Das Gespräch verläuft überraschend entspannt. Man lässt sich ausreden, hört geduldig die Argumente der Gegenseite an. Erst als der Klimawandel zur Sprache kommt, kippt die Stimmung für einen Moment. Axels Stimme, die bisher ruhig klang, wird lauter, energischer: „Das ist eine große Neiddebatte. Wenn die sich mit dem Thema auseinandersetzen würden und genug Geld hätten, würden Minimum 70 Prozent eine dicke Karre haben wollen.“
Es ist die erste Folge von „Pop the Bubble“. In dem Podcast sprechen die Journalistinnen Sina Fröhndrich und Marina Schweizer mit Menschen, die eine andere Meinung als sie selbst haben – wie ihr erster Gast Axel, Investmentberater und leidenschaftlicher SUV-Fahrer. Das Ziel des Podcasts: andere Perspektiven kennen und verstehen lernen. Also sprechen Fröhndrich und Schweizer mit Stay-at-Home-Mums, Vielfliegern und einem Mann, der sich mehr Kritik an den Corona-Maßnahmen wünscht. „Wir wollen unsere Filterblase verlassen, weil wir das Gefühl haben, dass man sich da so ein bisschen im Kreis dreht“, sagt Fröhndrich.
„Pop the Bubble“: Mittlerweile gibt es Podcasts und Websites, die die Blase platzen lassen sollen
Der Begriff „Filterblase“ stammt von dem US-amerikanischen Aktivisten Eli Pariser. In einem Buch von 2011 beschreibt er, wie uns im Internet vermehrt Beiträge angezeigt werden, die unserem persönlichen Interesse entsprechen. Grund dafür sind Algorithmen, die mithilfe von persönlichen Daten, die die Plattformen über uns sammeln, entscheiden, welche Beiträge in unserem Newsfeed oben landen, welche Videos YouTube vorschlägt oder welche Suchergebnisse wir bei Google sehen. Ziel ist es, uns möglichst lange am Bildschirm zu halten, damit noch mehr Daten gesammelt und die Werbeanzeigen noch stärker personalisiert werden. So gerate man schnell in eine Filterblase, nur noch umringt von gleichgesinnten Menschen und Weltsichten. Wer beispielsweise Zweifel am Klimawandel hat, dem werden vermehrt Beiträge zu Verschwörungsideologien vorgeschlagen. „Demokratie erfordert ein Vertrauen auf gemeinsame Tatsachen, stattdessen werden uns parallele, aber getrennte Universen angeboten“, so Parisers Fazit. Weil alle nur noch ihre eigene Wirklichkeit sehen, werde unsere Gesellschaft zunehmend polarisiert und radikalisiert.
Bis heute liest man von dem massiven Einfluss der Blasen etwa auf den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 oder auch auf den Brexit. Doch es gibt Kritik an der Theorie. So hat das Europäische Parlament 2019 einen Bericht veröffentlicht, der zu dem Schluss kommt, dass die Verbreitung von ähnlichen Nachrichten höchstens die Meinung von kleinen Gruppen verstärken könne, die ohnehin schon sehr gefestigte Ansichten haben. Davon abgesehen hätten die meisten Studien in Europa keine Hinweise auf Filterblasen ergeben. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bezeichnete die Filterblasen-Theorie bei der Digitalkonferenz re:publica 2018 als „mächtiges Denkbild“, das unsere Vorstellung von der Netzwelt und unserem gesellschaftlichen Miteinander dominiert. Für ihn ist genau das Gegenteil der Fall: Durch das Internet würden wir nicht weniger sehen, sondern deutlich mehr und vor allem viel unterschiedlichere Meinungen.
„Es gelingt mir nicht, SUV-Axel zuzuhören, ohne ihn ohrfeigen oder schütteln zu wollen“
Dennoch warnen in der kürzlich erschienenen Netflix-Doku „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ ehemalige Angestellte von Google, YouTube, Facebook oder Twitter eindringlich davor, dass uns die milliardenschweren Techfirmen manipulieren, um uns geradezu süchtig nach ihren Inhalten zu machen. Und davor, wie schnell sich Verschwörungsideologien im Netz verbreiten und wie Nutzerdaten als Ware gehandelt werden. Ex-Google-Mitarbeiter Tristan Harris spricht von „Überwachungskapitalismus“, bemängelt fehlende moralische Verantwortung und zu wenig Regulierungen.
Medienwissenschaftler Pörksen geht hingegen davon aus, dass im Internet „Wirklichkeitsperspektiven“ aufeinanderprallen, die sich vorher nicht begegnet wären – er nennt das einen „Filter Clash“. Wenn wir erkennen, dass es viele verschiedene Meinungen gleichzeitig und nicht die eine, eindeutige Wahrheit gibt, führe das häufig zu einer „Stimmung der Gereiztheit“, die unser gesellschaftliches Kommunikationsklima verändern kann. Das beobachten auch die Journalistinnen von „Pop the Bubble“. Im Podcast sagt Marina Schweizer: „Uns ist aufgefallen, dass entspannte Diskussionen weniger werden heutzutage.“ Genau deswegen ist ihr Ansatz, möglichst offen zu diskutieren und Unstimmigkeiten auszuhalten, statt gleich dagegen zu argumentieren. Einige überfordert das: „Es gelingt mir nicht, SUV-Axel zuzuhören, ohne ihn ohrfeigen oder schütteln zu wollen“, kommentiert ein Hörer.
Einen Ansatz, die eigene Ambiguitätstoleranz zu trainieren, bietet die Onlineplattform „Diskutier mit mir“. Sie verbindet Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen, damit sie sich in digitalen Chats über verschiedene Themen austauschen können. Anonym, geschützt und garantiert ohne Filterblase.
Illustration: Eugen Schulz