Berlin-Mitte, Freitag, kurz nach zwölf Uhr, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Während drinnen die Kohlekommission berät, wie und wann Deutschlands Kohlekraftwerke schließen sollen, bebt draußen die Erde. „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle, hey, hey!“, ruft ein Schüler ins Mikrofon, mehrere Tausend folgen. Zehntausend, sagen die Organisatoren, die Initiative Fridays for Future. Etwa die Hälfte davon, sagt die Polizei. Fünf von ihnen kommen gerade von einem Treffen mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Die Klimaziele, beteuern sie, seien aber nicht verhandelbar.
Die Schülerinnen und Schüler fordern die Bundesregierung auf, die Klimakrise ernst zu nehmen und mehr gegen die Erderwärmung zu tun. Sie selbst schwänzen dafür die Schule, wie in den vergangenen Wochen bundesweit Tausende andere Jugendliche. Vorbild für die Bewegung ist die Schwedin Greta Thunberg, die seit mehreren Monaten jeden Freitag für den Klimaschutz streikt. In Berlin war sie nicht dabei. Die 16-Jährige hatte einen Termin in Davos beim Weltwirtschaftsforum.
„Schaut euch doch mal um! Das hier heute ist der Beweis, dass unsere Generation etwas verändern will“
Kolja Schnellen, 15, und Marie, 14, Berlin: „Es heißt immer, wir Jungen wären unpolitisch und würden uns nur für uns selbst interessieren. Aber schaut euch doch mal um! Das hier heute ist der Beweis, dass unsere Generation etwas verändern will. Der nächste Schritt: CO2-Steuer!“
„Es kann doch nicht sein, dass ich als 15-Jähriger die Verantwortung für meine eigene Zukunft übernehmen muss, weil die Erwachsenen es nicht hinbekommen“
Linus Steinmetz, 15, Göttingen, hat die Demo in Berlin mitorganisiert: „Würden wir nicht hier stehen, würde hier niemand stehen. Es kann doch nicht sein, dass ich als 15-Jähriger die Verantwortung für meine eigene Zukunft übernehmen muss, weil die Erwachsenen es nicht hinbekommen.
Ich hätte nicht erwartet, dass uns die Kohlekommission einlädt, um über den Austritt zu reden. Aber gut, wir hatten auch nur drei Minuten, um unser Anliegen vorzubringen. Die Stimmung im Wirtschaftsministerium war komisch; cool war aber, dass es so gewirkt hat, als wären wirklich viele verschiedene Interessen in einem Raum versammelt. Herr Altmaier schien uns relativ ernst zu nehmen. Die Sache ist nur: Uns geht es nicht um kleine Zugeständnisse oder um wirtschaftliche Interessen. Es geht um unsere Zukunft und die von Milliarden anderen Menschen. Ich glaube, so ganz verstanden haben sie es noch nicht. Aber vielleicht war das heute ein erster Schritt.
Einen ausgeklügelten Maßnahmenkatalog hat Fridays for Future nicht. Dafür gibt es Experten, die sich mit der Materie tatsächlich auskennen. Die wissen, wie man möglichst schnell aus der Kohle aussteigen könnte. Wir wollen einfach klarmachen, dass unsere Generation ein großes Anliegen hat. Und dass es eigentlich die Aufgabe der Erwachsenen ist, das umzusetzen. Dass das nicht längst passiert ist, verstehe ich nicht.“
Jasper Hadré, 16, Berlin: „Das ist die erste Demo, auf der ich bin. Das Thema Umweltschutz habe ich aber immer ein bisschen im Hinterkopf. Ich versuche zum Beispiel, möglichst wenig zu konsumieren und einzukaufen. Im Endeffekt werden schließlich wir Jungen es ausbaden müssen, wenn nicht sehr bald was passiert. Den geforderten Kohleausstieg bis 2030 finde ich aber nicht realistisch. Irgendwo muss die Energie doch herkommen.“
„An erster Stelle muss natürlich die Umwelt stehen: Die Wirtschaft kann man wieder aufbauen, den Planeten nicht“
Die Kohlekommission ist ein Gremium mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Umweltverbänden. Sie wurde von der Regierung beauftragt, den Austritt aus der Kohleenergie zu planen. Nach einer über 20-stündigen Sitzung einigte sich die Kommission am frühen Samstagmorgen auf einen Ausstieg bis spätestens Ende 2038. Kraftwerksbetreiber sollen durch den Bund entschädigt und betroffene Bundesländer mit 40 Milliarden Euro unterstützt werden.
Gian Leo Wiget, 16, Berlin: „Wir müssen ein Konzept entwickeln, das die Umwelt entlastet, aber auch die Wirtschaft voranbringt. An erster Stelle muss natürlich die Umwelt stehen: Die Wirtschaft kann man wieder aufbauen, den Planeten nicht.
Ich bin heute mit Freunden aus der Feminismus-AG meiner Schule da. Einmal die Woche organisiere ich Treffen, gestern haben wir gemeinsam Plakate für die Demo gemalt. Mit der AG will ich erreichen, dass Leute ein Bewusstsein dafür entwickeln, warum Gleichberechtigung wichtig ist. In der Schule geht es zum Beispiel darum, diskriminierende Beleidigungen aus dem Sprachgebrauch zu entfernen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle Leute so sein können, wie sie sind.“
Mariama Dabo, 15, Berlin: „Der Kohleausstieg ist wichtig, es gibt aber noch viele andere Bereiche, wo die Politik nachhaltigere Entscheidungen treffen muss. Ich persönlich finde zum Beispiel Autos in der Stadt in den meisten Fällen unnötig. Ich fahre jeden Tag mit dem Rad in die Schule. Sicher fühle ich mich auf den Radwegen aber nicht, oft gibt es ja nicht mal welche. Wohin soll ich ausweichen? Auf die Gehwege? Dann beschweren sich die Fußgänger.“
„Jeder von uns kann sich dreimal täglich entscheiden, was für die Umwelt zu tun“
Nala Mandrakas, 20, Berlin, studiert Skandinavistik: „Es gibt auch Dinge, die jeder selbst tun kann: zum Beispiel vegan leben. Die Massentierhaltung ist ein unglaublicher Klimakiller. Leider wird das Thema von Umweltorganisationen nur selten angesprochen, auch weil sie Angst haben, damit Leute abzuschrecken. Niemand will hören, dass er irgendwas nicht mehr essen darf. Man könnte es aber auch so sehen: Jeder von uns kann sich dreimal täglich entscheiden, was für die Umwelt zu tun. Würden wir uns nur von Pflanzen ernähren – die Treibhausgas-Emissionen würden stark reduziert.“
Edzard Zweydinger, 17, Berlin: „Ich war schon vergangene Woche mit ein paar Kumpels bei der Vorbereitungsdemo. Es ist echt cool zu sehen, wie viele von unserer Schule da sind! Sollten welche nur dabei sein, weil sie nicht zu Informatik wollen, fände ich das auch nicht schlimm: Je mehr wir sind, desto besser. Ich persönlich glaube, dass wir etwas drastisch ändern müssen. Ich wäre sogar dafür, zwischenzeitlich auf Atomenergie umzusteigen – aber nicht auf Kernspaltung, sondern auf Fusion. Das soll weniger gefährlich sein und weniger radioaktiven Müll produzieren.“
Marie Uhlmann, 17, und Samira Wirbeleit, 17, Berlin: „Wir verpassen gerade Spanisch und Mathe, aber wir denken, die Umwelt ist es wert.“