Die Erde ist doch nicht der Mittelpunkt: die kopernikanische Wende
Als er sich an die Arbeit machte, ahnte Nikolaus Kopernikus wohl nicht, dass er einmal das Weltbild Europas ins Wanken bringen würde. Dem jungen Astronomen ging es nur darum, die Bahnen der Planeten exakter zu berechnen. Doch dann machte er eine andere Entdeckung: Bis dahin galt, dass die Erde der Mittelpunkt ist, der von rotierenden himmlischen Sphären umgeben ist. Diese Kosmologie des Mittelalters war von der Kirche abgesegnet. Wer sie anzweifelte, brachte sich in Gefahr. Doch Kopernikus erkannte: In Wahrheit steht nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum – die von der Erde und anderen Planeten umkreist wird.
Das waren ungeheuerliche Behauptungen zu dieser Zeit, und Kopernikus war sich dessen bewusst. Rund 30 Jahre arbeitete er akribisch an der Vervollkommnung seines Modells, musste am Ende aber dazu gedrängt werden, seine Forschung überhaupt zu publizieren. 1543 erschien sie unter dem Titel „Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären“.
Zunächst blieb die Empörung aus. Aber 1616 wurde Kopernikus’ wissenschaftliches Hauptwerk von einer päpstlichen Kommission auf den Index der für Katholiken verbotenen Bücher gesetzt. Und als später Galileo Galilei für das kopernikanische Weltbild eintrat und darauf beharrte, dass es im Widerspruch zu einer wörtlichen Auslegung der Bibel steht, läuteten in Rom die Alarmglocken: Der Vatikan verurteilte den „Heliozentrismus“ als ketzerisch. Galilei musste in lebenslangen Hausarrest.
Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Deutungshoheit der Kirche durch die Naturwissenschaften immer mehr in Bedrängnis geriet und nach heftigen Auseinandersetzungen schließlich zusammenbrach. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die „kopernikanische Wende“ zu einem Begriff, der auch im übertragenen Sinne verwendet wird – nämlich immer dann, wenn es in einem Wissensgebiet zu einer neuen Erkenntnis kommt, die zu einem radikalen Perspektivenwechsel führt. (Oliver Geyer)
Falsch gelegen: die Sache mit dem plötzlichen Kindstod
Die Furcht vor dem „plötzlichen Kindstod“ begleitet viele Eltern nach der Geburt. In seltenen Fällen sterben Säuglinge im ersten Lebensjahr im Schlaf, ohne dass klar ist, warum. Das Phänomen ist seit Jahrhunderten bekannt, die genaue Ursache aber immer noch nicht.
Während des Zweiten Weltkriegs beobachteten Ärzte und Krankenschwestern, dass bewusstlose verwundete Soldaten eine höhere Chance zum Überleben hatten, wenn sie auf dem Bauch lagen. Ein ähnlicher Ansatz wird heute bei der „stabilen Seitenlage“ angewendet: Bewusstlose können an Erbrochenem ersticken – deshalb legt man sie so, dass der Mund der tiefste Punkt ist. Könnte man so nicht auch schlafende Babys schützen? Seit den 1960ern forderten daher viele Kinderärzte in Europa und in den USA: Legt Kinder auf den Bauch!
Was logisch klang, war ein tödlicher Irrtum. Babys sind keine Erwachsenen. Ihr Körper ist nicht nur deutlich kleiner, er funktioniert in vielem auch anders. In den Jahren danach fiel immer mehr Ärzten auf, wie oft Kinder tot in Bauchlage gefunden wurden. In großen Studien wurde bald klar: Die Schlafposition erhöht das Risiko für den Kindstod enorm. Auf dem Bauch, so die Vermutung, bekommen Babys unter Umständen nicht genug Luft. Schlimmstenfalls führt das zum Ersticken. Nach und nach begannen viele Länder, in groß angelegten Kampagnen Eltern zu überzeugen: Legt euer Kind auf den Rücken! „Back to Sleep“ hieß es in den USA, ein Wortspiel mit der Doppelbedeutung von „back“ („zurück“ und „Rücken“).
