Die Sache mit OnlyFans? Hat eigentlich als Witz angefangen, erzählt Maike bei Zoom. Wenige Wochen später ist aus dem lustigen Tweet ein Weg geworden, mit dem die 23-Jährige ihre Ausbildung zur Grafikdesignerin finanziert.
In Deutschland kommt OnlyFans gerade an. Die Plattform wurde 2016 in Großbritannien gegründet – mit dem simpelsten aller Geschäftsprinzipien: Wer Inhalte sehen will, also die Fotos, die die Content Creator von sich anbieten, muss zahlen. OnlyFans baut damit auf den Standard der Gig-Economy: Das Unternehmen stellt eine Infrastruktur, durch die Selbstständige ihre Inhalte oder Dienstleistungen verkaufen. Seien es Taxifahrten bei Uber, Mahlzeiten bei Deliveroo, Work-outs bei Urban Sports oder eben Nacktfotos bei OnlyFans.
Auf OnlyFans gibt’s Fitness, Gitarrenunterricht und Superfood, aber vor allem Pornografie
Denn während sich manche Creator beim Backen, Yoga oder Tanzen filmen, zieht sich die Mehrzahl aus – oder bietet gar Pornografisches an. Im Gegensatz zu anderen Netzwerken sind Nacktheit und Erotik erlaubt. Die Plattform zensiert keine Inhalte und ist deshalb nur für volljährige Nutzer*innen, zumindest offiziell. (Denn trotz der Altersprüfung scheinen sich auch Minderjährige problemlos registrieren zu können. Erst wenn aus Konsument*in Creator wird, muss etwa ein Personalausweis vorlegt werden.) Wenn man Maike fragt, wie sie ihre Inhalte beschreiben würde, sagt sie: „Ähnlich wie auf Instagram, nur offensiver.“ Es seien größtenteils Fotos in Unterwäsche und eindeutige Posen, nackt sei sie aber nicht zu sehen.
Von außen gibt sich OnlyFans verschlossen: Ohne Anmeldung und abgeschlossenes Abonnement sieht man die Profile nicht. Die Plattform setzt vor allem auf Creator, die Reichweite aus anderen Netzwerken mitbringen. Auf Instagram und Twitter sah man zuletzt immer mehr Accounts, die auf die unzensierten Inhalte hinter ihren Storys verweisen. Laut eigenen Angaben hat OnlyFans rund 30 Millionen registrierte Nutzer*innen weltweit, darunter bieten etwa 450.000 kostenpflichtige Inhalte an. 4.000 dieser Creator kommen aus Deutschland (Stand Frühjahr 2020). Wenn es nach Instagram geht, soll damit Schluss sein: Zwar zeigen Recherchen, dass der Instagram-Algorithmus Posts mit nackter Haut höher rankt, nach einem Update der Community Guidelines ist es jetzt aber verboten, sexuelle Dienstleistungen und Nacktheit anzubieten. Künftig soll ein Algorithmus Werbung für OnlyFans erkennen und entsprechende Accounts sperren. Creator berichten bereits, dass ihr Konto ohne Warnung gelöscht wurde, nachdem sie Hashtags benutzt hatten, die auf Instagrams Blacklist standen.
Maikes Profil kann man sich wie eine Facebook-Seite vorstellen: Fotobanner (Maike in schwarzer Unterwäsche auf einem Bettlaken), Profilbild (Maike im Nachthemd), darunter ein Produktversprechen: „Ich teile hier täglich alles von süß, heiß, unzüchtig bis zum Soft-Akt.“ Dafür zahlen Maikes Fans 19,99 Dollar im Monat. Von jedem Abo bleiben 20 Prozent bei OnlyFans, Maike verdient gut 13 Euro im Monat an einem Zuschauer. Wie viel sie damit einnimmt, möchte sie lieber nicht im Internet lesen.
