Ich habe schon immer gern „Tatort“ geguckt und mich dabei gefragt: Warum werden Menschen kriminell? Während meines Bachelors „International Relations and International Organization“ im niederländischen Groningen wurde dann das Seminar „Criminality and Security“ angeboten. Es ging um Jugendkriminalität, die Perspektiven von Tätern und Opfern und die Frage, wie Staaten Kriminalität bekämpfen. Die Dozentin war großartig, und ich fand das alles unglaublich interessant. Da wusste ich: Das will ich später mal machen.
Nach dem Bachelor habe ich zunächst 16 Monate für einen CDU-Politiker im EU-Parlament in Brüssel gearbeitet. Ich durfte im Sicherheits- und Verteidigungsausschuss von nahem verfolgen, wie sich internationale Krisen entwickeln, Gesetzesvorhaben und den Bericht des „Sonderausschusses Terrorismus“ miterarbeiten.
„Anschläge werden auch in Zukunft nie komplett zu verhindern sein. Terrorforschung ist leider ein krisensicherer Job“
Die Arbeit in Brüssel war spannend, aber ich wollte unbedingt noch einen Master machen. Letztlich sind es dann sogar zwei geworden: Ab 2018 studierte ich „Criminology and Criminal Justice“ und direkt im Anschluss „Crisis and Security Management“, beides an der Universität Leiden in den Niederlanden. Ich wollte unbedingt lernen, wie man Krisen verhindert, aber auch, wie wir auf sie reagieren können, beispielsweise nach einem Terroranschlag. Denn, ganz ehrlich, solche Situationen werden auch in Zukunft nie komplett zu verhindern sein. Terrorforschung ist leider ein krisensicherer Job.
Viele Masterprogramme in den Niederlanden dauern nur ein Jahr. Da bleibt wenig Zeit für Praktika oder Forschungsreisen. Aber wir hatten Glück mit den Dozent*innen, die die Seminare und Vorlesungen so praxisnah wie möglich gestalten wollten. Wir hörten regelmäßig Expert*innen in Gastvorlesungen: Krisenkommunikatoren von der örtlichen Polizei oder von Deloitte, einer der führenden Sicherheitsberatungsfirmen. Wir hatten sogar Peter L.J. Bos zu Gast. Er leitete das Krisenmanagement, als im März 2019 in der Utrechter Straßenbahn vier Menschen von einem islamistischen Attentäter erschossen wurden.
Außerdem haben wir Krisenszenarien am Computer simuliert. Ich erinnere mich an eine Terrorwarnung am Flughafen Amsterdam-Schiphol. Wir Studierenden mussten uns um alles kümmern: Wie ernst ist die Lage? Müssen wir den Flugbetrieb stoppen? Welche Folgen hätte das für die Region? Wer muss wann über welche Details informiert werden? Wir waren so darauf fokussiert, einen möglichen Anschlag zu verhindern, dass wir vergessen haben, die Reisenden und das Personal am Flughafen ausreichend zu informieren. Die gerieten völlig unnötig in Panik und twitterten, dass weitere Ziele in Amsterdam bedroht seien. Zum Glück war das nur eine Simulation.
Man kann Extremismus, Risikomanagement und den Aufstieg der Paramilitärs in Sri Lanka büffeln – aber für die ultimative Terrorforschung muss man die Uni irgendwann verlassen
So spannend und wichtig praktische Einblicke sind: Ganz ohne Theorie funktioniert so ein Studium natürlich nicht. Aber selbst die hat oft Spaß gemacht. Im Kurs „Understanding Terrorism“ ging es um die Frage, wie sich Extremisten gegenseitig beeinflussen und radikalisieren; in „Security and the Rule of Law“ haben wir besprochen, welche Rolle der Rechtsstaat im Krisenmanagement spielt; und in „Before Crisis“ haben wir analysiert, ob das Risikomanagement beim 9/11-Anschlag richtig war – oder die Folgen des Anschlags nicht sogar verschlimmert hat.
In meinen Hausarbeiten habe ich unter anderem die Antiterrorstrategien von Singapur und Indonesien verglichen, den Aufstieg der paramilitärischen Tamil Tigers in Sri Lanka erklärt oder die Stop-and-Search-Techniken der Polizei in Deutschland und Frankreich diskutiert. In der zweiten Masterarbeit, die ich gerade erst abgegeben habe, erörtere ich, wie Deutschland seit 2012 gesetzgeberisch auf den immer stärker werdenden Rechtsextremismus reagiert.
Keine Ahnung, in welchem Job ich jetzt nach dem Studium weitermache. Ich kann mir gut vorstellen, im niederländischen Innen- oder Justizministerium an Antiterrorkonzepten zu arbeiten. Oder ich gehe in die freie Wirtschaft, um Unternehmen in Sicherheitsfragen zu beraten. Als ich mit dem Master in Leiden begonnen habe, ging es mir um zwei große Fragen: Warum verüben Menschen Anschläge? Und wie können wir das verhindern? Antworten habe ich an der Uni nur teilweise gefunden. Den Rest lerne ich jetzt in der Praxis.
Illustration: Frank Höhne