faktoren der Instabilität sind ganz woanders: wie die EU aufgebaut ist, wie wir über Schuldenrettung reden, über Grenzöffnung und Integration. Das sind die Faktoren, die meiner Meinung nach längerfristig die Sicherheit und Freiheit in diesem Land gefährden könnten. Die einzig praktikable Lösung sehe ich darin, mich bei der AfD zu engagieren.

Das heißt natürlich nicht einfach: Grenzen zu und zurück ins 19. Jahrhundert. Das wäre nicht zielführend. Im Moment bin ich auch nicht für einen EU-Austritt, sondern für tiefgreifende Reformen der EU. Aber so wie wir Deutschen gerade unsere politische und wirtschaftliche Macht ausnutzen, um einerseits südeuropäische Staaten zum Sparen zu zwingen, andererseits die osteuropäischen Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu bewegen – das kann es auch nicht sein.

„Uns fehlt ein natürlicher Umgang mit Geschichte“

Ich weiß, dass viele mit den Provokationen der AfD ein Problem haben. Auch in Teilen meines Freundeskreises war es anfangs schwer. Ich musste mich für vieles rechtfertigen. Aber man sollte nicht aus den Augen lassen, um was es der AfD eigentlich geht.

Etwa im Falle der Äußerungen von Alexander Gauland über Aydan Özoğuz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Alle haben sich auf Gaulands etwas härtere Gangart gestürzt [Anm. der Redaktion: Der AfD-Spitzenkandidat sagte auf einer Wahlkampfveranstaltung Ende August, Özoğuz könne in Anatolien „entsorgt“ werden]. Das Entscheidende ist doch: Es hat bis dahin niemanden interessiert, dass die Integrationsbeauftragte behauptet, eine spezifische deutsche Kultur jenseits der Sprache sei nicht identifizierbar. Erst nach Gaulands Kritik wurde darüber diskutiert. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, auf so schwerwiegende inhaltliche Verfehlungen hinzuweisen, ist auch Gaulands Wortwahl meiner Meinung nach gerechtfertigt.

Weil 42 Protokolle – so viele Parteien nehmen an der Bundestagswahl am 24.9. teil – ein bisschen viel wären, haben wir uns auf jene sieben Parteien beschränkt, die laut Umfragen eine realistische Chance auf den Einzug in den Bundestag haben.

Illustration: Daavid Mörtl