Als kürzlich die Meldung um den Globus ging, dass es chinesischen Wissenschaftlern gelungen sei, zwei Javaneräffchen zu klonen, wurde zwar überall pflichtschuldig darüber berichtet. Doch im Vergleich zu dem gewaltigen Medienrauschen, das einst um Klonschaf Dolly aufbrandete, nahm die Welt die Nachricht von der kopierten Affen-DNA ziemlich gelassen hin – obwohl die Chinesen damit dem Menschenverdoppeln einen großen Schritt näher gekommen sind. Und hatte es nicht immer geheißen, die DNA humanoider Lebewesen sei viel zu komplex, um lebensfähige Klone künstlich schaffen zu können? Anscheinend verliert auch der gruseligste Gedanke an Schrecken, wenn man sich erst einmal an ihn gewöhnt hat.
Man kann das Gruseln allerdings schnell wieder lernen, wenn einem dieses Buch in die Hände fällt. Der amerikanische Autor Daniel Suarez führt in seinem neuen Thriller „Bios“ zahlreiche kreative Einsatzmöglichkeiten avancierter Biotechnologie vor, von denen manche irgendwie ganz lustig, andere ziemlich zum Fürchten sind.
Im Körper des Feindes
„Bios“ spielt dort, wo möglicherweise über die Zukunft der Menschheit entschieden wird: in Ostasien. Das Singapur des Jahres 2045 ist ein futuristisch-ökologisches Hochhausparadies aus Dachgarten-Joggingparcours und selbstleuchtend gezüchteten, „biolumineszenten“ Bäumen, die tagsüber auf grün machen und nachts als Beleuchtung dienen. Hier lebt Kenneth Durand, Leiter der Fahndungsabteilung gegen Genkriminalität bei Interpol. Er ist einem Verbrechersyndikat auf der Spur, den sogenannten Huli Jing, die mit illegalen Genmanipulationen viel Geld verdienen. Doch die Bösen kommen ihm zuvor: Es gelingt ihnen, Durand ein gefährliches genmanipulierendes Mittel zu verabreichen, das all seine äußerlichen Körpermerkmale verändert. Als er nach Wochen im Koma in einem Krankenhaus erwacht, sieht er aus wie sein ärgster Feind, der Huli-Jing-Boss Marcus Wyckes, der von Durand und seinen Kollegen gesucht wird. Vor denen muss Durand jetzt fliehen – und sich neue Verbündete suchen, um das Allerheiligste der Huli Jing zu finden. Denn nur die Hightech-Gangster verfügen über das nötige Know-how im Gen-Editing, um ihn wieder in seinen alten Körper zurückzuverwandeln.
Durch Burma, Kambodscha und Thailand führt Durands gefährliche Mission, und man kann sich wunderbar vorstellen, wie all diese Landschaften sich wohl auf der Leinwand machen würden, aber so plastisch und szenisch, wie Suarez schreibt, braucht man den Film gar nicht, man hat ihn beim Lesen praktisch fertig vor Augen. Sogar die Verfolgungsjagden sind spannend erzählt und voller unerwarteter Wendungen.
Vollkommenes Leben, vollkommener Körper - die Gen-Mafia kann alles liefern
Die Szenen in den geheimen Labors der Huli Jing wiederum leben von ihrer skurrilen Surrealität – auf der einen Seite jedenfalls. Stars und Sternchen der Pop- und Filmgeschichte laufen dort in Serie herum, denn es gehört zu den Services der Organisation, Menschen, die mit ihrem von der Natur gegebenen Aussehen nicht zufrieden sind, mit gezielten Genmanipulationen zum gewünschten Promi-Look zu verhelfen. Auf der anderen Seite werden in denselben Labors auch Klone gezüchtet, bei denen bestimmte Merkmale besonders hervorgehoben wurden, damit sie gezielt als Arbeitssklaven eingesetzt werden können.
Das Erschreckendste an diesem Szenario ist noch nicht mal die Vorstellung, dass all diese Dinge irgendwann einmal möglich sein könnten. Es ist vielmehr die Konsequenz aus dieser Möglichkeit: Was möglich ist, so zeigt Suarez ziemlich überzeugend, wird auch gemacht werden. Zu groß ist die menschliche Sehnsucht nach dem vollkommenen Leben, dem vollkommenen Körper. Zu groß auf der anderen Seite die Gier nach Macht und Geld. An Gesetze und Verbote halten sich nur die Guten; die Bösen tun heimlich Böses.
Wenn die Gentechnologie wirklich einmal so weit kommt, wie Suarez es hier ausmalt, dann können wir nur hoffen, dass die Fahnder der dann wirklich dringend zu gründenden internationalen Genpolizei so entschlossen handeln wie der Held dieses Romans. Wobei die Handlungslogik, zugegeben, schon ein paar Fragen offenlässt. Denn eigentlich ist es ein Rätsel, wie eine so riesige illegale Organisation, wie sie hier geschildert wird, so lange unter den Augen der wiederum als sehr kompetent gezeigten internationalen Fahnder ihr Unwesen treiben konnte. Wohl nur, damit Suarez seinen Helden in ein richtiges Abenteuer schicken kann. Aber das ist ja okay. Und schön, dass das alles nur Fiktion ist!
Daniel Suarez: „Bios“. Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. Rowohlt, Reinbek 2018, 544 Seiten, 12,99 Euro
Foto: Jan Durina