Es begann damit, dass ich mir eine Feuchtigkeitslotion kaufen wollte. Und wäre ich im ersten Laden fündig geworden, wäre es nicht erzählenswert. Ich war naiv. Ich dachte: Man geht in den Laden und fragt nach einer Feuchtigkeitslotion. Was man alles gefragt werden kann: Welcher Hauttyp sind Sie? Wie fühlt sich Ihre Haut nach dem Duschen an? Wie tragen Sie üblicherweise Ihren Bart?
Im Internet sehe ich ein Video mit einem sogenannten Experten, der im Dienst eines großen Kosmetikherstellers steht. Er sitzt in einem Labor und trägt einen weißen Mantel. Der durchschnittliche Mann brauche heutzutage mehr als eine halbe Stunde im Bad, sagt er.
Noch ist der Kosmetikmarkt vor allem ein Markt für Frauen – aber das ändert sich gerade.
Im ersten Laden, einem Drogeriemarkt, lerne ich Winkel und Furchen meines Körpers kennen, von denen ich bisher nichts wusste: Mimikfalten. Ich stehe vor einem Regal für Männerprodukte und halte eine Anti-Mimikfalten-Creme in der Hand. Sie verspricht jugendlicheres Aussehen und weniger Mimikfalten schon nach einer Stunde. Später lese ich im Internet: Das ganze Gesicht ist überzogen von Mimikfalten.
Das wusste ich ja nicht. Sorgenfalten, Zornesfalten und Konzentrationsfalten auf der Stirn. Augenfältchen, Runzelfältchen, Häschenfalten, Oberlippenfalten, Traurigkeitsfalten um Augen, Nase und Mund. Es ist schön zu lachen und gut zu zweifeln, und manchmal ist es richtig, zornig zu sein. Aber jeder, der zornig ist, zweifelt oder lacht, sollte wissen: Das gibt Falten.
Laut Umfragen des Instituts Allensbach steigt bei jungen Männern das Interesse an Kosmetikprodukten seit gut 20 Jahren stetig. Gaben 1990 noch gut 40 Prozent an, ein gepflegtes Aussehen für wichtig zu halten, waren es 2011 schon 56 Prozent. Die Zahl derer, die Haargel benutzen, hat sich laut Allensbach in derselben Zeit verdreifacht. Was zuerst da war – das Interesse für Männerprodukte oder die Werbung dafür –, ist kaum zu sagen.
Ich sitze zu Hause am Küchentisch und reibe mir Anti-Mimikfalten-Creme ins Gesicht. Auf YouTube schaue ich mir ein Werbevideo mit Jogi Löw an. Er tritt seit Jahren als „Botschafter“ für einen großen deutschen Kosmetikhersteller auf: Jogi Löw, die Ikone der gepflegten Männer. „Es ist wie beim Sport“, sagt er. „Von nichts kommt nichts.“ Dann sieht man ihm dabei zu, wie er in einem Hotelzimmer seinen Kulturbeutel ausräumt: Rasierschaum, Maniküre-Set, Bürste.
Ich denke an Mario Basler. Früher rochen Fußballer eher nach Weißbierdusche und Schweiß, heute umweht sie der Duft von Haargel und Aftershave-Balsam. Als Oliver Bierhoff Ende der Neunziger für Shampoo warb, lachte man noch. Heute fällt kein Fußballer mehr auf, der vor dem Spiel die Haare gelt, sein Gesicht eincremt und die Augenbrauen zupft.
Nach einer Stunde, die Anti-Mimikfalten-Creme hat sich in mein Gesicht verzogen, gucke ich in den Spiegel: Alles beim Alten. Augenringe, bleiche Haut, Zornesfalte. Ich rufe beim Kundenservice des Herstellers an. Es begrüßt mich eine zu freundliche Dame. Sie lacht. Ich kann ihre Mimik hören. „Da stand drauf, dass nach einer Stunde die Mimikfalten weg sind“, sage ich. „Es sieht jetzt aber so aus, dass sie nicht weg sind.“
„Okayyy“, sagt sie und atmet hörbar aus. „Grundsätzlich ist es so, dass unsere Feuchtigkeitspflege dafür sorgt, dass die Falten optisch kaschiert werden. Also nicht, dass innerhalb einer Stunde gar keine Falten mehr zu sehen sind.“ Das dauere, sagt sie. „Sie müssen die Creme mindestens einen Monat lang verwenden.“ Ich spreche sie auf die Mimikfalten an.
