Ende März: Der HSV steht seit Wochen auf einem Abstiegsplatz, und dann auch noch das: Im Spiel gegen den VfB Stuttgart kassieren die Hamburger ein Tor. Und was macht Schütze Daniel Ginczek? Der wirbelt mit breitem Grinsen und ausgebreiteten Armen über den Platz. Das Problem: Einige Monate zuvor hatte HSV-Kollege Nicolai Müller nach einem Tor ganz ähnlich gejubelt – und sich dabei dummerweise einen Krenzbandriss zugezogen.
Die HSV-Spieler glauben, dass Ginczek sich lustig macht über die schwere Verletzung ihres Leistungsträgers. Tja, hätten sich die Hamburger nur mal mehr mit „Fortnite“ beschäftigt, dann hätten sie sich ihre Energie für den Abstiegskampf aufsparen können. Denn Ginczek wollte keinen HSV-Jubel imitieren, sondern einen „Fortnite“-Jubel, genauer: den Jubel mit dem programmatischen Namen „Jubelstimmung“.
Andere „Fortnite“-Jubel heißen „Bel Air“ (die Arme werden abwechselnd wild nach links und rechts geworfen), „Electro Shuffle“ (Ententanz zu Kirmestechno) oder „Ponyritt“ (wild auf und ab springen und dabei ein imaginäres Lasso schwingen). Die meisten wurden schon als Torjubel zweckentfremdet. Angefangen hat damit übrigens der Karlsruher SC. Nach dem Tor kroch der überglückliche Schütze scheinbar schwer getroffen über das Spielfeld, ein hinzueigeeilter Mannschaftskamerad „erschlug“ ihn daraufhin mit einer imaginären Spitzhacke. Für „Fortnite“-Spieler eine typische Spielszene, für den irritierten „Sportschau“-Kommentator hingegen der „schrägste Torjubel des Jahres“.
Auch Antoine Griezmann freut sich à la „Fortnite“ - hier bei seinem versenkten Elfer im WM-Finale
Mittlerweile allerdings dürfte sich herumgesprochen haben, dass sich Fußballer gerne von „Fortnite“ inspirieren lassen, einem Spiele-Hype des Jahres 2018. „Fortnite“ ist streng genommen ein kooperativer Shooter in bonbonbunter Comic-Grafik, der eigentlich schon im Juli 2017 erschienen ist, nachdem er bereits eine gefühlte Ewigkeit in der Entwicklung war. Das Spiel war sofort ein Erfolg, aber so richtig durch die Decke ging es erst, als es die Programmierer mit einem sogenannten Battle-Royal-Modus aufrüsteten. Battle Royal, das heißt: Bis zu 100 Spieler treten gegeneinander an, am Ende bleibt einer übrig, ähnlich wie in der gleichnamigen japanischen Romanvorlage; die meisten würden es wohl eher aus den „Hunger Games“ kennen. Populär gemacht hat dieses Genre kurz zuvor ein anderer Shooter, nämlich „Playerunknown’s Battlegrounds“ (kurz „PUBG“).
Alles nur geklaut?
Der Clou bei „PUBG“: Die Spieler müssen sich innerhalb einer kreisförmigen Begrenzung aufhalten, sonst nehmen sie Schaden. Der Kreis taucht in einem bestimmten Zeitintervall immer an einer anderen Stelle auf und wird zudem kleiner. Damit müssen sich die Spieler permanent bewegen, zudem verleiht diese Mechanik dem Geschehen eine eingängige Dramaturgie, die unweigerlich auf einen Showdown hinausläuft, perfekt für Let’s Plays auf Youtube und Streams auf Twitch.
Noch ein Effekt: Dieses Damoklesschwert des Digitalzeitalters sorgt alle paar Minuten für immense Spannung, denn wenn man Glück hat, taucht der Kreis genau dort auf, wo man sich ohnehin gerade befindet – oder eben nicht, und man muss sich irgendwie zum anderen Ende der Karte durchtanken.
Der Vorteil von Fortnite: Es ist ziemlich einsteigerfreundlich, wie dieses Let's Play zeigt.
„Fortnite“ kopierte schnell das „PUBG“-Prinzip, und der Hersteller wurde deswegen sogar verklagt. Mittlerweile wurde die Klage allerdings fallen gelassen, vielleicht, weil der chinesische Tech-Riese Tencent mit den Herstellern beider Spiele verbandelt ist, vielleicht aber auch, weil die Klage keine Aussicht hätte auf Erfolg. Denn einerseits hat „Fortnite“ von „PUBG“ zwar schamlos abgekupfert, andererseits gibt es aber auch Unterschiede: „Fortnite“ spricht eher Gelegenheitsspieler an, und das wiederum hat „Fortnite“ insgesamt 40 Millionen aktive Nutzer eingebracht – und der Firma Epic Games eine Menge Geld. Denn „Fortnite“ kann man zwar umsonst spielen, doch wer eine schicke Axt, einen stylischen Gleiter oder anderen kosmetischen Schnickschnack sein Eigen nennen möchte, der muss letztlich Geld ausgeben.
So könnte der Hype enden
Laut der Analysefirma SuperData soll „Fortnite“ allein im Mai mehr als 300 Millionen US-Dollar umgesetzt haben. Dem Spiel ist dabei das Kunststück gelungen, auf allen verfügbaren Plattformen erfolgreich zu werden; in der bunten Comicwelt battlen sich Spieler auf dem PC genauso wie auf der Nintendo Switch oder sogar auf dem Smartphone.
Dass sich „Fortnite“ besonders auf Schulhöfen so schnell verbreitet hat, ist manchem ein Dorn im Auge. „Fortnite“ war eigentlich ab zwölf Jahren freigegeben, doch der Battle-Royal-Modus, der mittlerweile auf manchen Plattformen als eigenes Spiel ausgekoppelt wurde, hat eine Altersempfehlung „ab 16“ bekommen. Das trägt zur Beunruhigung vieler Eltern und Lehrenden bei. In einem ProSieben-Beitrag war die Rede von einem „wilden Gemetzel“. Blut fließt in „Fortnite“ zwar nicht. Doch das Spielprinzip, alle anderen zu töten, um selbst – oder zumindest die eigene Squad – der letzte Überlebende zu sein, ist dennoch umstritten.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Diskussionen über Alter und Gewalt der Popularität schaden werden. Gefährlich werden könnte dem Shooter hingegen etwas anderes, nämlich: die Konkurrenz. Denn wie die „Fortnite“-Entwickler selbst aus erster Hand wissen, lässt sich das Battle-Royal-Prinzip sehr leicht kopieren, beispielswiese soll dem nächsten „Call of Duty“ ein Battle-Royal-Modus spendiert werden. Und so könnte „Fortnite“ irgendwann vielleicht in der Gunst der Spieler genauso absteigen wie der HSV aus der Ersten Bundesliga.