Blankziehen + Hochladen = Cash. Klingt erst mal wie ein Traumjob
Vor ein paar Jahren wäre dieser Nebenjob unvorstellbar gewesen: „Nachdem ich auf Instagram mal ein Bikinifoto hochgeladen habe, habe ich eine Drohmail bekommen“, erzählt Maike. Sie gehöre umgebracht, verdiene es nicht zu leben, wenn herauszubekommen sei, wo sie wohne, passiere ihr etwas. Absender unbekannt. Damals dachte Maike noch, Drohungen seien normal für Frauen, die sich selbstbewusst im Internet bewegen. „Wenn du eine Vagina hast, bekommst du dumme Kommentare.“ Heute verdient sie Geld mit einer Plattform, deren Geschäftsmodell die Sexualisierung (vor allem) weiblicher Körper ist. Wie passt das zusammen? Ist sie damit nicht Teil eines Mechanismus, der Frauen zu Objekten erklärt? Wie kann man sich gegen die Reduzierung von Frauen auf Körper aussprechen – und gleichzeitig mit OnlyFans sein Leben finanzieren?
Antworten hat ein Mann. Mario Adrion ist 26, Model, Entertainer, Instagrammer, YouTuber und einer der wenigen männlichen Creator auf OnlyFans. Wie er die Plattform sieht, hat wesentlich mit Sexismus zu tun, der sich gegen ihn gerichtet hat.
Als Adrion vor Monaten versuchte, als Model in New York Fuß zu fassen, hat ein Fotograf während eines Shootings Nacktfotos von ihm aufgenommen. Er fühlte sich als Neuling in der Branche unter Druck gesetzt und willigte ein – unter der Voraussetzung, dass die Fotos nicht veröffentlicht werden. Monate später fanden Freunde die Fotos in einem Bildband. Solche Erfahrungen, erzählt Adrion, würden Models immer wieder machen: Fotografen, die Fotos ohne Einverständnis in Foren und auf Webseiten veröffentlichen und verkaufen. Diese Erfahrung mit der Fremdsexualisierung seines Körpers war einer der Gründe, warum Adrion vor etwa eineinhalb Jahren auf OnlyFans startete, als Experiment. Heute will er den Dienst nicht mehr missen. „Auf OnlyFans“, sagt Adrion, „habe ich allein die Entscheidungskraft darüber, was mit meinen Bildern passiert.“
Ein Argument, dem viele Kolleg*innen nicht zustimmen würden. Dass OnlyFans nicht vor dem Missbrauch des eigenen Bildes schützt, hat auch Maike erlebt. Drei Tage war ihr Account alt, als einige ihrer Fotos auf Reddit geteilt wurden. Hätte sie nicht gezielt danach gesucht, wäre niemandem aufgefallen, dass ihre Inhalte gestohlen wurden. Maike meldete den Vorfall bei OnlyFans, kurz darauf wurden tatsächlich zwei ihrer Abonnent*innen gebannt. Glaubt man den Beschwerden, die über Twitter eingehen, reagiert die Plattform nicht immer so schnell.
Ihre Aufnahmen haben im Netz eine lange Halbwertszeit, das wissen Maike und Adrion aus solchen Erfahrungen, völlig sicher sind sie nie. Beide müssen sich vor jedem Upload fragen, was sich für sie verändern würde, wenn die Bilder durch einen Leak veröffentlicht werden. Maike hat bereits für sich entschieden, dass ihren Nebenjob tolerieren muss, wer mit ihr befreundet sein oder arbeiten möchte. Was soll auch dabei sein? Als Prostitution sehen Maike und Adrion OnlyFans nicht. „Ich mache mir gar keine Gedanken darüber, wie das heißt, was ich mache“, sagt Maike.
Dabei kann man mit einiger Berechtigung Sexarbeiter*in nennen, wer mit dem Versprechen auf Intimität zahlende Kundschaft anlockt. Die Macher*innen der Plattform wird es freuen, dass sich viele Creator bei ihnen nicht prostituiert, sondern selbstbestimmt fühlen. Da die Plattform vor allem Geld verdienen will, hat sie aber ein ureigenes Interesse an intimen bis pornografischen Inhalten.
