Mai Cunning (16), Michaela Hoenig (17), Kate Lebron (18) und Gabrielle Zwi (17) gehen auf die Walter Johnson High School in Bethesda, Maryland. Mit ihrer Gruppe „DC Teens-Action“ organisieren sie anlässlich der Demonstration „March For Our Lives“ am 24. März Unterkünfte für anreisende Schüler aus den ganzen USA.
fluter.de: Am Valentinstag erschoss der 19-jährige Nikolas Cruz in Parkland, Florida, 17 Menschen. Noch nie haben sich Überlebende von Amokläufen so nachhaltig engagiert. Was ist dieses Mal anders?
Gabrielle: Anders ist, dass der Amoklauf genau in dieser Schule passiert ist. Die Gegend rund um die Marjory Stoneman Douglas High School ist liberal, divers und reich. Dort kommt normalerweise keine Waffengewalt vor. Es ist eine politisch sehr aktive Schule, es gibt dort zum Beispiel einen preisgekrönten Debattierklub. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Kids im Vergleich zum Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School alt genug sind, sich zu engagieren. Viele werden dieses Jahr zum ersten Mal bei den Midterm-Wahlen wählen. Die haben an dem Tag, an dem die Tragödie passierte, gesagt: never again. Wir wollen, dass nie mehr ein Amoklauf an einer Schule passiert. Und daraus wurde eine breite Bewegung.
„Mittlerweile stehen mehr als 600 Unterkünfte in und um Washington bereit. Hunderte Schüler werden dort am Demo-Wochenende schlafen“
Am 24. März findet die von Parkland-Überlebenden initiierte Großdemonstration „March For Our Lives“ in Washington statt. Ihr vier organisiert Unterkünfte für anreisende Schüler. Wie macht ihr das?
Gabrielle: Soziale Medien sind sehr nützlich. Sie helfen uns, uns zu organisieren. Eine Schülerin aus Parkland mit tausenden Followern auf Twitter hat unseren Flyer auf Twitter geteilt. Aber klassische Medien sind auch wichtig: Lokale Medien und sogar die Tageszeitung Washington Post haben daraufhin über unser Projekt berichtet. Mittlerweile stehen mehr als 600 Unterkünfte in und um Washington bereit. Hunderte Schüler werden dort am Demo-Wochenende schlafen. Es ist eine großartige Möglichkeit, Menschen mit den gleichen Zielen miteinander zu vernetzen.
Die US-Medien nennen euch die Columbine-Generation, benannt nach dem ersten großen Amoklauf an einer Schule, bei dem im April 1999 zwölf Menschen gestorben sind. Ist das das richtige Label für euch?
Alle: Ja.
Kate: Wir sprechen oft darüber, dass irgendjemand uns in der Schule abknallen könnte. Viele Kids haben Angst vor Nachahmungstätern. Wir leben in einer Zeit, in der wir Gummiarmbänder in der Schule bekommen, auf denen steht: „If you see something, say something“. So ist man ständig in Alarmbereitschaft. Doch nicht nur Columbine hat unser Sicherheitsgefühl beeinträchtigt, sondern auch die Anschläge vom elften September. 9/11 hat viele Menschen hier in ein ständiges Gefühl des Misstrauens versetzt.
In Deutschland hat man in den Schulen Erdbeben- oder Feuer-Notfallübungen. In den USA trainieren die Schüler auch für den Ernstfall, dass jemand mit scharfer Munition in die Schule kommt. Wie läuft das ab?
Mai: Es gibt unterschiedliche Übungen für unterschiedliche Schweregrade: Ein „shelter in place“ oder „code blue“ bedeutet, dass es in der Nähe der Schule eine potentielle Gefahrenquelle oder in der Schule einen medizinischen Notfall gibt. Wenn wir eine solche Warnung bekommen, werden die Türen verriegelt und der Unterricht geht in den Klassenräumen weiter. Ein „lockdown“ oder „code red“ hingegen bedeutet, dass sich ein „active shooter“, ein Bewaffneter mit scharfer Munition, in der Schule aufhält. Dann werden alle Türen verschlossen und mit Stühlen zugestellt, die Fenster mit Stoffen und Papier zugeklebt, die Lichter ausgeschaltet und alle hocken sich in die selbe Ecke.
„Ein‚lockdown’ oder ‚code red’ hingegen bedeutet, dass sich ein ‚active shooter’, ein Bewaffneter mit scharfer Munition, in der Schule aufhält“
Emma Gonzalez, David Hogg oder Cameron Kasky, Überlebende des Amoklaufes in Parkland, sind die neuen berühmten Gesichter der Anti-Waffen-Bewegung. Mit ihrem Aktionismus haben sie sich aber auch Feinde gemacht. Spürt ihr Gegenwind?
Mai: Nicht persönlich, aber es war seltsam, dass unsere Schule und zwei weitere, die einen Spaziergang für strengere Waffengesetze vor das Weiße Haus am 21. Februar unterstützten, eine Bombendrohung genau an diesem Tag erhielten. Wir haben keine Beweise, aber wir glauben, dass die Anrufe von Leuten kamen, die gegen die Verschärfung der Waffengesetze sind.
Umfassende Background-Checks, höhere Altersgrenzen für Waffenkäufer, ein Verkaufsverbot für „Bump Stocks“ und anderen Vorrichtungen, die aus halb- vollautomatische Waffen machen – das sind nur ein paar Forderungen der Parkland-Überlebenden und ihren Anhängern. Was wollt ihr mit dem „March For Our Lives“ erreichen?
Michaela: Mit der Demo sagen wir: Wir haben es satt, immer nur das Ziel irgendeiner Gesetzgebung zu sein, die uns nicht hilft. Wir haben es satt, dass immer nur geredet und nichts getan wird. Wir haben es satt, jeden Tag Angst zu haben.
Gabrielle: So viele Schüler werden zum ersten Mal bei den bevorstehenden Midterm-Wahlen wählen und die Mehrheit aller Schüler, die gerade in High Schools sind, wird bei den nächsten Präsidentschaftswahlen ihr Kreuz machen dürfen. Wir wollen den Politikern zeigen, dass wir ein ernstzunehmendes Wählerklientel sind: Wenn ihr uns nicht unterstützt, dann unterstützen wir euch auch nicht.
Der Kongress in Florida hat kürzlich ein schärferes Waffengesetz verabschiedet. Das Gesetz ermöglicht auch, dass Schulangestellte und einzelne Lehrer Waffen tragen. Glaubt ihr trotzdem, dass sich etwas ändert?
Gabrielle: Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass große Einzelhändler wie Walmart als Reaktion auf den Amoklauf bestimmte Waffen aus ihrem Sortiment genommen haben. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung – ganz ohne neue Gesetze.
Mai: Außerdem erwarten wir nicht, dass einen Tag nach der Demo der Verkauf von Sturmwaffen verboten wird. Uns ist schon klar, wie lang es dauert, bis Gesetze geändert werden. Aber wir haben einen langen Atem.
Titelbild: JOSH HANER/NYT/Redux/laif