Sie heißen A/Michigan, A/Hong Kong und B/Brisbane und sollen dieses Jahr ihr Unwesen treiben. Alle drei sind Influenzaviren und bringen Schnupfen, Fieber und Husten mit sich. Sie und ihre Verwandten reißen laut Robert Koch- Institut jährlich zwei bis zehn Millionen Menschen in Deutschland aus dem Alltag – und manchmal sogar aus dem Leben. Aber wie machen sie das?
Der Star unter den Viren
In die Welt gehustet und geniest, schweben Viren im geschlossenen Raum stundenlang in der Luft. In trockenem Staub oder an einer Computertastatur überleben sie einige Tage. Wer sie atmend oder leckend in den Körper kriegt, hat noch ein bis zwei Tage Ruhe. In der Zeit nisten sie sich in den Schleimhäuten der Atemwege ein. Die Viren sind Untote auf der Suche nach Wirtszellen.
Viren können sich nicht, wie Bakterien, durch Zellteilung selbst vermehren, sondern bestehen fast nur aus Erbinformationen. Sie brauchen Wirtszellen, in die sie eindringen, um zu überleben und sich zu reproduzieren. Dabei sind die Influenzaviren so etwas wie die Stars unter den Viren: Auf besonders effektive Art sind sie mit nur drei verschiedenen Virustypen die Erzeuger der Grippe (im Gegensatz zur Erkältung, dem „grippalen Infekt“, der durch ungefähr 200 unterschiedliche Virusarten ausgelöst werden kann, aber viel harmloser verläuft und nach wenigen Tagen wieder ausgestanden ist).
Ist das Influenzavirus im Körper, sucht es sich in den Atemwegen Schleimhautzellen, an die es andocken kann. Es dringt in ihren Zellkern ein, schreibt das Erbgut um und programmiert die Zelle zu einer Virenfabrik um. Sobald neue Viren hergestellt sind, verlassen sie die Wirtszelle, um weitere Zellen zu befallen. Im Körper beginnt ein Krieg, der die Botenstoffe aktiviert, die wiederum das Immunsystem alarmieren. Die erste schnelle Abwehr startet: Killerzellen rücken an und zerstören die befallenen Zellen, die der Körper dann über Husten und Schnupfen abtransportiert. Gleichzeitig steigt die Körpertemperatur auf über 38 °C, um den Stoffwechsel zu beschleunigen und maßgeschneiderte Antikörper zu produzieren, die gegen exakt dieses Virus helfen. Der Grippekampf ist für das Immunsystem eine Kraftprobe. Denn bei jedem Vermehrungszyklus verändern sich die Influenzaviren im Körper und es dauert wieder einige Tage, bis die richtigen Antikörper einsatzbereit sind. Glück gehabt hat man, wenn der Kampf nach einer Woche ausgefochten ist. Allerdings enden die durch Influenzaviren hervorgerufenen Atemwegserkrankungen pro Jahr in bis zu 650.000 Fällen weltweit tödlich. In Deutschland forderte die Grippe in den vergangenen drei Jahrzehnten zwischen null und 25.000 Menschenleben je Grippesaison. Gefährdet sind vor allem alte Menschen: Mehr als 90 Prozent der Opfer, die das Influenzavirus hierzulande umbringt, sind über 60 Jahre alt. Nur knapp die Hälfte der Geimpften über alle Altersgruppen schützte die Grippeimpfung in der Saison 2017/2018 bisher. Bei Alten, der größten Risikogruppe, ist der Impfstoff noch ineffizienter.
Nicht mehr als ein Stich?
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass alljährlich Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Impfstoff zusammenstellen, der gegen die am häufigsten auftretenden Influenzaviren helfen soll. Im besten Falle wird der Geimpfte dann nicht krank und trägt die Viren nicht in die Gesellschaft. Virenerkrankungen wie Masern, Pocken oder Kinderlähmung sind in Europa durch das Impfen weitgehend ausgerottet. Die Influenza konnte bisher nicht ausgelöscht werden – zu wandlungsfähig sind ihre Erreger.
Es ist fast so etwas wie eine Wette, die die Wissenschaftler der WHO daher abschließen: Ein halbes Jahr bevor auf der nördlichen Erdhalbkugel die Grippesaison beginnt, schauen sie sich an, welche Virenstämme während des Winters auf der Südhalbkugel dominant waren, und mutmaßen, welche sich nördlich des Äquators ausbreiten könnten. Im besten Fall trainiert der hergestellte Impfstoff mit den drei bis vier ausgewählten Grippevirustypen das Immunsystem. Wenn unsere Abwehrkräfte dann auf ein „echtes“ Grippevirus treffen, können sie den Kampf viel schneller und effizienter führen. Allerdings sind sechs Monate für Viren eine sehr lange Zeit. Sie verändern sich während der Reproduktion im Körper, aber auch, wenn sich menschliche und tierische Viren zusammentun oder durch unser weltweites Reisen in Kontakt mit Virentypen aus anderen Regionen kommen. Nach der WHO-Empfehlung im Februar und März können sie sich noch so stark verändern, dass der Impfstoff im Herbst nicht mehr passt. Ein Impfstoff, der gegen alle Influenzatypen gleichzeitig schützt, konnte noch nicht gefunden werden.
Für die Grippesaison 2017/2018 hat die WHO ihre Wette leider nicht gewonnen: Es grassierten vor allem B/Yamagataviren. A/Michigan, A/Hong Kong und B/Brisbane waren im aktuellen Standard-Dreifach-Impfstoff also nicht der beste Schutz. So liefen auch in diesem Winter die Virenfabriken wieder heiß.