Die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge veröffentlichte 2014 einen Blogeintrag mit dem Titel „Why I’m No Longer Talking to White People About Race“. Darin schrieb sie unter anderem: „Ich kann nicht über die Einzelheiten eines Problems reden, wenn sie nicht einmal die Existenz des Problems anerkennen. Schlimmer noch ist die weiße Person, die willens ist, aber glaubt, dass wir dieses Gespräch als Ebenbürtige führen. Das tun wir nicht.“ Aus dem Post wurde ein Buch, in sieben Kapiteln schreibt sie unter anderem über britischen Kolonialismus und Kriminalität, über Feminismus, Intersektionalität und die Arbeitswelt. Das Buch wurde zu einem Bestseller und gilt auch in Deutschland als Zünder für Rassismusdebatten.
fluter.de: Kann es sein, dass Sie inzwischen viel mehr mit Weißen über Hautfarbe und Rassismus sprechen als vor Erscheinen Ihres Buchs?
Reni Eddo-Lodge: Das stimmt! Es fühlt sich nicht besonders schlecht oder gut an, es ist halt so. Genau das zu tun, ist jetzt zu meiner Arbeit geworden. Es hat sich noch etwas verändert: Vor 18 Monaten habe ich angefangen, öffentlich über mein Buch zu diskutieren. Ich schreibe über Dinge, die vor der Veröffentlichung stattfanden. Wenn jetzt jemand mit mir über Rassismus diskutieren will, sind das andere Gespräche: Die Menschen wissen schon mehr und auch, was meine Haltung ist.
Ihr Buch hat also die Diskussionen über Rassismus verändert?
Es hat Anti-Rassismus zu einem Mainstream-Thema gemacht, das gab es so schon lange nicht mehr. Das finde ich natürlich sehr wichtig. Ich kann bei mir um die Ecke nicht einfach essen gehen, irgendwer erkennt mich meistens und möchte mit mir über das Buch sprechen. Es ist erstaunlich, was für emotionale Reaktionen es hervorruft. Ich beschäftige mich schon so lange mit Antirassismus und er ist für mich ein essentieller Teil meines Lebens. Ich bin wirklich überrascht, wie neu er für viele zu sein scheint.
Eines der Grundprobleme lautet: Warum begreifen viele Weiße ihr weißes Privileg nicht?
Frag die, die es nicht verstehen! Ich glaube, dass Weiße zu wenig Bewusstsein dafür haben, was es bedeutet, ein weißer Mensch in einer von weißen Menschen dominierten Gesellschaften zu sein. Mein Buch ist nur der Versuch, aufgrund von Daten, Geschichte und Beobachtung verschiedene Erklärungen zu finden. Ich befrage auch eine weiße anti-rassistische Aktivistin. Ihrer Meinung nach haben viele Weiße das Gefühl, sie würden etwas verlieren, wenn sie ihre weißen Privilegien einsehen würden.
Wann ist Ihnen selbst bewusst geworden, dass Weiß nicht einfach eine Hautfarbe ist, sondern auch eine Machtposition?
Als ich vier war, habe ich meine Mutter gefragt, wann ich weiß werden würde. Denn schließlich waren alle guten Menschen weiß. Und ich war doch ein guter Mensch! Als ich dann später mehr über Rassismus zu lesen begann, erkannte ich die Strukturen und Privilegien der weißen Hautfarbe. Gehört man zu denen, die nicht dazu gehören, spürt und lernt man das mit der Zeit immer mehr. Ich habe mich zum Beispiel von unserem Bildungssystem unterschätzt gefühlt. Eine ehemalige Lehrerin gab mir eine schlechte Note und anderen weißen Personen, die vom Intellekt wirklich genau gleichauf waren, empfahl sie, sich an den Eliteuniversitäten zu bewerben. Inzwischen sitze aber ich hier und spreche über mein erfolgreiches Buch.
Als ich Ihr Buch las, fühlte ich mich zwischendurch wütend und hilflos. Ich wollte sofort etwas besser machen. Was kann ich tun – oder ist diese Frage auch Teil des Problems?
Ich denke, die Frage ist tatsächlich ein kleiner Teil des Problems. Nach einer Anleitung zu fragen bedeutet, sich ein Stück weit aus der Verantwortung zu nehmen. Man muss selbst die Probleme im eigenen Umfeld erkennen und sehen, worauf man einen Einfluss haben kann. Ich beantworte diese Frage auch deshalb nicht, weil ich niemandem sagen will, wie er oder sie zu leben hat.
Wie hat der Brexit die Diskussionen über Rassismus in England verändert?
Ich habe das Buch zu einem Zeitpunkt geschrieben, als es noch keine konkreten Brexit-Pläne gab. Aber klar: Rassismus ist auch hier ein Thema. Ich gehe nicht soweit und bezeichne alle Leave-Wähler [pro Brexit] als Rassisten. Ich kenne allerdings die Argumente der Leave-Kampagne, die sind zum Teil sehr rassistisch und fremdenfeindlich. Hier wurde gezielt mit Ängsten gearbeitet. Ich würde aber nicht sagen, dass durch den Brexit der Rassismus angestiegen ist. Den bisherigen Erfolg der Pro-Brexit-Leute darauf zu reduzieren, ist zu einfach gedacht. Aber ich weiß, dass die Leave-Wähler für Leute und Argumente gestimmt haben, die eng verbunden sind mit Personen wie Marine Le Pen vom Rassemblement National in Frankreich. Ich denke, dass Freunde viel über einen Menschen aussagen.
Titelbild: Suki Dhanda/CAMERA PRESS/laif