Der Film „Flocken“ der schwedischen Regisseurin Beata Gardeler erzählt eine ergreifende Geschichte, die wie aus dem Leben gegriffen scheint. Die 15-jährige Jennifer (Fatime Azemi) sagt, sie sei von ihrem Klassenkameraden Aleksander (John Risto) vergewaltigt worden. Als sie Hilfe bei Polizei und Justiz sucht, wird sie als Lügnerin abgestempelt und zunehmend von den anderen Dorfbewohnern ausgeschlossen.
Das beginnt erst langsam und führt nach und nach zu einem Bruch in der ganzen Familie. Dies wird besonders in der Szene verdeutlicht, in der Jennifers kleine Schwester sie als Hure beschimpft, da sie wegen des Vorfalls bei einem wichtigen Spiel nicht aufs Feld durfte. Doch damit nicht genug. Die Bewohner, die hinter Aleksander stehen, verschwören sich immer mehr gegen Jennifers Familie. Betrunken verwüsten sie alles, was sich die Familie aufgebaut hat. Der Garten wird zerstört, das Haus beschmiert, der Vater verprügelt. Kurz darauf wendet sich sogar die Mutter gegen ihre eigene Tochter.
Die Figuren in „Flocken“ sind genau gezeichnet und noch genauer inszeniert. Jede Figur kämpft sichtbar und durchgehend mit ihrem inneren Konflikt. Umso erstaunlicher, da die Schauspieler noch nie vor der Kamera standen.
Durch seine offene Erzählperspektive lässt der Film unvoreingenommenen Zuschauern die Möglichkeit, sich auf die Seite jeder einzelnen Figur zu schlagen. Unterschwellig werden die Auswirkungen von Alkoholkonsum und das Ansehen zwischen Arm und Reich aufgezeigt. Außerdem erzählt der Film, welch große gesellschaftliche Rolle die Kirche in Schweden heute noch spielt.
Kameramann Gösta Reiland findet immer den passenden Bildausschnitt für das, was er erzählen will. Auch die Bildgestaltung zeichnet sich durch ihre diversen Stilmittel aus. Oftmals kann man einen stark belichteten Hintergrund und eher im Dunkeln tappende Darsteller beobachten, was die Thematik sehr gut unterstreicht. Die Musik von Lisa Holmqvist begleitet den Film nahezu perfekt mit in eher hohen Frequenzen gelegenen Stücken.
„Flocken“, was auf Deutsch so viel wie Herdenbildung bedeutet, kann mit dem 2010 in Frankreich erschienenen Film „Studentin, 19, sucht“ mithalten, der ebenfalls von einer Vergewaltigung handelt. Und auch die schwedische Verfilmung der „Millennium“-Trilogie zeigt, dass die Schweden schon lange zu den alten Hasen des Dramas gehören. Sehr typisch ist auch das hohe Maß an Gesellschaftskritik, das schwedische Filme zunehmend auszeichnet.
Der Film ist sehr mitreißend, dennoch würde eine Synchronisation in englischer Sprache weniger von den Bildern ablenken. „Flocken“ könnte dennoch auf viele Textpassagen verzichten, da mancher Dialog erzählt, was die Bilder längst vermittelt haben. Das Ende überlässt es jedem Zuschauer, wie er über diese Thematik urteilt.
„Flocken“, SWE 2015, Regie: Beata Gardeler, Buch: Emma Broström, Kamera: Gösta Reiland, Schnitt: Linda Jildman, Musik: Lisa Holmqvist, mit: Fatime Azemi, John Risto, Eve mlander, Malin Levanon
Jasmin Fischer, 18 Jahre, kommt aus München und berichtet als Teil des fluter.de-Reporterteams über die Sektion "Generation" der Berlinale
Fotos: Flocken; Musik: Professor Kliq