Diese Entscheidung, wissenschaftlich fundiert, rettete Leben. In Ländern wie Schweden, den USA, Neuseeland und Deutschland sank die Säuglingssterblichkeit rapide. Immer weniger Eltern legten ihr Kind zum Schlafen auf den Bauch. Doch der Preis des Irrtums war hoch: Experten schätzen, dass allein in Deutschland mehr als 20.000 Kinder wegen der falschen Empfehlung für die Bauchlage starben. (Jan Ludwig)
Die Euphorie der Vergangenheit: die Frage des Atommülls
Ein Leben ohne Stromzähler, weil es unendlich viel Strom gibt: In den 1960er-Jahren war die Atombegeisterung in Deutschland so groß, dass die Risiken der neuen Technologie kaum ins Gewicht fielen – vor allem nicht die Frage, wo denn der radioaktive Abfall hinsoll. So groß wie der Glaube an die neue Art der Stromgewinnung war auch der Glaube daran, dass die Wissenschaft dieses Problem früher oder später in den Griff bekommen würde. So beschwichtigte 1969 selbst der anerkannte Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker die Bürger mit dem Hinweis, dass man den gesamten Atommüll der Bundesrepublik, der bis zum Jahr 2000 anfällt, wohl in einem Kubus von 20 Metern Seitenlänge gut versiegelt in ein Bergwerk stecken werde, um das Problem zu lösen. Ein ziemlich großer Irrtum, wie sich herausstellte.
Mittlerweile steht eine strahlende Menge Abfall, so groß wie über 100 Einfamilienhäuser, in Zwischenlagern herum, ohne dass eine Lösung dafür gefunden worden wäre. In der Zwischenzeit gab es auf wissenschaftlichem Gebiet viele Erkenntnisse, die sich als weitere Irrwege herausstellten. So lagerte man in den 1970er-Jahren Atommüll in alte Salzbergwerke ein, weil man davon ausging, dass das Salz sie sicher umschließen würde. „Einpökeln“ nannte man dieses Verfahren intern.
Dann aber stellte man fest, dass die Bergwerke so ausgehöhlt waren, dass der Einsturz drohte und eindringendes Wasser im schlimmsten Fall radioaktive Stoffe aus den verrosteten Fässern lösen könnte, die dann ins Grundwasser gelangen. Die Asse in Niedersachsen ist so ein Bergwerk, in das Tausende Fässer eingelagert wurden, die nun aufwendig herausgeholt werden sollen, weil ein Einsturz droht. Neben dem Salz haben Wissenschaftler in der Vergangenheit auch andere Gesteinsarten als tauglich für die Endlagerung eingestuft, darunter Ton und Granit. Sie gelten weiterhin als möglich, allerdings spielt nicht nur das Gestein eine Rolle, sondern auch die geografische Lage des Standorts – zum Beispiel die Frage, ob er in einem Erdbebengebiet liegt oder ob Wasserzuflüsse zu erwarten sind. Man hat also schon dazugelernt – und wird es noch tun müssen. Wissenschaftler wie Geologen und Atomphysiker haben noch bis 2050 Zeit, eine passende Antwort zu finden auf die Frage: Wohin mit dem Atommüll? (Oliver Gehrs)
Was wir nicht sehen können: die Spanische Grippe
Es ist gerade mal hundert Jahre her, da diagnostizierten Ärzte den Krankheitsverlauf einer Seuche über den Farbton des Patienten: Ein Rot war völlig in Ordnung, doch schon bei einer violetten Nuance ging es mit dem Menschen bergab. Wenn dann aus dem Pflaumenblau ein Schwarz wurde, das sich von den Händen und Füßen bis zum Oberkörper ausbreitete, war der Patient so gut wie tot.
Mindestens 50 Millionen Menschen, so Schätzungen, raffte die Spanische Grippe von 1918 bis 1920 in drei Wellen dahin: In den schwarz gefärbten Körpern der Opfer hatte die Lunge versagt, sodass das Blut aufgrund des Sauerstoffmangels blau wurde. Die Symptome der todbringenden Krankheit erkannten die Ärzte, aber ihre Ursache konnte sich niemand erklären.
In heißen Gegenden mutmaßte man, es könne sich um Denguefieber handeln, in anderen Teilen der Welt dachte man an Cholera, Fleckfieber oder gar die Pest. Die fortschrittlichsten unter den Medizinern machten ein neues Bakterium für die Pandemie verantwortlich. Die Existenz von Viren, die um ein Vielfaches kleiner sind, wurde in wissenschaftlichen Kreisen zwar schon seit einiger Zeit vermutet – aber unter dem Lichtmikroskop konnte man sie noch nicht erkennen.
Eine intensive Diskussion entbrannte, doch es dauerte noch viele Jahre, bis sich die Virologie als wissenschaftliche Disziplin etablierte und Impfstoffe entwickelt wurden (den ersten Lebendgrippeimpfstoff produzierte 1936 der Russe A. A. Smorodintsev). Dazu trug auch die Erfindung des Elektronenmikroskops bei, dessen Prototyp die deutschen Wissenschaftler Max Knoll und Ernst Ruska 1931 in Berlin vorstellten. Schließlich, im Jahr 1933, gelang es, das Virus, das die Spanische Grippe auslöste, sichtbar zu machen und später dem Typ A der Influenza zuzuordnen, mit dem Subtyp H1N1, nach denen immer noch Influenzaviren typisiert werden. (Natascha Roshani)
Illustration: Golden Cosmos/2agenten