US-Wahlkampf in der Pandemie heißt: Die Menschen erleben das Ringen um das Präsidentenamt durch die Medien – und besonders: in den sozialen Netzwerken. Hier ist der Ort, wo die Wahl entschieden werden kann, da sind sich die Experten einig. Team Trump und Team Biden geht es um Likes, Shares und letztlich: Stimmen. Mit welchen Social-Media-Taktiken versuchen sie zu gewinnen? Wir stellen fünf davon vor.
Taktik 1: Sei überall
Donald Trump mag vielleicht achtmal mehr Follower auf Twitter haben – aber Joe Biden stattet die Figuren im Pandemie-Spielehit „Animal Crossing“ mit digitalen Pullovern und Werbeschildern für ihre virtuellen Vorgärten aus. Das Team des Herausforderers versucht sich nicht nur an den klassischen Social-Media-Kanälen, sondern fährt eine deutlich breitere Digitalstrategie. Das bedeutet: verdammt viel Arbeit in ziemlich vielen Nischenbereichen. Biden spricht meist aus seinem Keller heraus, worüber sich Donald Trump und einige seiner Anhänger lustig machen. Mit Rapperin Cardi B. tauscht er sich für das Magazin „Elle“ übers Elternsein aus, startet eine Fundraising-Aktion mit Prominenten wie „This Is Us“-Schauspielerin Mandy Moore auf der Grußnachrichten-Plattform Cameo oder ruft zum Wettbacken von „Leadership Blueberry Pancakes“ auf Pinterest auf. „Digital ist der neue Straßenwahlkampf“, hat der Demokraten-Berater Tim Lim dem „Time Magazine“ gesagt. „Man nimmt im Grunde 80 bis 100 Jahre Erfahrung im Organisieren von politischen Bewegungen und schmeißt sie aus dem Fenster.“
Donald Trump dagegen ist auf andere Art überall: Wie schon 2016 verbreiten sich seine Tweets und Clips nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch den etablierten Medien – anders aber als vor vier Jahren übernehmen diese längst nicht mehr so pflichtschuldig alle Reden des nun amtierenden Präsidenten.
Taktik 2: Lautstärke aufdrehen
Donald Trump gilt als König des Social-Media-Wahlkampfs. Bei Facebook kommt er auf 30 Millionen „Gefällt mir“-Angaben, Biden auf drei Millionen. In den Augen vieler Experten hat Trump 2016 deshalb gewonnen, weil er im entscheidenden Moment auf die umfangreicheren Datenbanken von Facebook zugreifen konnte. Das erlaubte ihm, gezielt Werbung für bestimmte Wählergruppen zu schalten. Die massiven Facebook-Aktivitäten bleiben weiter ein Eckpfeiler von Trumps Onlinestrategie. Die Anzeigen enthalten oft Fragen wie „Sollten Illegale deportiert werden?“ oder dringend klingende Aufrufe wie „Jetzt bis 23.59 Uhr antworten, um in den offiziellen Ergebnissen berücksichtigt zu werden“. Nach einem Klick öffnen sich Webseiten mit der Frage „Wie bewerten Sie Donald Trump?“ (Antwortmöglichkeiten: Great/Good/Okay/Other) und einer Maske, die nach E-Mail-Adresse und Postleitzahl fragt. Das ermöglicht den Wahlkampfteams, mehrfach täglich Mails mit der Bitte um Wahlkampfspenden und Aufrufen zur Stimmabgabe zu verschicken. Im Juni ist Trump übrigens ins Facebook-Hintertreffen geraten: Joe Biden gibt auf der Plattform mehr Werbegeld aus als Donald Trump.
Taktik 3: Hol dir junge Leute als schnelle Ausputzer im „Rapid Response“-Team
Sie treffen sich im oft martialisch benannten „War Room“, und sie sind dafür da, auf Angriffe und offene Flanken des Gegners zu reagieren: In „Rapid Response“-Teams arbeiten Menschen, die als schnelle Eingreiftruppe in einer Breaking-News-Lage blitzschnell Content erstellen, den die eigenen Anhänger in ihren Kanälen weiterverteilen können. Fünf Stunden nachdem die „New York Times“ ihre Investigativrecherche zu Donald Trumps Einkommensteuerzahlungen veröffentlicht hatte, lief bei @TeamJoe schon ein 30-sekündiges Video, das die Steuerzahlungen von Donald Trump denen von Grundschullehrern, Feuerwehrleuten und Krankenpflegern gegenüberstellte. Nach einer Woche hatten den Clip vier Millionen Menschen gesehen. Wenn es nur um Memes und schnelle Grafiken geht, sind die Teams auf beiden Seiten oft noch sehr viel schneller.
