„Das Gehirn ist was anderes als die Rippen“, sagt Brady Blackburn, als er mit seinen Kumpels am Feuer sitzt. „Für einen Cowboy zählt das nicht“, meint einer. Verletzungen haben alle Rodeo-Jungs hinter sich, sie wurden von wilden Hengsten und Stuten wieder und wieder aus dem Sattel befördert. Brady traf es besonders hart. Ein Huf knallte gegen seinen Schädel und schickte ihn ins Koma. Seit er wieder wach ist, versteift sich immer wieder seine Hand und will nicht mehr loslassen. Als hätte das sture Zupacken, das ihn früher auf dem Pferd hielt, von seinem Körper Besitz ergriffen.
Brady stammt von den Lakota ab, wuchs im Pine-Ridge-Reservat auf. Unter anderen Cowboys, die wie er zur indigenen Bevölkerung Nordamerikas gehören. Ein Leben zwischen Traditionen und Moderne, geprägt von Vorurteilen und Erwartungshaltungen. Wie viele Männer vor ihnen, wie die großen Helden des Western, reiten sie gemeinsam durch den Schmerz und fordern sich gegenseitig heraus, über ihre Grenzen zu gehen.
Nicht nur bei Brady stehen im Hintergrund Familien und geliebte Menschen, die unter dem permanenten Risiko des Reitens leiden. Seinen Kindheitsfreund Lane traf es am schlimmsten, er kann nach einem schweren Unfall nicht mehr sprechen und sich kaum noch bewegen. Die beiden tauschen über Zeichensprache Sprüche aus, als wäre der nächste Ritt noch immer in Sichtweite. Bradys Handicap stellt ihn vor die Frage, ob er noch einmal sein Leben riskieren wird. Wird er für den Kitzel seinen Vater und seine Schwester vielleicht für immer im Stich lassen?
Das Reiten ist Teil seiner Identität. Besonders wenn er Pferde zähmt, wird das klar: Da ist eine tiefe Verbundenheit mit ihrem Wesen, eine seltene Zärtlichkeit. Einmal begegnet ihm Apollo, ein Hengst, der noch nie geritten wurde. Und er kann sich der Nähe zu dem Ross nicht entziehen. Regisseurin Chloé Zhao, die in Peking geboren ist und zu den wichtigsten Stimmen des US-Independent-Kinos zählt, zeigt in diesen Momenten, wie Brady zum Vater wird und zur Mutter, zum Freund und zum Tanzpartner.
Halb wahr und ungemein realitätsnah
Das besondere Charisma des Helden kommt nicht von ungefähr: Der ehemalige Rodeoreiter Brady Landreau spielt als Brady Blackburn im Grunde sich selbst, erzählt hier seine eigene Geschichte. Bradys Kopfwunde vom Anfang des Films ist weder erfunden noch inszeniert. Ebenso wie das große Rückentattoo, das er sich vor der Kamera als Andenken an seinen gelähmten Freund Lane stechen lässt. Zhaos Film ist halbdokumentarisch und liefert damit nicht bloß einen erzählerischen Gegenentwurf zu den angejahrten Männlichkeitsgeschichten des Western, sondern positioniert sich auch in der Wahl der filmischen Methode gegen die stilisierten Helden und Klischees des Genres. Ihr Film ist kompliziert, weil er halb wahr ist, und formuliert am Rande der amerikanischen Gesellschaft ein berührendes, realitätsnahes Gegenwartsbild. Die Männer, die sie zeigt, leben wirklich in dieser Naturkulisse, die selbst die amerikanische Bevölkerung vor allem aus Filmen über die Vergangenheit kennt.
Zhao trifft mit „The Rider“ den Nerv der Zeit, in der selbst im Mainstreamkino die harten Burschen seit langem von einer großen Palette feinfühliger Männer flankiert werden. Auch das Western-Genre hat sich mit Filmen wie „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ immer wieder erfunden. Schon seit dem Vietnamkrieg reicht es nicht mehr aus, von der Eroberung der Wildnis durch starke, gesunde Männerkörper zu erzählen, von der Unterwerfung des Fremden, vom Freiheitsmythos der USA.
Trotzdem war es für Cloé Zhao als kritische, asiatischstämmige Regisseurin schwierig, ihren Film zu finanzieren. Und das, obwohl schon ihr Regiedebüt bei den wichtigen Filmfestspielen in Cannes lief. Mit „The Rider“ gelang es ihr gegen alle Widerstände erneut, dort Premiere zu feiern. Und einen Preis zu gewinnen.
„The Rider“, USA 2017; Regie: Chloé Zhao; 104 Min.
Fotos: Weltkino Filmverleih, Joshua James Richards