Herr Müller, lassen Sie uns übers Essen reden. Können Sie uns als Schweizer sagen, wie viel Fleisch wir Deutschen essen?
Die aktuellen Zahlen der vergangenen Jahre zeigen, dass Sie etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf im Jahr verzehren. In einem ganzen Leben sind das im Schnitt zwischen 640 und 720 Tiere. Obendrauf kommt noch die Menge, die im Müll landet, und das, was man heute gar nicht mehr auf dem Teller findet.
Und was und wie viel ist das?
In Deutschland wirft jeder durchschnittlich mehr als vier Kilo Fleisch und Wurst im Jahr weg. Sieben Prozent des Pro-Kopf- Fleischverzehrs macht das aus. Und was heute kaum mehr gegessen wird, sind vor allem Innereien und Tierteile wie Schweinsfüße oder Zungen. Da ist der Konsum über die letzten 30 Jahre um 90 Prozent zurückgegangen.
Für die Fleischproduktion braucht es ja jede Menge landwirtschaftliche Flächen ...
Ja, Futtermais ist beispielsweise auf fast einem Fünftel der Ackerfläche eine der größten Kulturen in Deutschland. Für die vielen tierischen Produkte, die gegessen werden, braucht man den Mais als gute Futterpflanze mit hohen Erträgen. Allerdings werden die Böden mit jahrelangen Maismonokulturen völlig ausgelaugt.
In Deutschland gibt es viele Menschen, die gegen den Einsatz von Pestiziden und Gentechnik sind. Wäre es denn möglich, die deutsche Bevölkerung nur mit Biolebensmitteln zu ernähren?
Wenn man weniger tierische Produkte isst, auf jeden Fall. Bei einer Umstellung auf Bio müsste der Konsum um 50 Prozent reduziert werden, damit Deutschland nicht mehr Land bräuchte. Wir sollten uns also die Frage stellen, ob wir wirklich so viel Fleisch, Milch, Käse und Eier essen müssen. Denn nur durch einen nachhaltigen Konsum können wir die Auswirkungen des Ernährungssystems auf die Umwelt verringern. Zum Beispiel gibt es durch die Düngung in der Landwirtschaft viel zu viel Stickstoff in den Böden. Das gesamte Produktionssystem ohne zusätzliche Veränderungen auf Bio umzustellen ist aber auch keine Alternative, weil wir dafür viel mehr Fläche benötigten. Deshalb brauchen wir eine Kombination, die die Produktion nachhaltiger macht und gleichzeitig die Konsumenten in die Pflicht nimmt.
Es geht also auch um Verzicht?
Das hört sich sehr negativ an. Sagen wir lieber, wir sollten die Tugenden Bescheidenheit und Klugheit attraktiv machen. So wie bisher können wir auf keinen Fall weitermachen. Es muss eine neue Wertehaltung her, die eine freiwillige Konsumreduktion und ein Bewusstsein für planetare Grenzen beinhaltet. Aber das dauert mindestens zwei Generationen. Beef Verfechter der Gentechnik weisen darauf hin, dass Landwirte mit Genpflanzen höhere Ernteerträge erwirtschaften können.
Wäre das eine Alternative, um weiter dieselbe Menge Fleisch essen zu können?
Auch mit Gentechnik können wir die Erträge nicht so hochschrauben, dass wir gleich viel Fleisch produzieren können. Das schafft man nicht. Und das Problem der Nährstoffüberschüsse in Ökosystemen wäre dadurch auch nicht gelöst.
Sind Bio- und Industrielandwirtschaft zwingend unversöhnliche Gegensätze? Kann man vielleicht beides intelligent miteinander kombinieren?
Das Wichtigste ist eine Lebensmittelproduktion, die weniger Auswirkungen auf die Umwelt hat, kombiniert mit einem Konsum, der weniger totale Menge braucht. Und das heißt: weniger Abfall und weniger tierische Produkte. Dann spart man sich nämlich all die Futtermittel wie Getreide und Soja. Auf der Produktionsseite können wir die Umweltauswirkungen durch verschiedene Maßnahmen minimieren. Dazu gehört der Biolandbau mit weniger Pestizid- und Stickstoffdüngereinsatz. Aber die konventionelle Landwirtschaft hat auch Innovationen zu bieten, die für den Bioanbau attraktiv sind. Zusätzlich müssen wir die Leistungen, die die Ökosysteme erbringen, nutzen und den Fokus auf Dinge wie zum Beispiel die Bodenfruchtbarkeit setzen. Bio kann auch hier viel bei- tragen. Wir brauchen gute Ansätze aus allen Systemen.
Hinzu kommt, dass wir immer mehr Flächen für Windräder und Solarzellen nutzen. Wird das Land für Getreide und Gemüse knapp?
Solar frisst auf jeden Fall Fläche. Man sollte die Anlagen deshalb zumindest so hoch konstruieren, dass sich darunter Hühner aufhalten oder dort auch Schafe grasen können. Sonst verliert man die Fläche ganz. Grundsätzlich gilt aber auch beim Energieverbrauch: Wir müssen versuchen, das System kleiner zu machen, also weniger Energie zu verbrauchen.