Neben den offiziellen Mitarbeitern der Kampagnen gibt es darüber hinaus noch externe Kommunikatoren, die bei dieser Wahl besonders auffallen. Auf republikanischer Seite schreibt das „Lincoln Project“ Schlagzeilen – eine Gruppe enttäuschter Republikaner, die ihre Ideale durch Trump verraten sehen und jetzt virale Anti-Trump-Videos produzieren. Bei den Demokraten kann das auch gerne mal eine Einzelperson sein, wie Comedian Sarah Cooper, die auf TikTok durch Lipsync-Clips von Trumps wildesten Aussagen zum Star wurde. Trump hingegen kann auf Dutzende rechte Webseiten wie Breitbart oder das „One America News Network“ vertrauen, die seine Inhalte teilen.
Das „Lincoln Project“ produziert täglich Anti-Trump-Videos – gegründet wurde es von enttäuschten Republikanern
Taktik 4: Im Internet ist immer Zeit für Livesendungen
Manche Onlineaktivitäten sind bei den Trumps Familiensache. Jeden Abend gibt es bei „Team Trump Online!“ Livesendungen auf Facebook, Twitter, Instagram und Twitch, meist moderiert von Schwiegertochter Lara Trump oder Vizepräsident Mike Pence. Oft sind die Sendungen mit nur einigen Zehntausend Klicks eher etwas für Hardcore-Fans. Aber Ausschnitte daraus werden weiterverteilt – und gehen manchmal viral. Thematisch orientieren sich die Sendungen oft an Inhalten, über die Trump gerne spricht: Covid-19 sei eine übertriebene Gefahr, den US-Innenstädten drohe das Chaos durch einen linken Mob, und dringend müsse etwas getan werden gegen Kinderhandel – Ansichten also, mit denen man besonders bei rechtskonservativen und nationalistischen US-Bürgern punkten dürfte.
Taktik 5: Lass Freiwillige deine Arbeit erledigen
„Volunteering“ für Politiker hat in den USA Tradition und findet in diesem Jahr vor allem virtuell statt. Trump setzt erneut auf eine App, die laut Werbemails der Kampagne „anders [ist] als die lahmen Politik-Apps, die du kennst“. Mit viel Gamification versucht das Team des Präsidenten die User zum Mitmachen zu bringen: Es gibt Punkte, wenn man aus der App heraus mit möglichen Unterstützern telefoniert, dafür sorgt, dass sich Wähler registrieren lassen, oder sein eigenes Telefonbuch freigibt – wodurch die Wahlkampfteams wiederum an die Daten von Millionen neuer Ansprechpartner kommen.
Eine ähnlich erfolgreiche App hat Joe Biden nicht, aber auch auf seiner Webseite können sich Volunteers melden, die je nach Interesse und Expertengebiet Textmessages verschicken oder Rechtshilfe geben, falls Stimmen abgewiesen werden oder sie am Wahltag den ordnungsgemäßen Ablauf der Stimmabgabe beobachten.
Um weitere Freiwillige zu gewinnen, setzt Bidens Team auch auf Medien, die ihm sehr wohlgesonnen sind: zum Beispiel der Podcast „Pod Save America“, den ehemalige Obama-Mitarbeiter vor drei Jahren gestartet haben und der wöchentlich mehr als eine Million Hörer erreicht – nicht nur wenn der ehemalige Präsident persönlich zu Gast ist. Zur US-Wahl hat das Podcast-Team das Infoportal „Vote Save America“ gestartet, wo Freiwillige bei der Aktion „Adopt a State“ zu Wahlkampfhelfern in einem von sechs besonders umkämpften Staaten (Swing States) werden. Vier Wochen lang gab es für sie Trainings in erfolgreichem Argumentieren, der Organisation coronasicherer Ortsgruppen und dem Eintreiben von Spenden. Die Initiative hat Erfolg: Bis Mitte Oktober hatten sich schon 250.000 Menschen zur Hilfe in einem der Staaten verpflichtet.
Illustration: Frank Höhne