Wladislaw Listjew, Journalist. Erschossen am Abend des 1. März 1995 nahe seinem Wohnhaus an der Nowokusnezkaja-Straße im Zentrum Moskaus. Nicht aufgeklärt.

Wladislaw Listjew, 1956 in Moskau geboren, gehörte zu den Helden der Perestroika: Als Talkmaster der Sendung „Wsgljad“ (Blick) wurde er landesweit bekannt als Verfechter der Meinungsfreiheit. Kurz vor seiner Ermordung wurde Listjew Leiter des privatisierten ehemaligen Staatsfernsehens ORT. Listjew hatte sich mit Sergej Lisowski, dem wichtigsten Werbemagnaten des Landes, zerstritten und schließlich die Werbung auf ORT komplett abgeschafft. Wichtigster Verdächtiger war folglich Lisowski, ihm konnte der Mord jedoch nicht nachgewiesen werden. Der „Forbes“-Journalist Paul Klebnikov, der 2004 ebenfalls erschossen wurde, behauptete in seinem Buch „Godfather of the Kremlin“, der Oligarch Boris Beresowski, dem der Sender ORT zu großen Teilen gehörte, sei in den Mord verwickelt. Weder die Killer noch der Auftraggeber konnten bis heute festgestellt werden. 2009 wurde die Untersuchung des Falles eingestellt.

Sergej Juschenkow, Duma-Abgeordneter. Erschossen am Abend des 17. April 2003 in der Nähe seines Hauses an der Swoboda-Straße im Nordwesten Moskaus. Aufgeklärt.

Der Duma-Abgeordnete Sergej Juschenkow wurde am 17. April 2003 unweit seines Hauses in Moskau erschossen. Juschenkow galt ähnlich wie Starowojtowa als klassischer, idealistischer „Demokrat der 1990er“, saß seit 1993 in der Staatsduma und beschäftigte sich immer wieder mit Menschenrechtsfragen. In diesem Fall gelang es den Ermittlern, alle Beteiligten sowie den Auftraggeber zu ermitteln: Es handelte sich um Michail Kodanjow, der in den Monaten zuvor mit Juschenkow um die Kontrolle der „Liberalen Partei“ gekämpft hatte. Dem Schuldspruch zufolge hatte Kodanjow den Mord angeordnet, um einen Konkurrenten zu entfernen. Die Partei wurde vom Oligarchen Boris Beresowski finanziert, von dem sich Juschenkow im Oktober 2002 losgesagt hatte. Mit Ausnahme von Kodanjow gestanden alle Beteiligten ihre Schuld.

Anna Politkowskaja, Journalistin. Erschossen am 7. Oktober 2006 im Aufzug ihres Wohnhauses an der Lesnaja-Straße im Moskauer Zentrum. Teilweise aufgeklärt.

Politkowskaja wurde 1958 in New York als Tochter eines sowjetukrainischen Diplomaten geboren. Im Russland der 1990er-Jahre machte sie sich als furchtlose Journalistin einen Namen: Im ersten und zweiten Tschetschenienkrieg schrieb sie über Menschenrechtsverletzungen durch die russische Armee und durch die Milizen des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow. Einer der führenden Ermittler erklärte Anfang 2008, der Drahtzieher des Mordes sei der im Londoner Exil lebende Oligarch Boris Beresowski, der Mord also ein Versuch, den Kreml zu diskreditieren. Zu dieser Theorie gehörte auch, dass der Mord am Geburtstag von Präsident Wladimir Putin ausgeführt worden war. Allerdings wurden für diese Version nie Beweise präsentiert. Man verurteilte 2014 eine Gruppe von tschetschenischen Auftragskillern zu langjährigen Haftstrafen. Ihr Auftraggeber blieb unbekannt.

Stanislaw Markelow, Anwalt. Anastassija Baburowa, Journalistin. Erschossen am 19. Januar 2009 an der Pretschistenka-Straße im Zentrum Moskaus. Aufgeklärt.

