Mit dem Wasser des Bodensees kennt sich Herbert Löffler eigentlich gut aus. Der Biologe, der am Institut für Seenforschung des Landes Baden-Württemberg in Langenargen arbeitet, entnimmt regelmäßig Proben, untersucht sie auf Chemikalien oder Algen.

An einem Tag im Oktober vergangenen Jahres ist es komplizierter. Die „Kormoran“, das Forschungsschiff des Instituts, liegt mitten im See; mit einem kleinen Kran wird ein kegelförmiges Netz in das Wasser gelassen – eines mit kleinsten Maschen. Eine gute halbe Stunde ziehen sie das Spezialnetz neben dem Boot durch den See. Anschließend nehmen zwei Experten von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne die Proben mit ins Labor.

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Im Bier, im Badewasser, überall kann Mikroplastik sein. Gut dass es Momente gibt, in denen einem das völlig egal ist (William Minke)

Im Bier, im Badewasser, überall kann Mikroplastik sein. Gut dass es Momente gibt, in denen einem das völlig egal ist

(William Minke)

Es geht nicht um Wasserflöhe oder Algen. Sie suchen nach Plastik, nach winzigen Kunststoffpartikeln. Schon seit den 1970er-Jahren beobachtet Löffler am Institut das Bodenseewasser. „Aber Mikroplastik“, sagt er, „ist für uns ein ganz neues Thema.“ Er wartet auf die Ergebnisse der Experten. Im Genfer See, das hatten die Schweizer Wissenschaftler erst kurz zuvor herausgefunden, ist das Wasser voller winziger Plastikpartikel.

Dass Einkaufstüten am Wegesrand und Einwegflaschen in Bachläufen ein Umweltproblem sind, ist offensichtlich. Doch erst in jüngster Zeit rücken Kunststoffstückchen in den Blickpunkt, die so winzig sind, dass Forscher sie lange übersehen haben. Dafür entdecken sie sie nun fast überall: in der Donau, im Gardasee, in Wattwürmern, im Kot von Seemöwen, in Muscheln. Kürzlich sorgten Meldungen für Aufsehen, wonach Plastikteilchen sogar in Mineralwasser, Bier und Bienenhonig gelangt sind.

Als Mikroplastik werden Kunststoffpartikel bezeichnet, die für das Auge meist unsichtbar und nur mit komplizierten Verfahren nachzuweisen sind. „Wir haben derzeit eine Vielzahl von Funden“, sagt Claus Gerhard Bannick vom Umweltbundesamt, der das Thema dort betreut. „Aber die Forschung steht noch sehr am Anfang.“ Giftig ist der Großteil des Plastiks in der Regel nicht. Trotzdem kann es gefährlich werden, weil sich an den Kunststoffstücken Umweltgifte wie Pestizide festsetzen. Das passiert grundsätzlich auch bei anderen Partikeln. Doch Plastik unterscheidet sich von dem meisten, was sonst noch im Wasser treibt: Es verrottet nicht. Das Material etwa, aus dem eine Plastikflasche besteht, braucht nach Angaben des Umweltbundesamtes bis zu 450 Jahre, um sich zu zersetzen. „Da Kunststoff so langlebig ist, können sich Schadstoffe dort besonders stark anreichern“, sagt Bannick.

Plastikkörnchen soll Schuppen von der Haut und Plaque von den Zähnen scheuern

Sebastian Pörschke forscht am Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen an Alternativen zu Plastik, das in Produkten vorkommt, in denen man es gar nicht vermuten würde. In Duschgel zum Beispiel. Pörschke hat es selbst getestet, Duschgel mit Wasser verdünnt in ein Sieb gegeben, dessen Poren halb so dünn sind wie ein menschliches Haar. Stunde hat der Ingenieur daher warten müssen, bis das Gel durchgesickert war. Zurück blieb ein weißes Pulver, „wie Salz oder Zucker“.

Der Labortest bestätigte: Polyethylen. Der Stoff, aus dem auch die im Meer treibenden Müllsäcke und Verpackungen sind. 500 Tonnen Mikroplastik werden deutschlandweit nach Schätzungen des Hürther Nova-Instituts in Gesichtscreme, Duschgel, Zahnpasta und anderen Kosmetikprodukten verarbeitet. Die kleinen Körnchen scheuern Schuppen von der Haut und Plaque von den Zähnen. Dann fließen sie durch den Abfluss im Waschbecken in die Kanalisation.

Und kommen zum Beispiel bei Birgit Packebusch an. Sie arbeitet als Wasseranalytikerin im Nürnberger Klärwerk. Als sie davon hörte, dass Forscher inzwischen sogar im Bodensee nach unsichtbaren Plastikpartikeln suchen, war sie alarmiert: „Das Abwasser ist natürlich ein sehr relevanter Weg, über den Mikroplastik in die Umwelt gelangen kann“, sagt Packebusch. Sie schaute sich das Wasser an, das das Klärwerk am Ende in die Pegnitz gibt, den Fluss, der durch Nürnberg fließt. Das Ergebnis: 6.000 Plastikpartikel pro Liter waren darin. Ist das viel? Ist das wenig? Man weiß es nicht. Packebusch fand keine vergleichbaren Zahlen von anderen Kläranlagen, das Thema spielte bisher kaum eine Rolle. Es gibt zwar Vorgaben, wie sauber Wasser sein muss, wenn es aus den Kläranlagen kommt; für Kleinstplastik existieren bislang aber keine Grenzwerte.