Die werden geschickt und niedrigschwellig angeboten: OnlyFans firmiert nicht unter Adult Entertainment, obwohl ein Großteil der Creator genau das anbietet. Sie wirbt mit Stars wie Schauspielerin Bella Thorne, Model Sam Wolfie und Rapperin Cardi B, die sich extra anmeldete, um ihren vermeintlichen Female-Empowerment-Hit „WAP“ zu bewerben. Und um Abonnent*innen zu binden, hat OnlyFans eine Trinkgeldfunktion eingerichtet. So können Creator auf persönliche Wünsche ihrer Abonnent*innen eingehen. Klingt nett, aber die Logik ist klar: Je mehr Wünsche, desto mehr Trinkgeld verdienen die Creator; je mehr Trinkgeld lockt, desto freizügiger liefern Creator Inhalte. Auch bei Maike gehen regelmäßig Sonderwünsche ein, erzählt sie: mal ein exklusives Foto im Bikini, mal eines ihrer Füße. Ein oder zwei Abonnent*innen hätten durchaus schon das Gefühl gehabt, durch ihre Zahlungen über Maike verfügen zu können, erzählt sie. Denen habe sie schnell klargemacht, dass sie nicht für alles und 24/7 verfügbar ist.
Kann OnlyFans Sexarbeit normalisieren?
Wer so bestimmt bleibt, für den ist OnlyFans attraktiv. Auch weil die Plattform für Creator nachvollziehbarer funktioniert als andere. Eines der jüngeren Videos von Adrion zeigt, warum: Vor einigen Wochen sprach Adrion auf YouTube über Rassismus in der Pornoindustrie. Ein Schwarzes Model erzählte, dass seine weißen Co-Darstellerinnen mehr Geld verlangen könnten, wenn sie mit Schwarzen Darstellern filmen. Es hat vergleichsweise wenig Aufrufe. Adrion macht den Algorithmus von YouTube dafür verantwortlich: Content zu Rassismus oder LGBT werde niedriger gerankt, weil er für Werbekund*innen nicht interessant sei. Videos, in denen Adrion das Wort „Coronavirus“ sagt, würden automatisch demonetarisiert, sagt er. So will YouTube verhindern, dass mit Videos über das Virus Geld gemacht werden kann. Auch aus diesem Grund ist OnlyFans für Menschen wie Adrion interessant: Es gibt keinen Algorithmus, der über ihre Einnahmen entscheidet. Nur Fans, die Abos abschließen. Daher hat es die Plattform geschafft, Inhalte hinter einer Bezahlschranke zu vermarkten – eine Herausforderung, an der sonst ganze Branchen scheitern.
So hat OnlyFans sein eigenes Kapitel in der Geschichte der Pornoindustrie geschrieben, die es seit Jahrzehnten versteht, sich den Sehgewohnheiten und dem Mediengebrauch anzupassen. Und ihren Konsument*innen selbst mit Bezahlmodellen immer näher kommt: Heute kann jede*r mit Smartphone selbst Creator sein und über Plattformen wie OnlyFans auch ohne Filmverleih, Produzent*in und Regisseur*in Geld verdienen.
Manche sehen darin die endgültige Anspruchslosigkeit der Pornobranche, andere eine Demokratisierung. Sie hoffen, dass niedrigschwellige Angebote wie OnlyFans Sexarbeit als Tätigkeit normalisieren können.
Ob OnlyFans dieses Potenzial hat, weiß Maike nicht. Durch ihren Account sei sie aber selbstbewusster geworden: „Man wird sein Leben lang angestarrt. Den anderen diese Macht zu nehmen, indem ich ihnen mein Bild freiwillig gebe, das finde ich empowernd.“
Eine selbstbestimmte Nutzerin, die bezahlt und zu nichts gezwungen wird: Damit könnte man sich zufriedengeben. Ob nicht doch Druck auf die Creator ausgeübt wird, sei es direkt oder indirekt, lässt sich aber nicht überprüfen. Maike und Adrion sind Einzelfälle – und die bezahlte Plattform-Pornografie ist kein Garant für Selbstbestimmung.
Illustration: Bureau Chateau / Jannis Pätzold