„Mimikfalten entstehen durch die Mimik, wie der Name schon sagt“, sagt sie. Das klingt überzeugend. Nächstes Thema: jugendlicheres Aussehen. Ich frage sie, wie viel jünger ich durch die Creme aussehen werde. Das könne man nicht sagen, individuell verschieden sei das. Ich verabschiede mich. Sie wünscht mir einen ganz, ganz tollen Tag. Ich habe das Gefühl, dass sie alles, was mir die Verpackung versprach, relativiert hat.
Ich stehe im nächsten Laden, einer edlen Boutique in der Innenstadt: Die Produkte haben französische Namen, und eine Gesichtscreme kostet 30 Euro. Der Verkäufer trägt einen kurzen grauen Bart, gepflegte Wildlederschuhe und berät mit britischem Akzent. Wir stehen vor zwei Produkten und diskutieren die Unterschiede. Das eine schützt gegen Luft aus der Heizung und gegen Wind, sagt er. Mit Vitamin A und Vitamin E. Er dreht einen Tester auf und reibt mir einen Tropfen Creme auf den Handrücken. Sie riecht nach Wiese, Blumen und Kräutern. Sie gefällt mir. Aber für 30 Euro könnte ich dreimal ins Stadion oder zweimal Pizza essen gehen. Ich kaufe nichts und verabschiede mich.
Zu Hause gucke ich mir den YouTube-Kanal von Sami Slimani an, einem 24-jährigen Stuttgarter, der im Internet Kosmetiktipps gibt.
Sami Slimani gilt in seinem Bereich als einer der erfolgreichsten Videoblogger Deutschlands. Er sitzt da als Beweis seiner täglichen Pflege: blendend weiße Zähne, konturierte Augenbrauen, beinahe makellose Haut. Er sitzt vor der Kamera und fuchtelt nervös herum. Das Video heißt „Extreme Mitesser bekämpfen“.
„Warum brauche ich schwarze Punkte im Gesicht, wenn ich sie mit dem einen oder anderen Trick, den ich euch heute in diesem Video verraten werde, entfernen kann?“, fragt Sami Slimani. Eineinhalb Millionen Mal wurde dieses Video schon angeklickt. Es scheint Slimani kaum zu schaden, dass er im vergangenen Jahr wegen Verdachts auf Schleichwerbung abgemahnt wurde. Die baden-württembergische Landesanstalt für Rundfunk kritisiert, dass Slimani Produkte anpreist, ohne das als Werbung kenntlich zu machen.
Für Kosmetikhersteller ist Schleichwerbung verlockend, weil ihnen das Gesetz enge Grenzen steckt, was sie in der Werbung dürfen und was nicht. So müssen ihre Werbeaussagen klar und verständlich sein, damit sich Verbraucher fundiert entscheiden können. Alle Angaben müssen wahr und wissenschaftlich belegbar sein. Sie dürfen nicht übertreiben oder Konkurrenzprodukte herabsetzen. Ob dem immer so wirklich Genüge getan wird? Man kann bei dieser Frage Sorgenfalten bekommen.
Zurück in der Stadt stehe ich im Shop eines hippen Anbieters aus Großbritannien, in dem kreisförmige Seifen ausliegen, groß wie Käseräder. Hier hat man die Revolution der gepflegten Männer schon hinter sich gelassen. Bei Gesichtscreme gibt es hier keine Trennung zwischen Mann und Frau, erklärt mir die Mitarbeiterin. Sie duzt mich, als seien wir bei Ikea. „Trockene Haut?“, fragt sie. „Spannt es nach dem Duschen?“ Ich stehe vor einer Gesichtscreme mit Lavendelhonigwasser und Leinsamenaufguss, 31,95 Euro. Ich kaufe nichts und gehe.
Ein Supermarkt bietet eine Körpermilch mit Avocadoöl und Vitamin E an. Der halbe Liter kostet 1,15 Euro. Die Suche hat ein Ende: Das ist mein Produkt.
Felix Dachsel arbeitet als freier Journalist. Parallel versucht er im dritten Anlauf, sein Studium zu beenden. Eine Doppelbelastung, die wohl an niemandem spurlos vorbei geht.