Weil Klärschlamm zum Düngen verwendet wird, landet das Mikroplastik auf den Feldern

Packebusch schätzt, dass das Klärwerk 90 Prozent der Kunststoffstückchen aus dem Abwasser fischen kann. Das meiste bleibt im Klärschlamm hängen, der anschließend in speziellen Müllverbrennungsanlagen vernichtet wird. Damit ist ein Teil des Plastiks aus der Umwelt. Zumindest in Nürnberg. Denn selbstverständlich ist das keineswegs: Experte Bannick vom Umweltbundesamt schätzt, dass deutschlandweit immer noch etwa die Hälfte des Klärschlammes zum Düngen in der Landwirtschaft verwendet wird – die Plastikstückchen aus Zahnpasta und Duschgel landen so direkt in der Umwelt. Die große Koalition hat in ihrem Regierungsvertrag immerhin angekündigt, Klärschlamm als Düngemittel verbieten zu wollen.

Aber was ist mit den 6.000 Plastikpartikeln pro Liter, die die Nürnberger Kläranlage bislang nicht aus dem Abwasser bekommt? Man könnte das Wasser durch noch feinere Filter laufen lassen, solche, die man auch benutzt, um Trinkwasser aufzubereiten. Aber dann müssten die Gebühren drastisch steigen, sagt Packebusch. Man könnte das Wasser länger in den Klärbecken ruhen lassen, damit sich mehr Partikel absetzen. „Aber das bräuchte ewig. Und bei den Abwassermengen, die Tag für Tag bei uns ankommen, müssten wir riesige zusätzliche Flächen haben.“ Am besten wäre es daher, wenn gar nicht erst so viel Plastik in den Klärwerken ankäme.

Plastik im Duschgel ist eigentlich unnötig, findet Sebastian Pörschke vom Fraunhofer-Institut in Oberhausen. Er hat Versuche mit dem Wachs des Carnaubabaums gemacht, einer Palme aus Brasilien. Pörschke hat das Wachs schockgefroren, anschließend gemahlen und untersucht, ob es ähnlich auf der Haut wirkt. Dafür hat er das Wachspulver in einen trinkglasgroßen Topf gefüllt und in eine Vorrichtung gestellt, die wie ein Rührmixer aussieht. Einen mit Kunsthaut überzogenen Metallfinger taucht das Gerät in das Pulver. 600 Mal pro Minute dreht die Maschine den Finger, mit 60 Umdrehungen kreist der Topf in die andere Richtung.

110.000 Tonnen Reifenabrieb verlieren Autos im Jahr auf Deutschlands Straßen

Pörschke hat den Versuch mit Sand und Plastik wiederholt und anschließend jedes Mal unter dem Mikroskop geschaut, was mit der Kunsthaut passiert ist. Der Sand hinterließ beim Scheuern tiefe Riefen. Die Plastikkörnchen nicht. „Beim Wachs sah es genauso aus“, sagt Pörschke. „Man könnte es also genauso gut in der Kosmetik einsetzen.“ Nur ein Problem gibt es: Plastik ist unschlagbar billig. Die Wachskörnchen wären für die Industrie doppelt so teuer, schätzt Pörschke.

Und die Kosmetik wäre auch nur ein Anfang. Aus einem Fleecepulli lösen sich in der Waschmaschine Polyester- und Polyacrylfasern; das Umweltbundesamt schätzt, dass nach jedem Waschgang bis zu 2.000 davon in die Meere gelangen, da sie von den Klärwerken nicht zurückgehalten werden. Aber nicht nur beim Waschen gelangt Plastik in die Umwelt: 110.000 Tonnen Reifenabrieb im Jahr verlieren Autos auf Deutschlands Straßen – das ist gut 200-mal mehr Kunststoff, als in Kosmetik verarbeitet wird. Der Regen spült es in die Kanalisation.

Oder Baustellen. Claus Gerhard Bannick hat neulich auf dem Weg zur Arbeit im Umweltbundesamt Bauarbeiter beim Zuschneiden von Styroporplatten beobachtet – und die unzähligen weißen Kügelchen, die der Wind umherwehte. „Ich gehe mit ganz anderen Augen durch die Landschaft, seit ich das Thema betreue“, sagt er. Und ständig entdeckt er – Plastik. Da geht es ihm also ganz ähnlich wie Herbert Löffler, dem Biologen am Bodensee.

Bernd Kramer schreibt als freier Autor unter anderem für Die Zeit, Neon und taz. Als studierter Volkswirt und Soziologe beschäftigt er sich in seinen Texten gerne mit den großen Fragen der Gesellschaft. Es wurde Zeit, dass es sich auch mal den ganz kleinen Dingen des Lebens journalistisch zuwendet. Was er bravourös getan hat.