Der 1974 in Moskau geborene Stanislaw Markelow hatte sich einen Namen als politischer Aktivist sowie als Verteidiger politischer Aktivisten gemacht. Markelow vertrat zudem die kremlkritische „Nowaja Gaseta“ in Klagesachen. Landesweit bekannt wurde er jedoch mit der Klage gegen den russischen Offizier Jurij Budanow, der schließlich für die Vergewaltigung und Tötung einer Tschetschenin während des zweiten Tschetschenienkrieges verurteilt wurde. Markelow vertrat damals die Familie des Opfers. Zusammen mit Markelow wurde die Journalistin Anastassija Baburowa erschossen. Sie war nicht Ziel des Anschlags, wurde aber als mögliche Zeugin getötet. 2011 verurteilte ein Moskauer Gericht die Ultranationalisten Nikita Tichonow und Jewgenija Chasis für den Mord. Motiv war die Rache für die Gerichtsverfahren, in denen unter Markelows Mitwirkung Nationalisten für die Morde an „Antifas“ und Linken verurteilt wurden.

Oleg Kaschin, Journalist. Brutal verprügelt in der Nacht zum 6. November 2010 nahe seinem Wohnhaus an der Pjatnizkaja-Straße im Zentrum Moskaus. Nicht aufgeklärt.

Oleg Kaschin, geboren 1980 in Moskau, war schon zum damaligen Zeitpunkt einer der bekanntesten oppositionellen Journalisten. Immer wieder berichtete er kritisch über die vom Kreml organisierte patriotische Jugendbewegung „Naschi“ („Die Unsrigen“). Kaschin wurde von zwei maskierten Männern brutal mit Eisenstangen zusammengeschlagen, musste danach ins künstliche Koma versetzt werden, überlebte den Anschlag jedoch. Der damalige Präsident Dmitri Medwedew versprach noch am Tag des Anschlags auf Twitter, die Schuldigen müssten „gefunden und bestraft werden“. Leider hat die Staatsanwaltschaft das Versprechen trotz intensiver Ermittlungen nicht einlösen können. Kaschin selbst hält es für möglich, dass Wassili Jakemenko, langjähriger Vorsitzender der „Naschi“ und ein Erzfeind Kaschins, in die Tat verwickelt ist. Jakemenko wurde von den Ermittlern jedoch nie verhört.

Boris Nemzow, Politiker. Erschossen am 27. Februar 2015 auf einer Brücke unweit des Kremls. Ermittlungen dauern an.

Der 1959 in der Schwarzmeerstadt Sotschi geborene Nemzow galt Ende der 1990er-Jahre als „Kronprinz“ Boris Jelzins – er schien gute Chancen zu haben, nach Jelzins zu erwartendem Rücktritt das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Nach anfänglicher Unterstützung für Wladimir Putin wurde Nemzow zu dessen Erzfeind und kämpfte in der außerparlamentarischen Opposition gegen das von Putin errichtete System der gelenkten Demokratie. Wenige Tage nach dem Mord präsentierten die russischen Ermittler fünf Tatverdächtige aus dem Nordkaukasus, von denen einer die Tat gestanden haben soll. Russischen Medien zufolge behauptet Saur Dadajew, der zuvor als Vizekommandeur in einer Antiterroreinheit des russischen Innenministeriums im Nordkaukasus gekämpft hatte, er habe Nemzow wegen negativer Äußerungen über den Islam und den Propheten Mohammed getötet. Allerdings gibt es inzwischen neue Verdachtsmomente, wonach die Aussagen der Verhafteten unter Folter zustande gekommen sein sollen.

Moritz Gathmann, geboren 1980, ist freier Journalist in Berlin. Er berichtet für Spiegel und n-ost aus der Ukraine. Zuvor war er freier Korrespondent für deutsche Zeitungen und Zeitschriften in Russland.

 

Anlässlich des Mordes an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau Ende Februar hat die preisgekrönte Fotografin Ekaterina Anokhina auch andere Attentate auf regierungskritische Juristen, Menschenrechtler und Politiker in Moskau noch einmal mit ihren Bildern aufgearbeitet. Die Fotos zeigen die Tatorte der Attentate auf den Straßen Moskaus. Ekaterina Anokhina hat von 2010 bis 2013 in Moskau Fotografie und Multimedia studiert. Sie veröffentlichte bereits zwei Fotobücher und hatte Ausstellungen in Moskau, Wien und Dänemark. Vertreten wird sie durch n-ost.

www.ekaterina-anokhina.com