Was wurde verhandelt?
In den Jahren 2000 bis 2007 soll der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) laut Anklage neun Menschen mit türkischem, kurdischem und griechischem Hintergrund aus rassistischen Motiven ermordet haben: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. Außerdem erschossen sie die Polizistin Michèle Kiesewetter aus bislang ungeklärten Gründen. Laut der 488-seitigen Anklageschrift hatten es sich die NSU-Terroristen zum Ziel gesetzt, „durch Mord- und Sprengstoffanschläge ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen von der Erhaltung der deutschen Nation“ umzusetzen.
Beate Zschäpe wird die Mittäterschaft bei allen Morden, Anschlägen und Überfällen vorgeworfen. Nach Ansicht der Ankläger bestand die terroristische Vereinigung aus mindestens drei Mitgliedern: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Ihnen werden außerdem eine Serie von Banküberfällen und drei Bombenanschläge in Köln vorgeworfen. Dem NSU zugerechnet, aber nicht Teil der Anklage sind zudem ein Bombenanschlag in Nürnberg sowie das Auftauchen einer Reihe bombenähnlicher Gegenstände in Jena. Im November 2011 wurde das Trio enttarnt, nachdem es seit 1998 im Untergrund gelebt hatte. Nach einem Banküberfall stellte die Polizei die beiden Männer des Trios in einem Wohnmobil. Mundlos soll zuerst Böhnhardt erschossen haben und anschließend sich selbst.
Wer ist warum angeklagt?
Die Hauptangeklagte in München ist die einzige Überlebende des Trios, Beate Zschäpe. Ihr wird unter anderem Mittäterschaft an den zehn Morden vorgeworfen. Sie sei „gleichberechtigtes Mitglied“ des NSU gewesen und habe dem Trio nach außen hin den „Anschein der Legalität“ gegeben. Beate Zschäpe bestreitet diese Vorwürfe. Sie habe von den Taten der beiden Männer immer erst im Nachhinein erfahren und distanziere sich auch jetzt von den Morden. Sowohl die Anwälte der Opfer als auch die Bundesanwaltschaft bezweifeln jedoch, dass die Angeklagte Reue empfindet.
Außerdem sitzen vier mutmaßliche Unterstützer und Helfer des NSU auf der Anklagebank: Ralf Wohlleben, André Eminger, Carsten S. und Holger G. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe geholfen haben, ihr Leben im Untergrund zu führen.
Wer klagt an?
Weil fünf Morde in Bayern begangen wurden, findet der Prozess vor dem Oberlandesgericht München statt. Ankläger ist die Bundesanwaltschaft, also die oberste Strafverfolgungsbehörde in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Staatsschutzes, da durch den als terroristische Vereinigung eingestuften NSU die innere Sicherheit des Staates in besonderem Maße gefährdet wurde. Außerdem werden über 90 NebenklägerInnen (Angehörige der Opfer und Verletzte der Bombenanschläge) von etwa 60 RechtsanwältInnen vertreten.
Warum hat der Prozess so lange gedauert?
Karl Huber, der Präsident des Münchner Oberlandesgerichts, schätzte die Dauer zu Beginn auf zweieinhalb Jahre. Schaut man sich den Umfang des Falles an, ist das nicht verwunderlich: Fast 500 Seiten umfasst die Anklageschrift (u.a. 10 Morde, 15 bewaffnete Raubüberfälle, Bildung einer terroristischen Vereinigung). Auf der Anklagebank sitzen fünf Personen. 815 Zeuginnen und Zeugen sowie Sachverständige wurden geladen. In dieser Zahl sind jedoch auch Mehrfachladungen und Zeuginnen und Zeugen, die letztlich doch nicht gehört wurden, enthalten. Der Prozess hat schließlich doppelt so lange gedauert, weil er oft durch Befangenheitsanträge und wegen Erkrankungen von Prozessbeteiligten unterbrochen wurde.
Ist damit die von Bundeskanzlerin Angela Merkel zugesicherte Aufklärung vollbracht?
Angela Merkel hatte den Hinterbliebenen der NSU-Opfer bei ihrer Gedenkrede 2012 versprochen, alles für die Aufklärung des NSU-Komplexes zu tun. Kritiker, wie etwa Amnesty International, werfen der Bundeskanzlerin vor, dieses Versprechen nicht vollständig eingelöst zu haben. Zu viele Fragen seien nach wie vor offen. Beispielsweise welche Rolle Helfershelfer und Hintermänner im Umfeld des Trios genau gespielt haben. Kritiker sprechen von staatlichem Versagen und institutionellem Rassismus, der dazu geführt habe, dass der NSU so lange unentdeckt agieren konnte.
Um diese Fragen zu lösen, haben der Bundestag und acht Länderparlamente Untersuchungsausschüsse eingesetzt, die ein behördliches Versagen bei den Ermittlungen geprüft haben beziehungsweise weiterhin prüfen. In den bereits vorliegenden Abschlussberichten werden die Ermittlungsbehörden unter anderem dafür kritisiert, trotz teils anderweitiger Hinweise jahrelang nur in Richtung „organisierte Kriminalität“ ermittelt zu haben. Einem möglichen rassistischen Tatmotiv sind die Ermittler über viele Jahre nicht nachgegangen. Des Weiteren sehen die Untersuchungsausschüsse die Arbeit des Verfassungsschutzes bezüglich des NSU-Komplexes kritisch. Der habe eine „mangelnde Analysefähigkeit“ und „erhebliche Defizite in der Dienst- und Fachaufsicht“ erkennen lassen.
Welches Urteil wurde gesprochen?
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird wegen zehnfachen Mordes zu „lebenslanger“ Haft verurteilt – das Höchstmaß –, die anderen Angeklagten bekommen zum Teil mildere Strafen, als von Prozessbeobachtern erwartet wurde: Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben wird wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, Holger G. zu drei Jahren, André E. zu zweieinhalb Jahren und Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe. Zschäpes Anwälte haben bereits angekündigt, dass sie gegen das Urteil Revision einlegen werden.
Mehr Informationen über den NSU findest du auf bpb.de. Was die Taten des NSU für die türkische Community bedeutete, zeigt dieser Film der bpb.
Fotos: Regina Schmeken/SZ Photo/laif